Pressekonferenz der Bundeskanzlerin nach dem Europäischen Rat

Sprecher: Bundeskanzlerin Angela Merkel

STS Wilhelm: Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie zu unserer Pressekonferenz. Ich danke für Ihr Verständnis, dass Sie so schnell kommen konnten, nachdem der Europäische Rat ein bisschen früher zu Ende gegangen ist. Ich darf gleich der Bundeskanzlerin das Wort erteilen.

BK'in Merkel: Meine Damen und Herren, wir haben die Ratssitzung hauptsächlich damit gestaltet, dass wir uns auf die Kopenhagener Klimakonferenz vorbereitet haben. Hier waren im Wesentlichen drei Dinge zu diskutieren, die für die Europäische Union bezüglich der Positionierung in Kopenhagen von Bedeutung sind.

Der erste Punkt betrifft die Frage der Reduktionsziele. Wir haben uns noch einmal auf das geeinigt und auch bekräftigt, was wir schon früher gesagt haben: Wir sind bereit, 20 Prozent (CO2) bis 2020 zu reduzieren und halten das Angebot aufrecht, eine CO2-Reduktion von 30 Prozent zu akzeptieren, wenn andere Länder entsprechende Anstrengungen unternehmen.

Das, was bis jetzt auf dem Tisch liegt, was sowohl Amerika als auch einige Schwellenländer anbieten, ist unserer Meinung noch nicht geeignet, es als ein dem europäischen Angebot entsprechendes Angebot zu klassifizieren. Wir sind bereit, die Reduktion von 30 Prozent in die Waagschale zu werfen, wenn wir bei den großen anderen Mitspielern in Kopenhagen eine Veränderung der Position beobachten.

Ein zweiter Punkt, der für den Erfolg von Kopenhagen von allergrößter Bedeutung ist, ist die Frage der Finanzierung der ärmeren Länder, der Entwicklungsländer. Hierbei gibt es zwei Säulen der Finanzierung.

Die eine ist die kurzfristige Finanzierung, die Start-Finanzierung. Hier sind wir davon ausgegangen, dass insgesamt 10 Milliarden Dollar jeweils für die Jahre 2010, 2011 und 2012 für die gesamte Welt ausgegeben werden können. Der europäische Anteil wird in dem Bereich eines Drittels liegen. 10 Milliarden Dollar bedeuten etwa sieben Milliarden Euro. Die Europäische Union hat sich auf freiwilliger Basis bereit erklärt - so haben wir es anlässlich des Rates im Oktober miteinander besprochen -, 2,4 Milliarden Euro für diese Finanzierung einzusetzen. Das ist mit Blick auf die Konferenz von Kopenhagen ein deutliches Signal, dass wir bereit sind, unseren Anteil zu tragen. Deutschland wird zu diesem Anteil 420 Millionen Euro jährlich beitragen. Das entspricht 1,26 Milliarden Euro für den Zeitraum 2010 bis 2012.

Wir haben dann den viel schwierigen Punkt der langfristen Finanzierung beraten. Hier ist die Europäische Union bereit, Verpflichtungen auch für die Zeit nach dem Jahr 2020 einzugehen, wenn es um die 100 Milliarden Euro pro Jahr geht.

Wir haben leider an dieser Stelle noch keine Zusage von den Amerikanern, Aussagen zu der langfristigen Finanzierung zu machen. Nach meiner Einschätzung ist für die Frage, ob die Kopenhagener Konferenz gerade im Blick auf die Entwicklungsländer erfolgreich sein wird, ob also auch die Entwicklungsländer bereit sein werden, nach ihren Möglichkeiten Verpflichtungen zu übernehmen, sehr entscheidend, dass wir eine ausreichende Finanzierung zur Verfügung stellen. Deshalb wird dies auf der Kopenhagener Konferenz eine wesentliche Rolle spielen.

