Gesamteuropäischer Außenpolitikansatz nötig

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Im Wortlaut: Müller Gesamteuropäischer Außenpolitikansatz nötig

Bundesminister Müller fordert von der EU, "mit einem Zehn-Milliarden-Soforthilfeprogramm eine angemessene Antwort auf die größte Herausforderung der EU der letzten 50 Jahre zu geben." Die derzeitige Hilfe in Jordanien, im Libanon und im Nordirak sei "schon viel", sagt er, es brauche aber mehr.

  • Interview mit Gerd Müller
  • Rheinische Post

Das Interview im Wortlaut:

Rheinische Post: Sie haben vor der Flüchtlingsdynamik schon seit Langem gewarnt. Warum hat keiner auf Sie gehört?

Gerd Müller: Wir sind sehr stark auf die Innenpolitik fixiert. Die Situation in den Flüchtlingscamps war schon vor zwei Jahren dramatisch. Es brauchte aber eines Bildes von einem toten Kind am türkischen Strand, damit die Menschen die Katastrophe richtig wahrnahmen und der Weckruf auch bei den europäischen Politikern zu wirken begann.

Rheinische Post: Wie wollen Sie die erreichen, die nicht in Flüchtlingscamps sind, aber auf gepackten Koffern sitzen?

Müller: Indem wir die Situation in der gesamten Region nachhaltig verbessern. Wir versorgen 800.000 Menschen in Jordanien mit Trinkwasser, 60.000 Kinder im Libanon können mit unserer Hilfe zur Schule gehen, im Nordirak werden 250.000 Flüchtlinge gesundheitlich versorgt. Das ist schon viel, was wir machen. Es braucht aber mehr. Deshalb meine Forderung an die EU, mit einem Zehn-Milliarden-Soforthilfeprogramm eine angemessene Antwort auf die größte Herausforderung der EU der letzten 50 Jahre zu geben.

Rheinische Post: Was passiert, wenn Europa beim Flüchtlingsgipfel nicht zusammenfindet?

Müller: Dann wird jeder Staat für sich den Umgang mit Flüchtlingen festlegen müssen. Ein Weiter-so ist jedenfalls nicht akzeptabel. Es ist für uns alle eine Kraftanstrengung, die Menschen, die in ihrer Not zu uns gekommen sind, zu integrieren. Ich warne allerdings auch davor, die Flüchtlingskrise allein innenpolitisch zu sehen. Wir brauchen einen gesamteuropäischen Außenpolitikansatz. Wenn die EU hier auch versagt, werden nicht Hunderttausende, sondern Millionen Flüchtlinge kommen. Europa muss begreifen, dass das Mittelmeer uns nicht trennt, sondern mit Afrika verbindet. Wenn wir die politische und wirtschaftliche Stabilisierung in Afrika und im Nahen Osten nicht als europäische Aufgabe begreifen, werden uns die Folgen überrollen.

Rheinische Post: Was empfehlen Sie?

Müller: Brüssel muss für den EU-Afrika-Gipfel im November die afrikanischen Staats- und Regierungschefs in die Pflicht nehmen und gemeinsame Beschlüsse zur Bekämpfung der Schlepperkriminalität in Afrika fassen. Die afrikanischen Staaten brauchen aber auch das Angebot einer neuen Partnerschaft mit einer Ausbildungsinitiative. Denn es blicken Millionen junge Afrikaner aus Mangel an Perspektiven zuhause nach Europa. Zu ihnen müssen wir gehen und dabei auch unsere Wirtschaftspolitik vollkommen neu konzipieren.

Rheinische Post: Was soll sich in Sachen Wirtschaft verändern?

Müller: 400.000 deutsche Unternehmen sind im Ausland tätig, aber nur 1.000 in Afrika. Das ist nicht weitsichtig. Wir sollten Investitionen der deutschen Wirtschaft in Afrika auch steuerlich fördern. Der Bedarf ist riesig, etwa bei der Entwicklung erneuerbarer Energien. Und das rechnet sich letztlich auch für Deutschland.

Rheinische Post: Sollen Afrikas Staaten weiter Geld bekommen, wenn sie abgelehnte Asylbewerber nicht zurücknehmen?

Müller: Ich halte Sanktionen in solchen Fällen für nicht zielführend. Es ist besser, die fünf bis acht Problemregionen zu stabilisieren und den Menschen einen fairen Handel anzubieten.

Rheinische Post: Was kann die EU in Syrien tun?

Müller: Ich erwarte eine EU-Initiative zur Befassung des Weltsicherheitsrats, um den Krieg und das Morden in Syrien zu stoppen. Auch die Amerikaner sind in der Pflicht, mehr Flüchtlinge aufzunehmen und sich in der Lösung des Konfliktes stärker zu engagieren. Schließlich tragen sie gerade im Irak und in Syrien eine ganz erhebliche Verantwortung für die Probleme, mit denen wir in Europa jetzt konfrontiert sind. Und ohne die stärkere Einbindung Russlands kommen wir auch nicht voran.

Rheinische Post: In Syrien scheinen die USA und Russland im Kampf gegen den islamistischen Terror nun zusammenzugehen. Das stabilisiert aber das Assad-Regime. Ist das die Lösung?

Müller: Angesichts von zehn Millionen Flüchtlingen und 250.000 Toten kann jedenfalls die Fortsetzung des Bürgerkriegs keine Lösung sein. Wir brauchen eine Waffenruhe, wir brauchen Schutzzonen - also muss die Weltgemeinschaft einen neuen Ansatz finden.

Rheinische Post: Auch in Afghanistan gewinnen die Islamisten immer mehr an Einfluss. War der Einsatz vergebens?

Müller: In Afghanistan steht alles in Frage, was wir an enormen Fortschritten erzielt haben. Der Abzug der internationalen Truppen muss überdacht werden. Wenn es beim Zeitplan für den Rückzug bleibt, steuern wir auf einen Massen-Exodus zu. Die nächste Welle von Flüchtlingen wird dann aus Hunderttausenden Afghanen bestehen. Hier brauchen wir neue Antworten, die weit über die jetzige Diskussion hinausgehen. Wenn wir das nicht schaffen, dann können aus 800.000 schnell zwei Millionen Flüchtlinge pro Jahr werden.

Rheinische Post: Ist Angela Merkel Mutti Teresa?

Müller: Die Kanzlerin tut das ihr Mögliche. Wenn alle europäischen Staats- und Regierungschefs diesen Mut und diese Verantwortung zeigen würden, könnten wir die Probleme weit schneller und besser lösen.

Die Fragen stellte Gregor Mayntz für die