Gemeinsamer Deutsch-Französischer Brief an EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy

Sehr geehrter Herr Präsident!

Der Euro ist das Fundament unseres wirtschaftlichen Erfolgs und das Symbol für die politische Einigung unseres Kontinents. Er steht für den Willen Europas, seine innere Entwicklung zu festigen und sich den Herausforderungen der heutigen Zeit gemeinsam zu stellen. Deutschland und Frankreich betrachten es als ihre historische Aufgabe, mit vereinten Kräften die Wirtschafts- und Währungsunion und damit die Stabilität der gemeinsamen Währung zu schützen und zu stärken.

In den letzten Monaten haben die Staats- und Regierungschefs des Euro-Währungsgebiets alle notwendigen Maßnahmen ergriffen, um die Stabilität der Wirtschafts- und Währungsunion aufrechtzuerhalten. Sie haben darüber hinaus klargestellt, dass alle Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets gemeinsam Verantwortung für dieses tragen, insbesondere durch ihre Haushalts- und Wirtschaftspolitik.

Seitdem haben die Europäische Union und die Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets entscheidende Reformen zur Stabilisierung der Wirtschafts- und Währungsunion eingeleitet.

Durch den reformierten Stabilitäts- und Wachstumspakt, das neue Ungleichgewichteverfahren und den Euro Plus-Pakt werden die wirtschafts- und finanzpolitische Koordinierung und Überwachung im Euro-Währungsgebiet gestärkt, und wir stellen sicher, dass jede Abweichung von den von diesen Instrumenten vorgegebenen Zielen frühzeitig erkannt und angegangen wird. Für die mittel- und langfristige Stabilität des Euro-Währungsgebiets spielt diese Präventionspolitik eine zentrale Rolle.

Gleichzeitig haben wir mit der Europäischen Stabilisierungsfazilität (EFSF) und ab Mitte 2013 mit dem Europäischen Stabilisierungsmechanismus (ESM) ein Instrumentarium geschaffen, um gezielt einzugreifen, falls dies unumgänglich ist, um die Stabilität des gesamten Euro-Währungsgebiets – immer im Rahmen adäquater Konditionalität – aufrechtzuerhalten. Von der EFSF begünstigte Mitgliedstaaten unternehmen erhebliche Anstrengungen, um die Ursachen der Krise – vor allem zu hohe Staatsverschuldung und mangelnde Wettbewerbsfähigkeit – wirksam zu bekämpfen.

Alle Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets haben sich dazu verpflichtet, ihre Defizite schnell zurückzufahren, mittelfristig einen ausgeglichenen Haushalt zu erreichen und die nötigen Strukturreformen durchzuführen, um die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Volkswirtschaften nachhaltig zu stärken.

Frankreich und Deutschland sind entschlossen, alle Beschlüsse der Staats- und Regierungschefs vom 21. Juli vollständig und fristgerecht umzusetzen. Beide Länder heben hervor, wie wichtig es ist, bis Ende September die Zustimmung ihrer jeweiligen Parlamente zu allen einschlägigen Beschlüssen zu erhalten. Sie rufen alle Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets auf, angemessene Maßnahmen zu ergreifen, damit die neue EFSF Ende September voll einsatzbereit ist. Frankreich und Deutschland fordern die schnelle Fertigstellung des Legislativpakets für die Stärkung des Stabilitäts- und Wachstumspakts und die neue makroökonomische Überwachung.

Mit Blick auf Punkt 16 der Erklärung der Staats- und Regierungschefs des Euro-Währungsgebiets vom 21. Juli schlagen Frankreich und Deutschland vor, die wirtschaftspolitische Steuerung des Euro-Währungsgebiets in Übereinstimmung mit den bestehenden Verträgen weiter zu stärken.

1/ Steuerung des Euro-Währungsgebiets stärken

Mit den Beschlüssen des letzten Jahres wird das Ziel verfolgt, in allen Mitgliedstaaten die Stabilität zu erhöhen und das Wachstum voranzutreiben. Zur Unterstützung dieses Prozesses muss der institutionelle Rahmen des Euro-Währungsgebiets gestärkt und straffer organisiert werden, damit der Entscheidungsfindungsprozess effizienter wird und seine Einrichtungen und Verfahren besser aufeinander abgestimmt sind.