Wir haben dann darüber gesprochen, dass wir eine bindende Verpflichtung zur Erreichung des Zwei-Grad-Ziels brauchen. Ein großer Diskussionspunkt auf der Konferenz wird sein, inwieweit alle Mitgliedsstaaten der Klimarahmenkonferenz bereit sind, ihren Beitrag, den sie ankündigen, bindend in dieses Abkommen, das nach Kopenhagen noch verhandelt werden muss, einzubringen und inwieweit sie bereit sind, dass dies von einer internationalen Institution aus überwacht wird, sodass Vergleichbarkeit hinsichtlich der Anstrengungen gesichert ist.

Wir sind fest entschlossen, durch unsere persönliche Anwesenheit unseren Beitrag zum Erfolg von Kopenhagen beizutragen. Wir haben heute Morgen noch einmal mit den Vertretern einiger Länder zusammengesessen, so auch mit dem dänischen Ministerpräsidenten, der Konferenzpräsident ist. Wir haben uns bereit erklärt, alle notwendigen Telefonate und Gespräche zu führen. Ich habe heute Vormittag zum Beispiel mit dem indischen Premierminister telefoniert. Es ist also eine Vielzahl von Gesprächen im Gange. Insoweit sind wir alle in einem hohen Maße engagiert.

Wir haben außerdem über die Frage der Arbeitsweise des Rates in der Zukunft gesprochen. Präsident Herman Van Rompuy, der sein Amt offiziell am 1. Januar antritt, hat gestern Abend dazu Bericht erstattet und seine Vorstellungen deutlich gemacht. Wir werden einen informellen Rat im Februar abhalten, bei dem wir über die Wirtschaftsstrategie der Europäischen Union, die in Zukunft EU 2020 heißen wird, miteinander beraten werden. Das wird sozusagen das erste große Projekt sein.

Wir haben gestern Abend auch befunden - das wird noch einmal in einer Ratsentscheidung formalisiert -, dass Uwe Corsepius, mein europapolitischer Berater, in 18 Monaten, also Mitte des Jahres 2011, die Nachfolge des heutigen Ratssekretärs Pierre de Boissieu antreten wird.

Bei der Frage der Wirtschaft und Finanzen war die Situation in Griechenland ein Thema. Hier hat uns der griechische Ministerpräsident sehr eindeutig und sehr entschlossen gesagt, dass er fest daran arbeitet, dass griechische Defizit abzubauen. Der Präsident der Euro-Gruppe, Jean-Claude Juncker, hat unterstrichen, dass dies dringend notwendig ist. Griechenland hat sehr klar gemacht, dass es seine Verantwortung tragen will. Das heißt, wir haben nicht darüber gesprochen, ob es in irgendeiner Weise zu Hilfsmaßnahmen kommt, sondern es ist ganz klar gewesen, dass Griechenland seine Verantwortung durch Strukturreformen in Griechenland wahrnehmen möchte.

Wir haben in Verbindung mit dem Thema Klimaschutz darüber gesprochen, dass wir als Europäischer Rat neue Finanzinstrumente einfordern. Wir haben den IWF beim G20-Treffen aufgefordert - das wiederholt der Europäische Rat jetzt noch einmal -, bei seiner Überprüfung die gesamte Bandbreite von Optionen einschließlich der Themen Versicherungsgebühren, Abwicklungsfonds und Steuer auf globale Finanztransaktionen in Betracht zu ziehen. Zum nächsten G20-Treffen soll der IWF dazu einen Vorschlag machen. Außerdem arbeitet die Kommission daran, uns beim nächsten Rat hierzu Vorschläge vorzulegen.

Das sind die wesentlichen Punkte. Wir haben jeweils noch eine Erklärung zum Iran und zu Afghanistan verabschiedet. Aber die wesentlichen Punkte waren die Themen Klima, die Arbeitsweise des Rates und die neue Wirtschaftsstrategie EU 2020.

Frage: Wie würden Sie das Ergebnis heute denn beurteilen? Ist das das Ergebnis, mit dem Druck auf die USA aus Richtung Brüssel gemacht werden kann?

Dann eine Frage zu dem, was Sie eben ansprachen: Haben Sie große Sympathien bezüglich der Tobin-Steuer oder der Besteuerung von Boni, die auch im Gespräch ist, oder reicht das, was Herr Ackermann gesagt hat, nämlich eine Selbstbeschränkung der Banken?

