Gespräch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel bei Verleihung des Deutschen Schulpreises

Sandra Maischberger: Bevor wir die beste Schule küren, wollen wir erst einmal vorstellen, wer - und das ist eine große Ehre und wir freuen uns sehr - den Hauptpreis überreichen wird. Sie ist nämlich jetzt da: Die Bundeskanzlerin, Angela Merkel.

Wir haben schon Sorge gehabt, dass Sie es wegen der Hochwassersituation in Deutschland möglicherweise gar nicht schaffen, hierher zu kommen.

BK’in Merkel: Das wird bei den Terminen, die ich mir für morgen vorgenommen hatte, der Fall sein. Ich denke aber schon, dass wir - auch wenn wir hier heute eine so schöne Veranstaltung haben - einen kleinen Gedanken auch an diejenigen wenden sollten, die zu dieser Stunde in Passau, in Görlitz, in Greiz, in Dresden und in anderen Städten - überall, wo die Menschen Sorgen haben - wirklich um alles kämpfen, was sie haben. Unsere Gedanken sind ein Stück weit dort. Ich werde morgen hinfahren, und der Bund wird genauso wie die Länder schauen, wie wir helfen können. Das ist schon eine wahnsinnige Sache. Insofern geht trotz des schönen Preises heute auch ein kleiner Gedanke an diese Menschen in schwieriger Situation.

Sandra Maischberger: Der ist an alle rausgegangen.

Frau Bundeskanzlerin, die Schule könnte man zur Not noch schwänzen, die Eurokrise nicht. Haben Sie sich in den letzten Monaten einmal gewünscht, wieder 13 Jahre alt zu sein?

BK’in Merkel: Die Schule sollte man auch nicht schwänzen.

Sandra Maischberger: Haben Sie nie ein einziges Mal die Schule geschwänzt?

BK’in Merkel: Nee, Schule geschwänzt habe ich nicht.

Sandra Maischberger: Nicht eine einzige Stunde?

BK’in Merkel: Nein, das war damals - das war bei uns - -

Ich war vielleicht einmal nicht geistig anwesend, ich habe auch einmal geschwatzt und sowas alles, aber physisch habe ich einfach immer dagesessen.

Ich glaube, dass die Schüler angesichts der tollen Schulen, die wir heute haben, sicherlich auch sehr gerne hingehen.

Sandra Maischberger: Welche Note würden Sie sich als Schülerin in Fleiß zwischen eins und sechs geben? Angesichts des Abiturs, mit 1,0 bestanden - -

BK’in Merkel: Zwei, würde ich sagen. Ich hatte es aber gut, mir ist Manches sehr zugefallen. Üben musste ich eigentlich nur in Sport, Handwerken, Nadelarbeit und solchen Sachen.

Sandra Maischberger: Häkeln, Stricken, Sticken?

BK’in Merkel: Richtig, ja, da hatte ich Schwierigkeiten.

Sandra Maischberger: Wenn man Eltern heute fragt, dann haben die ja zwei Punkte. Die sagen: Einerseits wird ständig irgendetwas ausprobiert - zwei Schuljahre zusammen, vorne und hinten wird dann eins weggenommen -, und das alles findet andererseits in Schulen statt, die zum Teil auseinanderfallen, wo der Unterricht ausfällt und wo es einfach einen Leistungsdruck gibt. Da kommt manchen der Gedanke: Könnt ihr nicht einmal weniger Reformen machen und dafür einfach mehr Geld in das System stecken?

BK’in Merkel: Naja, mehr Geld alleine ist es ja auch nicht. Ich glaube, dass es in der Diskussion insgesamt - auch die CDU hat das gemacht - über viele Jahre immer um Schulformen ging. Jetzt haben viele Eltern aber gesagt: Bitte nicht zu jeder Wahl von Landtagen wieder ein neues Schulsystem. Zum Beispiel haben Opposition und Regierung in Nordrhein-Westfalen ja auch eine Art Schulfrieden - ich glaube, so haben sie es genannt - für zehn Jahre beschlossen und einfach einmal gesagt: Wir machen jetzt keine Strukturreformen, sondern wir gucken nur, dass die Qualität des Unterrichts verbessert wird. Ich glaube, das ist auch richtig. Es geht ja um die individuelle Zuwendung zu den Kindern, es geht darum, dass das Lernen Freude macht. Insofern ist die reine Schulformdiskussion etwas, was Eltern, glaube ich, eher belastet.

