Merkel: Griechenland gehört zum Euroraum

Georgios Pappas: Wir erleben eine Zuspitzung in Griechenland. Dabei kommen aus Berlin gegensätzliche Signale; Ihre Koalitionspartner reden offen über eine Insolvenz Griechenlands oder über den Ausschluss Griechenlands aus dem Euro. Sie warnen: Wenn der Euro scheitert, scheitert Europa. Diese Signale irritieren viele, nicht nur in Griechenland. Können Sie sich den Euro ohne Griechenland vorstellen?

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Nein, das möchte ich nicht. Griechenland gehört zum Euro-Raum und wir wollen auch, dass Griechenland im Euro-Raum bleibt. Griechenland hat große Probleme, was die Schuldenlast anbelangt; jetzt setzen wir darauf, dass Griechenland das vereinbarte Programm mit dem Internationalen Währungsfonds, der Kommission und der Europäischen Zentralbank auch umsetzt.

Pappas: Am 21. Juli haben Sie sich auf ein zweites Paket für Griechenland geeinigt. Wird dieses Paket so umgesetzt wie es beschlossen worden ist oder wird es neu verhandelt?

Merkel: Wir sind natürlich enttäuscht gewesen, dass es jetzt so aussieht, dass die Zahlen im September doch wieder anders sind als man sie in dem Programm erwartet hat. Dadurch müssen wir jetzt abwarten, was die Troika - also die Mission der Experten - herausfindet und was sie uns sagt: müssen wir neu verhandeln oder müssen wir nicht neu verhandeln? Das Liebste ist uns natürlich, dass die Zahlen so bleiben  wie sie bekannt sind. Aber ich kann dem Ergebnis der Troika nicht vorgreifen.

Wir waren alle etwas enttäuscht, dass die Troika aus Griechenland wieder abgereist ist. Aber sie kommt jetzt ja wieder und ich habe den Eindruck, dass die griechische Regierung sehr gut mit der Troika zusammenarbeiten will.

Pappas: Seit eineinhalb Jahren wird ein Anpassungsprogramm in Griechenland festgelegt, was einseitig auf das Sparen festgelegt worden ist. Viele meinen, das Land wird kaputt gespart. Viele der griechischen Bürger leben in Existenzangst. Es besteht die Gefahr einer politischen Instabilität im Land. Kann es sein, dass die Medizin falsch ist oder nimmt sie der Patient nicht gut an?

Merkel: Ich glaube nicht, dass die Medizin falsch ist. Ich habe mich extra dafür eingesetzt, dass der Internationale Währungsfonds mit dabei ist. Und der Internationale Währungsfonds hat solche Programme schon mit sehr vielen Ländern durchgeführt. Ich will nur daran erinnern: In Europa gibt es andere Länder, die nur mit dem IWF zusammenarbeiten, weil sie nicht zum Euro-Raum gehören. Zum Beispiel Lettland. Es hat ein sehr, sehr anspruchsvolles Programm durchführen müssen - mit ähnlichen Einschnitten, wie das in Griechenland der Fall ist.

Ich habe großen Respekt davor, dass viele Menschen, die nichts mit der großen Verschuldung zu tun haben, jetzt in Griechenland eine sehr sehr schwierige Zeit haben.

Auf der anderen Seite ist das Programm nicht einseitig nur auf die einzelnen Menschen ausgerichtet, nur aufs Sparen ausgerichtet. Sondern es gibt auch Elemente in dem Programm, die Strukturreformen beinhalten. Dazu gehört zum Beispiel die gesamte Anstrengung der Privatisierung. Es sind Elemente dort enthalten, die ich für absolut zwingend halte -  zum Beispiel die Öffnung vieler Berufsgruppen. Ich weiß, dass es darüber sehr viele Streiks gibt - ob das Lkw-Fahrer sind, ob das Taxi-Fahrer sind, ob das andere Berufe sind. Aber das ist - glaube ich - notwendig, wenn man den europäischen Binnenmarkt auch beleben will. Und das wird auch Wachstum schaffen. Auch die Privatisierung von Unternehmen kann zu großen Wachstumsraten führen.

Ich glaube, man darf nicht sagen, es geht nur gegen die Leute. Und was dabei zu Tage getreten ist - und das sage ich auch mit dem Angebot der Hilfe -, dass sowohl die Steuerverwaltung in Griechenland noch nicht ausreichend arbeitet und dass - was vielleicht noch schwieriger ist - das ganze Katasterwesen, also die Grundstücksklassifizierung, noch nicht so ist, wie wir es haben müssten.

Denn Griechenland hat noch 70 Prozent seiner Mittel aus den Strukturfonds und den Kohäsionsfonds der Europäischen Union, die bis zum Jahre 2013 zur Verfügung stehen, nicht abgerufen, nicht beantragt. Aus der Europäischen Kommission ist jetzt Hilfe gerufen worden. Herr Reichenbach, der dort ist, wird dabei helfen. Denn wir wollen ja, dass Griechenland auch wachsen kann. Es soll ja eine Perspektive haben.

Pappas: Sie haben sich im März 2010 mit Ministerpräsident Papandreou auf eine enge Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Griechenland verständigt und auch heute noch sagen Sie: Deutschland will helfen und wird helfen. Dabei habe ich heute in einer deutschen Zeitung den Titel einer Reportage gelesen, wo drauf steht: Wenn das Wort Merkel zum Schimpfwort wird. Was ist da falsch gelaufen?

Merkel: Na gut, ich glaube, weil ich manchmal auch sehr streng war, bin ich für viele Menschen in Griechenland diejenige, die dafür verantwortlich ist, dass Griechenland jetzt auch harte Maßnahmen ergreifen muss. Damit muss ich leben. Ich werde ja manchmal auch in Deutschland beschimpft.

Ich glaube nur, dass das alles für Griechenland insgesamt gut ist. Ich wiederhole noch einmal: Ich möchte, dass Griechenland im Euro bleibt. Ich möchte, dass Griechenland ein starkes Land ist. Und deshalb haben Sie noch unheimlich viele Möglichkeiten, auch noch besser zu werden. Griechenland ist ja ein wunderbares Land, das darf ich den Menschen dort auch sagen. Aber wenn wir zusammen stark sein wollen gegen China, gegen Indien, gegen Brasilien, gegen Mexiko, dann müssen wir uns halt anstrengen.

Ich werde mit dem griechischen Premierminister Georgios Papandreou noch einmal sprechen: Wo stehen wir in unserer Zusammenarbeit? Welche Firmen können noch enger zusammenarbeiten? Der griechische Ministerpräsident ist heute zum Verband der Deutschen Industrie eingeladen gewesen. Wir wollen eine Energiepartnerschaft machen. Unser Wirtschaftsminister wird Griechenland besuchen, wird Angebote machen - Deutschland möchte helfen. So viele Griechen leben bei uns in Deutschland und gehören zu uns. Wir sind ein Europa, auch wenn man manchmal streng ist.