BK'in Merkel: Zu der Frage nach dem Druck: Es geht ja um den gemeinsamen Erfolg. Wir haben hier eine Bewertung dessen vorgenommen, was im Augenblick sichtbar ist. Dazu muss man immer wieder sagen: Die Vereinigten Staaten von Amerika haben sich bewegt. Aber es ist auch richtig, dass wir noch nicht am Ziel sind. Die zwei kritischen Punkte sind zum einen die Verpflichtungen, die die Vereinigten Staaten von Amerika selbst eingehen, und der zweite ist die langfristige Finanzierung. Über beides werden wir partnerschaftlich und konstruktiv mit den Amerikanern sprechen. Aber der Europäische Rat ist nicht abgehalten worden, um irgendjemanden an den Pranger zu stellen. Wir müssen nur nüchtern analysieren, dass die Beiträge, die es jetzt gibt, eben noch nicht ausreichen.

Zum Zweiten: Ich würde das Wort Tobin-Steuer jetzt gar nicht in den Mund nehmen. Das ist eine besondere Ausprägung der Steuer auf Finanztransaktionen. Wir haben hierzu als Europäischer Rat noch einmal deutlich gemacht, dass wir Vorschläge vom IWF erwarten. Die Frage der Besteuerung der Boni ist ein Unterpunkt davon. Ich habe gestern gesagt, dass ich das für die City of London für eine wirklich charmante Idee halte. Das deutsche Steuerrecht wirft insofern erhebliche verfassungsrechtliche Probleme auf. Aber dass ich eine politische Sympathie dafür habe, dass man den wirklichen Boni-Exzessen so gut wie möglich Einhalt gebietet, will ich hier durchaus noch einmal unterstreichen. Ich finde die Art und Weise, die völlig ausblendet, was heute vor einem Jahr oder vor eineinhalb Jahren los war und in der die Leute inzwischen zu dem „business as usual“, zu der ganz normalen Verhaltensweise, zurückkehren, absolut nicht akzeptabel. Selbstverpflichtungen kann man uns auf den Tisch legen. Das muss man sich dann anschauen. Aber dass Selbstverpflichtungen schon alles lösen, ist sicherlich nicht der Fall.

Ich glaube nur, wir müssen zwischen zwei Dingen unterschieden. Das eine ist der Umgang mit den Boni, und wir wollen einmal schauen, wie sich das in der City of London weiterentwickelt. Das Zweite aber ist - das geht viel weiter -, in welchem Umfang die Banken erstens dauerhaft sicherstellen können, dass so etwas nie wieder passiert, und zweitens auch ihren Anteil an den Steuermitteln, die wir jetzt einsetzen mussten, um sie zu retten, bezahlen. Dafür wird eine Bonussteuer nicht ausreichen, sondern dafür braucht man eine Finanzmarkttransaktionssteuer, Versicherungsgebühren oder sozusagen ein Einlagensicherungssystem, das sich in der Vergangenheit ja als völlig unzureichend erwiesen hat. Wir haben gesehen, dass mit dem Einlagensicherungssystem der privaten Banken in Deutschland an einem bestimmten Punkt in Bezug auf die Hypo Real Estate im Grunde nichts mehr zu machen war, weil diese Reserven nicht ausreichten. Was wir doch für die Zukunft machen müssen, ist, in dem Einlagensicherungssystem die Risiken so abzubilden, dass nie wieder die Situation entsteht, dass man zum Schluss zum Steuerzahler gehen und sagen muss „Ihr müsst uns in Bezug auf die Risiken retten“.

Frage: Ich habe eine Frage zu der Gesamtzahl in Höhe von 2,4 Milliarden Euro pro Jahr. Wenn man den deutschen Anteil in Höhe von bislang 20 Prozent annimmt, wären das 480 Millionen. Wenn ich es richtig verstanden habe, war aber von Ihnen 420 Millionen Euro gesagt worden. Wer hat da etwas in den Topf geworfen?

Zweite Frage: Warum ist der Gipfel kurzzeitig unterbrochen worden?

