Gute medizinische Versorgung für alle

Merkel-Interview Gute medizinische Versorgung für alle

Bundeskanzlerin Angela Merkel im Interview mit der Apotheken-Umschau über den Zugang zu medizinischer Versorgung auf dem Land, den Erhalt der privaten Krankenversicherung, die inhabergeführte Apotheke als Modell der Zukunft und mehr Transparenz im Gesundheitswesen.

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Arzt mit Stethoskop

Das deutsche Gesundheitssystem sichert gute Versorgung auf hohem Niveau

Foto: BilderBox

Das Interview im Wortlaut:

Apotheken-Umschau: Frau Bundeskanzlerin, wir haben unbestritten ein gutes Gesundheitssystem in Deutschland, aber ist es auch gerecht?

Angela Merkel: Da es, wie Sie zu Recht sagen, gut ist, ist es auch gerecht, weil es bei allem, was stets verbessert werden kann, so ist, dass bei unseren Ärzten und in unseren Krankenhäusern jeder unabhängig vom Geldbeutel eine medizinische Versorgung auf hohem Niveau erhält. Aber natürlich müssen wir immer aufs Neue darauf achten, dass dies bei dem rasanten medizinischen und technischen Fortschritt auch in Zukunft so bleibt. Ebenso passen wir auf, dass Menschen in der Stadt und Menschen auf dem Land guten Zugang zu medizinischer Versorgung haben. Die Bundesregierung bemüht sich deswegen gerade auch um die Versorgung der ländlichen Regionen mit Ärzten, Krankenhäusern und Apotheken. 

Apotheken-Umschau: Kritiker beklagen eine Zwei-Klassen-Medizin? Nicht jeder bekomme die gleiche Versorgung. Wie stellen Sie sich diesem Problem?

Merkel: Es ist Anspruch jeder Bundesregierung und somit auch der christlich-liberalen, dass gute medizinische Versorgung in Deutschland für jeden gewährleistet ist. Die notwendige Selbstbeteiligung der Versicherten ist dabei gedeckelt bei zwei Prozent, für chronisch Kranke bei einem Prozent ihres Einkommens.   

Apotheken-Umschau: Warum gibt es überhaupt private neben gesetzlichen Versicherungen? Was spricht für die privaten?

Merkel: Es ist ein gewachsenes und im Großen und Ganzen bewährtes System. Die private Krankenversicherung entstand aus der Idee, dass manche Menschen ohne solidarischen Ausgleich selbst für ihre Krankenversicherung sorgen können. 

Apotheken-Umschau: Unter Ihrer Führung wird es also auch in Zukunft private Krankenkassen geben?

Merkel: Das Zwei-Säulen-Prinzip hat sich alles in allem bewährt, bei dem wir die private Krankenversicherung ebenso wie die gesetzliche Krankenversicherung kontinuierlich an die gesellschaftlichen Entwicklungen anpassen. Deshalb haben wir auch bei den privaten Krankenversicherungen einige notwendige Veränderungen vorgenommen.

Apotheken-Umschau: Zum Beispiel?

Merkel: Die privaten Krankenversicherungen müssen seit 2009 einen Basistarif mit dem Leistungsumfang der Gesetzlichen Krankenversicherung anbieten. Der Basistarif darf nicht mehr kosten als der Höchstbeitrag zur Gesetzlichen Krankenversicherung. Vorerkrankungen dürfen sich nicht auf die Beitragshöhe auswirken. Kann ein Versicherter sich den Beitrag nicht leisten, muss er nur den halben Beitrag bezahlen. So haben wir auch in der PKV für mehr Solidarität zwischen den Versicherten gesorgt.

Apotheken-Umschau: Auch Ärzte profitieren von Privatpatienten. Sie können höhere Rechnungen als bei einem Kassenpatienten stellen. Ist das gerecht?

Merkel: Ärzte erhalten ihre Vergütung aus der Versorgung aller – gesetzlich und privat – Versicherten. Die Vergütungsstrukturen in den beiden Systemen sind unterschiedlich, aber für alle gibt es in Deutschland eine gute medizinische Versorgung.

Apotheken-Umschau: Warum?

Merkel: Dank der Gesamteinnahmen aus beiden Systemen gibt es eine dichte und gute ärztliche Versorgung in Deutschland.

Apotheken-Umschau: Apotheken müssen viele Patienten mühsam darüber aufklären, warum sie ihr bisheriges gewohntes Präparat nicht mehr bekommen. Dieser Aufwand wird aus Sicht der Apotheken nicht honoriert. Stimmen Sie dem zu?