Sandra Maischberger: Das ist der eine Teil. Der andere ist ja dann doch, dass man einfach auch Schulen sieht, die wirklich von der baulichen Substanz her auseinanderfallen. In vielen Orten fehlen Lehrer. Dann ist es doch eine Frage des Geldes?

BK’in Merkel: Ja, es ist auch eine Frage des Geldes. Nun bin ich diesbezüglich natürlich nicht der allerbeste Ansprechpartner, weil der Bund nicht die Zuständigkeit für die Schulen hat und die Länder manchmal auch ganz argwöhnisch sind, wenn wir uns zu viel einmischen. Dennoch war ich froh - -

Sandra Maischberger: Aber Geldgeschenke nehmen die immer.

BK’in Merkel: Ja, das ist richtig. Wir haben ja auch zum Teil unterstützt, zum Beispiel mit dem Investitionsprogramm für die Kommunen, das wir angesichts der Finanzkrise gemacht haben. Davon ist auch viel in die Schulsanierung hineingegangen. Dennoch ist immer noch sehr viel zu tun. Ich möchte aber jetzt nicht einfach neue Geldgeschenke versprechen.

Sandra Maischberger: Schade.

BK’in Merkel: Schade, sagt sie.

Sandra Maischberger: Nach der Diskussion der letzten Tage - -

BK’in Merkel: Das ist sicherlich nicht der Punkt. Der Bund hat schon viel Verantwortung übernommen. Aber ich glaube, wir wollen jetzt auch die Verantwortung nicht hin- und herschieben.

Als ich meinen Bürgerdialog gemacht habe, waren Schülerinnen und Schüler von 50 Volkshochschulen da, junge Leute, die gesagt haben: Sie müssen sich besser um die Schulen kümmern. Ich habe gesagt: Dafür bin ich nicht zuständig. Dann haben sie gesagt: Dann ändern Sie das, bitte. Darauf habe ich gesagt: Das kann ich nicht, weil die Länder da nicht mitmachen werden. Und dann haben sie gesagt: Was können Sie überhaupt, Frau Merkel? - Da habe ich kapiert: Wir müssen uns gemeinsam darum kümmern. Deshalb hatten wir auch einen Qualifizierungsgipfel mit den Ländern und haben vor allen Dingen gesagt, dass es möglich sein soll, Berufsberatung in den Schulen zu machen, dass sich die Schulen dafür öffnen sollen, damit sich die Schülerinnen und Schüler gerade auch in der Realschule, vielleicht auch in der Hauptschule, frühzeitig eine Vorstellung von ihrem zukünftigen Beruf machen. Wir tun jetzt auch viel beim Ausbau der Kindergärten, beim Bildungspaket, bei Hartz IV. So arbeiten wir Hand in Hand, und zum Schluss müssen wir alle gemeinsam zeigen, dass die Schulen in vernünftigem Zustand sind, und das sind sie leider noch nicht überall. Deshalb muss weiter daran gearbeitet werden.

Sandra Maischberger: Die Bildungsrepublik haben Sie im Jahr 2009 ausgerufen. Sind Sie denn mit dem Erreichten zufrieden, und wo sind die größten Defizite?

BK’in Merkel: Nach 2009 ist es dann gelungen, diesen Qualifizierungsgipfel mit den Ländern zu machen. Wir haben uns auf bestimmte Dinge geeinigt: Halbierung der Zahl der Schulabbrecher, das Recht der Bundesagentur, in den Schulen Berufsberatung zu machen. Das sind zwei Beispiele. Seitdem wir die Sprachstandsprüfungen überall in den Ländern eingeführt haben, ist sicherlich die Sprachqualität auch der Migrantinnen und Migranten besser geworden. Das zeigt, dass auch die Schulabschlüsse besser sind. Aber ich sage einmal: Solange auch nur wenige Schüler keinen Schulabschluss haben, haben wir immer noch etwas zu tun. Wir sind besser geworden bei den Abiturienten, wir sind besser geworden bei der Durchlässigkeit der Ausbildungssysteme. Aber zufrieden kann man noch nicht sein.