BK'in Merkel: Unterbrochen worden ist er, weil wir erreichen wollten, dass alle Länder etwas dazu beitragen, auch solche, die sicherlich sehr große Schwierigkeiten haben. Aber jeder hat jetzt, auch wenn es manchmal nur kleine Beiträge sind, etwas dazu beigetragen.

Zweitens gibt es ganz unterschiedliche Herangehensweisen. Ich kann für Deutschland sagen, dass es Geld ist, das wir bis jetzt nicht verwendet hatten. Insofern ist unser Anteil an den 2,4 Milliarden Euro, glaube ich, ein guter und vernünftiger, wenn jetzt alles freiwillig - ich kann Ihnen die Zahlen der einzelnen Länder nicht nennen - zusammengezählt wird. Dabei sind wir gut dabei. Dass es dann zum Schluss etwas mehr war, hat sich so ergeben. Aber das kann man, wenn sozusagen geheim geboten wird, nie genau überblicken.

Zusatzfrage: Heißt das, alle 27 haben in den Topf eingezahlt?

BK'in Merkel: Ja. Das, finde ich, ist ein außerordentlich gutes, solidarisches Signal. Wir haben sehr unterschiedliche Situationen. Es gibt auch Länder, zum Beispiel baltische Länder, in denen der IWF das Finanzregime begleitet. Die ökonomischen Situationen sind also schon sehr unterschiedlich. Aber alle haben einen Beitrag dazu geleistet.

Frage: Frau Kanzlerin, ich habe eine Frage zu Kopenhagen: Rechnen Sie nach diesem deutlichen Signal der EU, wie Sie sagten, damit, dass in Kopenhagen jetzt doch noch ein bindendes Abkommen gelingen kann?

Ich habe eine zweite Frage, wenn Sie erlauben. Man hatte auf dem Gipfel den Eindruck, dass Herr Brown und Herr Sarkozy immer ein bisschen vorgeprescht sind und Sie etwas hinterhereilen mussten, weil die beide immer schon Finanzzusagen verkündet haben, bevor Sie kamen. Ist das ein falscher Eindruck?

BK'in Merkel: Ja, der Eindruck ist falsch. Ich glaube, dass die beiden aufgrund von Vorkommnissen in den vergangenen Tagen etwas Mühe darauf verwenden mussten, dass sie sich gut vertragen. Ich hatte das jetzt nicht so nötig, weil ich mich mit beiden sowieso gut vertrage.

Was die Finanzzusagen anbelangt, so haben wir natürlich von vornherein etwas gemacht. Wir haben nur nicht jeden Tag und jede Stunde laut darüber gesprochen. Aber ich glaube, dass das insgesamt so in Ordnung ist.

Zur ersten Frage: In Kopenhagen geht es doch um einen politischen Rahmen, und dieser politische Rahmen muss natürlich auch Verpflichtungen dazu enthalten, was man zum Schluss bindend verabreden will. Aber es wird mit Sicherheit einige Monate dauern, bis man das dann in einen richtigen Vertragstext eingebracht haben wird.

Also man muss es sich ein bisschen wie unsere Präsidentschaft vorstellen, in der wir im Grunde den Grundstein für den Lissaboner Vertrag gelegt haben. Da waren die politischen Knackpunkte alle ausdiskutiert, und trotzdem bedurfte es noch der portugiesischen Präsidentschaft, die dann das Ganze in ein formales Vertragswerk umgewandelt hat. So muss man sich auch den Prozess von Kopenhagen und nach Kopenhagen vorstellen. Die Staats- und Regierungschefs kommen ja in großer Zahl dorthin, um sich die politischen Verpflichtungen, die dann aber rechtlich bindend in ein Abkommen einfließen müssen, auch persönlich deutlich zu machen.