Merkel: Durch die Rabattverträge müssen die Apotheker tatsächlich mehr von dem tun, was sie am besten können: ihre Kunden vertrauensvoll beraten. Wir sind jedoch in verschiedenen Punkten auch auf die Belange der Apotheken eingegangen.

Apotheken-Umschau: Beispielsweise wo?

Merkel: Etwa bei der Sicherstellung und der Finanzierung des Nacht- und Notdienstes. Und wir haben im vergangenen Jahr die Vergütung der Apotheken erhöht. Für sie positive und negative Veränderungen halten sich so die Waage.

Apotheken-Umschau: Ist für Sie die jetzige Form der inhabergeführten Apotheke auch ein Modell der Zukunft?

Merkel: Die inhabergeführte Apotheke hat sich aus meiner Sicht bewährt. Daran wird die christlich-liberale Bundesregierung nichts ändern. Seit 2004 haben wir die Möglichkeit des Mehrbesitzes, also dass ein Apotheker bis zu vier Apotheken besitzen kann.

Apotheken-Umschau: Ärztliches Handeln ist zunehmend gewinnorientiert. Hat das nicht auch Schattenseiten, wenn beispielsweise lukrative Operationen häufiger stattfinden als notwendig?

Merkel: Ärztliches Handeln hat dem Wohl des Patienten zu dienen. Gewinnorientierung sollte dabei keine Rolle spielen. Dass Ärzte und Krankenhäuser kostendeckend arbeiten, steht dazu nicht im Widerspruch. Es gibt aber auch Tendenzen, denen entgegengewirkt werden muss, wenn zum Beispiel mehr operiert wird als nötig, nur weil bestimmte Eingriffe finanziell lukrativer sind als eine konservative Behandlung. Es ist deshalb gut, dass so etwas heutzutage öffentlich zunehmend in Frage gestellt wird.

Apotheken-Umschau: Ist es nicht ein falscher Anreiz, zu sehr auf die Marktwirtschaft zu setzen und zu hoffen, dass sie das optimale Ergebnis erbringen wird. Ist nicht mehr Kontrolle und Transparenz nötig?

Merkel: Die allermeisten Ärzte arbeiten gewissenhaft zum Wohle ihrer Patienten. Wo sich allerdings herausstellt, dass bestimmte Methoden deshalb angewandt werden, weil sie sich für den Behandelnden rechnen, muss sehr genau hingeschaut und kontrolliert werden. Andererseits haben wir die freie Arztwahl, und jeder kann selbst entscheiden, bei wem er oder sie sich behandeln lässt. Offensichtlich funktionieren die Kontrollen nicht so, wie sie sollten. Trotzdem warne ich vor pauschalen Urteilen. Es zählt zu den schwierigsten politischen Aufgaben, die Rahmenbedingungen unseres Gesundheitswesens so zu setzen, dass das medizinische Personal gut und motiviert arbeiten kann und gleichzeitig die Kosten für die Gemeinschaft nicht aus dem Ruder laufen. Das ist eine immerwährende Aufgabe der Gesundheitspolitik. Große Transparenz und eine sachliche öffentliche Diskussion helfen dabei.

Apotheken-Umschau: Offensichtlich funktionieren die Kontrollen nicht so, wie sie sollten.

Merkel: Trotzdem warne ich vor pauschalen Urteilen. Es zählt zu den schwierigsten politischen Aufgaben, die Rahmenbedingungen unseres Gesundheitswesens so zu setzen, dass das medizinische Personal gut und motiviert arbeiten kann und gleichzeitig die Kosten für die Gemeinschaft nicht aus dem Ruder laufen. Das ist eine immerwährende Aufgabe der Gesundheitspolitik. Große Transparenz und eine sachliche öffentliche Diskussion helfen dabei.

Apotheken-Umschau: Genügt das? Denken Sie an den aktuellen Organspendeskandal!

Merkel: Das war ohne Zweifel ein tiefer Vertrauensverlust. Gerade für diejenigen, die verzweifelt auf ein Spenderorgan warten, ist das ein herber Schlag. Ich habe mich stets sehr für die Organspende eingesetzt und werde das weiter tun. Wir sollten deshalb aus individuellem Fehlverhalten keine verallgemeinernden Schlüsse ziehen.

Das Interview führten Dr. Hans Haltmeier und Peter Kanzler für die

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