Netze, Fabriken, Fonds: Die Handelsbeziehungen stehen vor einem Rekordhoch. Nicht nur auf dem Energiesektor und in der Industrie wollen Deutschland und Russland noch enger zusammenarbeiten. Spürbar entwickelt sich auch der Austausch der Zivilgesellschaften.
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Vom Stand des Dialogs konnten sich Bundeskanzlerin Angela Merkel und Russlands Präsiden Dimitrij Medwedew bei den Konsultationen ihrer Regierungen in Hannover ein Bild machen.
Dreizehn Ministerinnen und Minister und mehrere Staatssekretäre waren aus Moskau angereist, um mit ihren deutschen Kolleginnen und Kollegen konkrete Fachfragen zu erörtern. Im Mittelpunkt: die vor drei Jahren geschlossene Modernisierungspartnerschaft.
Am Ende standen zehn Regierungsabkommen. Für die Kanzlerin "ein Beleg für die Dichte der Kontakte". Unter anderem gehen die Regierungen in der Rechts-, Finanz-, Verkehrs-, Umwelt-, Forschungs- und Kulturpolitik neue gemeinsame Projekte an. Um Energieerzeugung und Höchstleistungsrechner geht es dabei ebenso wie um den Schutz von Torfmooren und Urwäldern. Für die Jahre 2012/2013 verabredeten die Diplomaten ein Deutschlandjahr in Russland und umgekehrt ein Russlandjahr in Deutschland.
Darüber hinaus kamen fünf Wirtschaftsabkommen zur Unterzeichnung: von der Mittelstandförderung mit der KfW-Bankengruppe über die Modernisierung von Stromnetzen, die Lieferung von Kraftwärmekopplungsanlagen bis zum Bau einer Reifenfabrik. "Russland ist besonders interessiert am Aufbau von Strukturen für kleinere und mittlere Unternehmen", freute sich die Kanzlerin. Hier könne Deutschland aus einem großen Erfahrungsreichtum schöpfen.
Bereits am Vorabend hatten sich Merkel und Medwedew in kleiner Runde ausgetauscht. Dabei standen neben den beiderseitigen Beziehungen internationale Themen im Mittelpunkt. Unter anderem die Lage im Euroraum, die Bemühungen der internationalen Staatengemeinschaft um eine Lösung der Konflikt in Libyen und Syrien sowie die Entwicklung in Transnistrien und Weißrussland.
Nach dem beschlossenen Aus für die Kernkraftwerke in Deutschland wurde auch das Thema eines zukunftsorientierten Energiemixes erörtert. Russisches Gas spielt für die deutsche Energieversorgung schon heute eine wichtige Rolle. Die Lieferungen in erheblichem Umfang auszuweiten, stehe derzeit allerdings nicht zur Debatte, erklärte Merkel. Das Energiekonzept der Bundesregierung fußt vor allem auf einem verstärkten Einstieg in die erneuerbaren Energien.
Unterdessen bereiten deutsche Unternehmen eine Rohstoffpartnerschaft mit Russland jenseits von Gas und Öl vor, zum Beispiel bei Metallen für Hightech-Produkte (Stichwort: Seltene Erden). Deutsche Technologieunternehmen unterstützen die russische Regierung zudem bei ihren Bemühungen zur Erhöhung der Energieeffizienz im Land.
Merkel und Medwedew betonten übereinstimmend, dass für gute Beziehungen auf Dauer die enge Zusammenarbeit der Regierungen und der Unternehmen nicht ausreiche. Auch die Zivilgesellschaften müssten weiter zusammenwachsen. Deren Austausch in allen Altersgruppen zu fördern ist Ziel des 2001 begonnenen Petersburger Dialogs.
In acht Arbeitsgruppen kommen im Petersburger Dialog übers Jahr hinweg rund 100 Fachleute und Bürger beider Länder zusammen: von Politik und Wirtschaft über Bildung, Ausbildung Kultur und Medien bis zu einer Zukunftswerkstatt. Die Themenpalette ist breit. Unter dem Stichwort Modernisierungspartnerschaft kommen die Bedeutung der Pressevielfalt, der Informationsfreiheit und eines wirtschaftlichen Mittelstandes für demokratische Gesellschaften zur Sprache. Immer wieder Thema ist auch die Rolle der Nichtregierungsorganisationen und Kirchen im Staat. Hinzu kommen aktuelle Fragen wie die, ob Olympiaden und Fußballweltmeisterschaften im 21. Jahrhundert zu einem positiven Nationalgefühl beitragen können.
„Ich wünsche mir, dass im Petersburger Dialog alle Themen, die sich aus den deutsch-russischen Beziehungen ergeben, offen zur Sprache kommen“ , formulierte Merkel die Erwartungen der Regierungen an das Forum. „Je unabhängiger Sie sind, desto lieber kommen wir zu Ihnen“, ermutigte sie zum Gespräch auch über manchmal unbequeme Themen. „Wir erwarten von Ihnen neue interessante Ideen“, stimmte Medwedew zu. Vom ehrlichen Umgang miteinander hänge viel für die deutsch-russischen Beziehungen ab.
Den Austausch von Studenten, Praktikanten und Aupairs auszuweiten, forderte auch ein Vertreter des Deutsch-Russischen Jugendparlaments. Über mehrere Tage hinweg hatten sich 50 Jugendliche aus allen Teilen Russlands und Deutschlands lebhafte Diskussionen geliefert.
Bislang sind die deutschen Behörden bei der Visavergabe sehr zögerlich. In einem Stufenplan will die Bundesregierung nun die Schwierigkeiten der komplizierten Visapraxis beleuchten. Nächstes Jahr werde man einen Schritt weiter sein, versprach Merkel. Insbesondere für Unternehmer, aber auch für Studierende, Auszubildende und Touristen sei ein intensiverer Austausch wünschenswert. Im Kampf gegen den Missbrauch soll unter anderem eine Visa-Warndatei helfen.
Bei der Anerkennung akademischer Abschlüsse aus Russland will die Bundesregierung ebenfalls für Verbesserung sorgen. Der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) schloss in Hannover mehrere Vereinbarungen über die wissenschaftliche Zusammenarbeit: von der Grundlagenforschung bis zur gemeinsamen Entwicklung neuer Keramikwerkstoffe.
Deutschland führt regelmäßige Regierungskonsultationen mit einer Reihe von Staaten, darunter Frankreich, Italien, Polen, und Spanien. In der Regierungszeit von Bundeskanzlerin Merkel sind als außereuropäische Staaten Israel und Indien hinzugekommen. Deutsch-russische Regierungskonsultationen fanden in Hannover zum 13. Mal statt. Zuletzt hatten sich die Regierungsvertreter unter Vorsitz der Kanzlerin und Präsident Medwedews im Juli 2010 in Jekaterinburg getroffen.