Aber ich sage Ihnen nach allem, was ich höre, auch voraus: Das wird noch eine turbulente Woche bis zum nächsten Freitag. Es ist ja von heute an eine Woche. Sie können sich vorstellen: Solche Verhandlungsprozesse sind extrem kompliziert mit 180 Ländern und regionalen Gruppen und dann den verschiedenen Verbindungen zwischen diesen Gruppen. Das wird extrem kompliziert. Die dänische Präsidentschaft macht einen tollen Job. Aber ohne aufreibende Zwischenstationen wird es nicht gehen.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, die CO2-Reduktion um 30 Prozent war ja schon vorher in dieser Bedingung dabei. Das klingt jetzt etwas zurückhaltend, weil Sie wieder das betonen, was schon vorher festgelegt worden ist. Halten Sie es für realistisch, dass andere tatsächlich so mitziehen? (Sie scheinen ja) ein bisschen Bedenken (zu) haben, weil bisher noch nichts auf dem Tisch liegt.

BK'in Merkel: Nein, wir hätten ja auf diesem Europäischen Rat auch Folgendes sagen können: Die Verpflichtungen anderer Länder sind so ernüchternd, dass wir heute schon erklären: Unsere 30 Prozent sind weg, und wir fahren mit 20 Prozent hin. - Das haben wir bewusst nicht gemacht, sondern wir haben sehr bewusst gesagt: Wir halten diese 30 Prozent im Raum, weil wir hoffen, dass dadurch auch noch andere einen Anreiz bekommen.

Worum geht es? – Es geht darum, dass der IPCC, also das wissenschaftliche Beratergremium, sagt: Wenn man das Zwei-Grad-Ziel erreichen will, dann kann man das auf verschiedene Art und Weise tun. Man kann 2020 schon sehr viel reduziert haben. Man kann dann 2030 den Pfad zwischen 20 und 30 Prozent steiler wählen. - Also es gibt ja nicht einen Weg, um das zu erreichen, sondern mehrere Wege.

Der IPCC sagt: Man sollte aber 2020 weltweit eine Reduktion um 25 Prozent haben, damit man diesen Pfad mit hoher Wahrscheinlichkeit einschlagen kann. Das heißt, je weniger wir jetzt in Kopenhagen zusammenbekommen, umso größer ist dann für uns alle die Aufgabe bis 2050. Deshalb wäre es natürlich wünschenswert, in die Nähe einer Gesamtreduktion von 25 Prozent zu kommen. Das kann Europa allein mit der Erhöhung seines Beitrags nicht schaffen, sondern dazu brauchen wir noch andere, die auch bereit sind, ihren Beitrag zu erhöhen.

Unabdingbar ist aber in Kopenhagen - ansonsten wäre es wirklich ein Scheitern der Konferenz -, wenn es keine Einigung auf das Zwei-Grad-Ziel geben würde. Also ein Gelingen der Konferenz kann besser und schlechter sein, indem man heute schon bestimmte Reduktionsziele schafft. Aber eine Einigung auf das Zwei-Grad-Ziel ist aus meiner Sicht zwingend um zu sagen: Es war eine erfolgreiche Konferenz.

Frage: Frau Merkel, ich würde gern noch einmal auf die Bonussteuer zurückkommen. Sie haben gesagt, in Deutschland gäbe es verfassungsrechtliche Bedenken, wenn man das so wie in Großbritannien machen würde. Sehen Sie denn überhaupt eine Chance für eine einmalige Steuer irgendeiner Art für dieses Jahr - sie könnte ja auch niedriger sein – oder für andere Sofortmaßnahmen, wie es jetzt in der Gipfelerklärung heißt?

BK'in Merkel: Ich muss das natürlich in der Regierung besprechen. Ich glaube nicht, dass wir für dieses Jahr rückwirkend eine Bonussteuer einführen können. Also das Parlament tagt in der nächsten Woche zum letzten Mal. Es geht ja in Großbritannien wohl auch um das nächste Jahr, wenn ich das richtig verstanden habe.

Außerdem müssen Sie doch sehen, dass die Bonuszahlungen in Deutschland in einem erheblich geringeren Ausmaß anfallen, als wir das zum Beispiel in der City of London haben. Die Briten haben das ja gemacht. Gordon Brown hat gestern von ziemlich astronomischen Bonuszahlungen gesprochen, die dort anfallen werden. Das ist also ein ganz anderer Punkt.