Sandra Maischberger: Das kann man wahrscheinlich nie.

Wenn Sie sich jetzt einmal die Schüler ansehen, die hier im Raum sind, und das mit einer Zeit vergleichen, die aus vielen Gründen schwer zu vergleichen ist, nämlich mit Ihrer Schulzeit – glauben Sie, sie gehen jetzt mit einem besseren Rüstzeug ins Leben, als Sie es damals als Schülerin getan haben?

BK’in Merkel: Nun ja, ich bin in der DDR in die Schule gegangen. In Bezug auf manche Dinge wie Meinungsfreiheit haben diese Schülerinnen und Schüler sicherlich einen Vorteil. Aber jetzt nehmen wir einmal die Zeit in der alten Bundesrepublik. Insoweit glaube ich: Ja und nein. Auf der einen Seite ist der Lebensstandard insgesamt besser geworden. Die Gefahr, dass die Gesellschaft noch mehr auseinanderfällt, ist aber auch größer geworden. Wenn ich einmal an die materiellen Möglichkeiten denke: Der eine hat einen Tablet-Computer, und der andere hat vielleicht keinen. Die Frage der Kleidung spielt heute sicherlich eine größere Rolle, sodass die, die Eltern haben, die sich das nicht leisten können, vom Kindergarten an eigentlich schon unter Druck stehen. Wenn es dort darum geht, Spielzeug oder Ähnliches mitzubringen, dann sieht man schon an dem Spielzeug, welche Unterschiede bestehen.

Wir denken manchmal, dass die Schüler von heute vielleicht ganz andere Möglichkeiten haben als vor 30 oder 40 Jahren. Das ist auch so. Aber die Welt ist auch härter geworden, und es gibt nicht mehr die Sicherheit: Wenn ich ordentlich lerne, bekomme ich auch ganz bestimmt einen ordentlichen Arbeitsplatz, und dann bekomme ich auch eine Daueranstellung und muss mich nicht nach drei Jahren wieder anders orientieren. Ich glaube, dass der Druck heute schon sehr groß ist und dass von den Jugendlichen auch sehr dezidiert erwartet wird, dass sie wissen, was sie wollen, dass sie einen klaren Plan haben. Für den, der mit den vielen Möglichkeiten gut umgehen kann, ist es sicherlich toll. Wer damit ein wenig Schwierigkeiten hat, braucht vielleicht oft mehr Begleitung, als heute möglich ist und als die Lehrer ermöglichen können. Denn sie können manches auch nicht ersetzen. Das ist ja auch schwierig.

Sandra Maischberger: Also wären Sie nicht noch einmal gerne 13?

BK’in Merkel: Ach, ich bin sowieso mit meinem Alter zufrieden und hadere nicht.

Das war ich aber schon immer. Es war schön mit 13, es ist schön mit 58. Aber ich will sagen, was mich manchmal verwundert. Die Jugendlichen sind in einer Abschlussklasse, und dann gehen sie auseinander, und es ist schwer, überhaupt noch einmal nachzuvollziehen, was aus ihnen wird. Wenn sie sich nicht bei der Bundesagentur oder anderswo melden, dann ist es ganz schwer, einen Überblick zu bekommen. Ich sage manchmal: Wir verfolgen eigentlich jeden Storch, wie er nach Südafrika fliegt und wieder zurück. Aber manche jungen Menschen verschwinden einfach am Horizont. Das stört mich. Ich würde gerne haben, dass man gerade den Lebensweg derjenigen weiterverfolgt, die Probleme haben, sodass man zwischendurch immer noch einmal Hilfestellung geben kann, ohne dass man gleich mit dem Datenschutz in Konflikt kommt.

Sandra Maischberger: Ich hoffe sehr, dass sich jetzt nicht alle auf Facebook bei Ihnen melden.

BK’in Merkel: Was ganz neu ist, ist natürlich, dass die Eltern, wenn man 18 ist, eigentlich nichts mehr zu sagen haben. Wenn man dann fehlt, dann ist es auf eigene Kappe. Das finde ich auch interessant.

Sandra Maischberger: Man lernt dazu. Ich danke für diesen ersten Auftritt. Wir sehen uns gleich wieder, wenn der Hauptpreis vergeben wird. - Herzlichen Dank.