In Deutschland haben wir seit langem die Diskussion. Mir tut es leid: Die Einkommenssteuer kann ich nicht einfach auf einen bestimmten Tatbestand erhöhen. Ich habe ja gesagt: Ich finde die Idee charmant. Aber ich kann mich nun auch nicht gleich über das Grundgesetz hinwegsetzen.

Es müssen ansonsten, wenn man eine Abgabe auf einen bestimmten Sachverhalt erhebt, die Nützlichkeit für die Gruppe, die das betrifft, und der Zweck nachgewiesen sein; und darüber muss man schon noch eine Sekunde nachdenken.

Ich bin dennoch dafür - ich sage das ausdrücklich -, vor allen Dingen Sicherheiten zu finden, damit wir als Steuerzahler nicht wieder zur Kasse gebeten werden, wenn Banken in eine Notsituation kommen. Das ist die ganze Frage der Finanztransaktionssteuer oder anderer vergleichbarer Instrumente, zu denen uns der IWF einen Vorschlag machen wird.

Verändert hat sich - das kann ich allerdings aus dem Europäischen Rat sagen -, dass inzwischen sehr viele Mitgliedstaaten nach der anfänglichen Zurückhaltung sehr viel positiver über die Finanzmarkttransaktionssteuer sprechen, gerade auch im Blick auf notwendige Finanzierungen, zum Beispiel für Klimaschutzausgaben und Ähnliches.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, Sie haben gesagt, der Ratspräsident habe seine Vorstellungen dargelegt, wie er sein Amt auszufüllen gedenkt. Mich würde interessieren, wie der Rat das zur Kenntnis genommen hat. Hat man dem zugestimmt, was Herr Van Rompuy vorgeschlagen hat?

BK'in Merkel: Ja, im Großen und Ganzen hat man zugestimmt. Es ging dann noch um die Frage, inwieweit die Außenminister in die Arbeit einbezogen werden. Der Vertragstext ist hier ja sehr eindeutig. Der Ratspräsident hat deutlich gemacht, dass er es als seine Aufgabe ansieht, wenn er der Meinung ist, dass bestimmte Minister dazu geladen werden sollten. Der Ratspräsident kann auch selbst Ministerräte besuchen - das finde ich sehr gut -, damit er die Verbindung zu den jeweiligen Fachministerräten hat. Wir haben uns dann (darauf verständigt) - und dafür habe ich auch plädiert -, dass, wenn wir außenpolitische Themen auf der Tagesordnung haben - und das soll mindestens einmal im Jahr sein -, dann auch die Außenminister bei den Diskussionen dabei sind.

Ansonsten gab es ein sehr ausgeprägtes Verständnis des Ratspräsidenten, wie es ja auch durch den Vertragstext gedeckt ist, dass dies ein Rat der Staats- und Regierungschefs sein soll.

Frage: Sie hoffen ja, dass die anderen Partner in Kopenhagen zusätzlich zu den Karten, die sie schon auf den Tisch gelegt haben, noch Neue dazu legen. Haben Sie im Rat darüber gesprochen, ob auch die EU in Kopenhagen noch einmal nachlegen kann?

BK'in Merkel: Ja gut, wir haben noch die 30 Prozent. Ich meine, für die Reduktion von 30 Prozent haben wir ja noch gar keine Aufteilung, zum Beispiel der einzelnen Beiträge. Ich meine, man muss das alles ja auch technisch noch schaffen können. Wenn es 30 Prozent wären, dann müsste Deutschland einen Anteil von 40 Prozent Reduktionen mit Bezug auf 1990 leisten. Die Amerikaner bieten uns jetzt 4 Prozent mit Bezug auf 1990 an. Also wir müssen uns auch noch einmal die Relationen anschauen. Es hat doch keinen Sinn, wenn wir in Europa zum Schluss sozusagen keine Wirtschaft und Industrie mehr haben, sich dafür aber alles woanders bestens entwickeln kann. Solche globalen Abkommen erfordern also auch ein globales Wettbewerbsfeld.

Ich finde wirklich, dass für den globalen Erfolg - das sage ich insbesondere, weil mir die Entwicklungsländer die größten Sorgen machen - vor allen Dingen auch die mittel- und langfristige Finanzierung ganz wichtig ist. Die Entwicklungsländer werden ganz zum Schluss nur Verpflichtungen eingehen und sich unter dieses neue Nach-Kyoto-Abkommen begeben, wenn sichergestellt ist, dass sie für ihren technologischen Umbau auch ausreichende Finanzmittel bekommen. Für mich ist daher im Augenblick der sorgenvollste Punkt, dass Europa bis jetzt der einzige Kontinent ist, der für die langfristige Finanzierung überhaupt Angebote macht.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, ich hätte noch eine Nachfrage zu der langfristigen Finanzierung. Sie sagen ja: Wir brauchen neue Klimafinanzierungmittel, wie zum Beispiel das Emissionshandelssystem, aber für dieses Emissionshandelssystem brauchen wir Caps und damit wieder Reduktionsziele. Deshalb stellt sich die Frage: Wie wollen Sie die Entwicklungsländer und auch diejenigen Industrieländer, die bis jetzt noch keine entsprechenden Zusagen gemacht haben, dazu bewegen, Reduktionsziele einzugehen, wenn andererseits die langfristige Finanzierung gar nicht steht, also im Prinzip der erste Schritt noch gar nicht getan ist?

BK'in Merkel: Genau dadurch ergibt sich ja die interessante und spannende Verhandlungssituation. Die einen sagen: Wir haben uns noch nicht rechtlich auf ein Emissionshandelssystem verständigt, deshalb können wir jetzt noch keine langfristigen Zusagen machen. Die anderen sagen hingegen: Uns ist egal, woher ihr euer Geld bekommt, ob aus dem Emissionshandelssystem oder nicht - wir werden nur dann Verpflichtungen eingehen, wenn wir wissen, dass wir eine langfristige Finanzierung - beziehungsweise eine mittelfristige Finanzierung; langfristig wäre ja zum Beispiel bis 2050 - bekommen. Ich habe hierbei größeres Verständnis für die Entwicklungsländer, die sagen, dass sie eine Zusage brauchen; denn daraus entsteht dann auch der Druck, der nötig ist, damit sich die Industrieländer und vielleicht auch einige Schwellenländer schon entscheiden, dass sie neue Finanzquellen erschließen müssen. Ich würde nicht sagen, dass das ein Henne-und-Ei-Problem im klassischen Sinne ist. Es ist vielmehr schon so, dass es ohne eine langfristige Finanzierung nicht gehen wird. Also muss man dafür die nötigen Instrumente schaffen.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, Sie haben vorhin skizziert, was in Kopenhagen als verbindlicher Rahmen herauskommen könnte, und haben das Zwei-Grad-Ziel genannt. Würden Sie es wirklich schon als Erfolg werten, wenn nur das herauskäme? Denn damit wäre man ja von verbindlichen Reduktionszielen wirklich noch meilenweit entfernt.

BK'in Merkel: Das Zwei-Grad-Ziel ist ja mitnichten von jedermann anerkannt. Gerade die Entwicklungs- und Schwellenländer sagen: Wenn wir das einmal anerkannt haben, dann ist unser Mitwirken bei der Reduktion quasi vorgegeben. Zum Beispiel ein Land wie China weiß doch: Auch wenn Europa und Amerika 100 Prozent bis 2050 reduzieren würden - was wir natürlich nicht können; wir reden ja von 85 Prozent -, würde das immer noch nicht ausreichen, wenn China einfach so weitermachen würde wie heute; denn dann könnten wir das Zwei-Grad-Ziel nicht erreichen. Und weil die Schwellenländer das wissen, tun sie sich mit dem Zwei-Grad-Ziel etwas schwerer als wir. Deshalb ist das Erreichen beziehungsweise das verbindliche Festschreiben des Zwei-Grad-Ziels schon ein großer Schritt; denn dann könnte keiner der Vertragspartner mehr diesem Ziel entrinnen. Wenn wir alle riesige Reduktionsanstrengungen unternommen haben und es immer noch nicht schaffen, das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen, dann liegt die Aufgabe eben bei den Schwellenländern - und das wissen die Schwellenländer. (Die Beteiligung der Schwellenländer) alleine garantiert noch nicht den Erfolg, aber ohne (diese Beteiligung werden die Anstrengungen) aus meiner Sicht ein Misserfolg (sein).

Jetzt werden verschiedenste Formen (von Zusagen) dazukommen müssen. Ich habe bereits angesprochen, dass es natürlich gut wäre, wenn wir an die 25-prozentige Reduktion bis 2020 möglichst nah herankommen. Wenn wir das das nicht schaffen, muss man sehen, dass man in den Folgejahren mehr Verpflichtungen eingeht. Die Amerikaner gehen ja einen ganz anderen Weg als wir, indem sie bis 2020 eine Reduktion um 4 Prozent gegenüber dem Stand von 1990 erreichen wollen, aber danach einen sehr steilen Pfad gehen. In der EU müssen wir den Pfad (für die Zeit nach 2020) sowieso noch definieren und uns fragen: Wie sieht es 2030, 2035, 2040 und 2045 aus? Das kann ambitionierter oder weniger ambitioniert sein; darüber können wir nächste Woche sprechen.

Das eigentliche Ziel ist aber (eine Beschränkung der Erderwärmung auf) zwei Grad. Dazu sagen die Entwicklungs- und einige Schwellenländer: Okay, das machen wir vielleicht, aber dann muss die Finanzierung stimmen; denn wenn wir nicht die entsprechende Finanzierung bekommen, können wir das nicht schaffen, weil wir den technologischen Umbau nicht schaffen. (Wichtig ist) natürlich auch der Technologieaustausch.

Frage: Heute ist zum ersten Mal der Militärtransporter Airbus A400M - ein sehr umstrittenes Flugzeug - abgehoben. Wie groß ist die Chance, dass Deutschland dieses Flugzeug bestellt?

BK'in Merkel: Wir sind in Gesprächen mit EADS. Wenn das Flugzeug schon einmal abgehoben ist, ist das schon einmal gut; darauf haben wir ja schon sehr lange gewartet. Ich kann den Verhandlungen jetzt aber nicht vorgreifen. Dass wir ein Transportflugzeug brauchen, ist klar. Dass wir wissen, wie viel daran hängt, ob Airbus das schafft, ist auch klar. Wir können uns aber natürlich auch nicht beliebig lange auf die Wartebank setzen; denn irgendwann wird einmal ein Produkt gebraucht. Aber es ist ja eher eine gute Nachricht, wenn der Airbus von der Erde weggekommen ist.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, noch einmal zur Finanztransaktionssteuer: Im Abschlussdokument steht ja, dass man eine solche Steuer nur dann umsetzen will, wenn das weltweit möglich ist, weil sie ansonsten keinen Sinn machen würde. Heißt „weltweit“, dass alle G20-Staaten ausreichen würden, oder bräuchte man wirklich alle Finanzplätze?

Zweite Frage: Haben Sie Herrn Niebel inzwischen einmal erklärt, warum eine solche Besteuerung vielleicht auch für die Entwicklungshilfe ganz nützlich sein kann?

BK'in Merkel: Ich habe in der Koalition darauf hingewiesen, dass es eine gewisse Kontinuität hinsichtlich der Bindung an internationale Zusagen gibt. Da wir auf dem G20-Gipfel in Pittsburgh (eine entsprechende Zusage gegeben) und den IWF aufgefordert haben, das zu prüfen, ist es jetzt, finde ich, auch geboten, dass wir das nicht einfach in einer neuen Regierungsbildung aufgeben.

Zu Ihrer ersten Frage: Es müssten über die G20-Länder hinaus sicherlich noch mehr Länder sein. Ich glaube, die Europäische Union müsste schon mit allen 27 Mitgliedstaaten dabei sein. Das muss man sich einmal anschauen, wenn es soweit ist. Im Augenblick gibt es in Europa jedenfalls eine zunehmende Offenheit gegenüber solchen neuen Finanzierungsinstrumenten.