Dieser Rahmen sollte sich auf folgende Vorschläge stützen:

 Regelmäßige Treffen der Staats- und Regierungschefs des Euro-Währungsgebiets: Diese Treffen werden zweimal pro Jahr und wenn nötig zu außerordentlichen Sitzungen einberufen und dienen als Eckpfeiler der verbesserten wirtschaftlichen Steuerung des Euro-Währungsgebiets. Dort würden insbesondere die korrekte Umsetzung des Stabilitäts- und Wachstumspakt durch die Euro-Mitgliedstaaten überprüft, die Probleme einzelner Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets diskutiert und die notwendigen Grundsatzentscheidungen zur Krisenabwehr getroffen. Auf diesen Gipfeltreffen werden außerdem die Entwicklung der Wettbewerbsfähigkeit im Euro-Währungsgebiet bewertet und die Eckpfeiler der dortigen Wirtschaftspolitik definiert, um nachhaltiges Wachstum zu fördern, die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken und das Entstehen von Ungleichgewichten zu verhindern.

 Die Staats- und Regierungschefs des Euro-Währungsgebiets sollten einen Vorsitz wählen, der im Regelfall zweieinhalb Jahre im Amt bleibt. Wir haben unserem Wunsch Ausdruck verliehen, dass Du diese Aufgabe übernimmst.

 Die Euro-Gruppe der Finanzminister sollte gestärkt werden.

 Die Instrumente von EFSF/ESM wurden durch die Beschlüsse vom 21. Juli ausgeweitet. Im Rahmen angemessener Konditionalität werden ihre Wirksamkeit und Flexibilität erhöht. Um der neuen Rolle gerecht zu werden, sollte der ESM neue Analysekapazitäten erhalten, insbesondere in Bezug auf die Analyse von Schulden und Kapitalmärkten; dies wäre als Ergänzung zu der Analyse und den Empfehlungen von Europäischer Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds zu sehen.

2/ Bessere  Überwachung  und  Einbeziehung  der  Haushalts- und  Wirtschaftspolitik

Die Wirtschafts- und Währungsunion muss auf einer noch engeren Koordinierung der nationalen Haushalts- und Wirtschaftspolitik aufbauen.

Sie sollte mithilfe der folgenden Vorschläge weiter gestärkt werden:

 Auf der Grundlage ihrer Verpflichtungen aus dem Euro Plus-Pakt werden alle Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets bis Sommer 2012 eine finanzpolitische Regelung für einen ausgeglichenen Haushalt in ihr innerstaatliches Recht aufnehmen. Grundsätzlich wird diese Regel in die Verfassung der Mitgliedstaaten geschrieben oder in Recht gleichen Ranges, um ihre Beständigkeit und ihren Vorrang gegenüber dem jährlichen Haushalt sicherzustellen. Die Regel sollte die Vorgaben des Stabilitäts- und Wachstumspaktes umsetzen und sicherstellen, dass jeder Mitgliedstaat des Euro-Währungsgebiets seinen Haushalt so schnell wie möglich ausgleicht. Dadurch würde sie einen anhaltenden Abbau der Schuldensalden sicherstellen für den Fall, dass diese den Referenzwert (60 Prozent des BIP) überschreiten. Im Einklang mit dem verbesserten Stabilitäts- und Wachstumspakt müssen alle Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets, deren Schuldenstand den Referenzwert übersteigt, bis Ende 2011 einen Anpassungspfad zum Abbau ihrer Staatsschuld unter den Referenzwert vorlegen und offenlegen, wie mit den Auswirkungen der alternden Bevölkerung auf die langfristige Schuldentragfähigkeit umgegangen wird.

  Alle Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets sollten unverzüglich ihre feste Absicht bekräftigen, die an sie gerichteten europäischen Empfehlungen zur Haushaltssanierung und für Strukturreformen – insbesondere in den Bereichen Arbeitsmarktpolitik, Wettbewerb im Dienstleistungsbereich und Rentenpolitik – rasch umzusetzen und ihre Haushaltsentwürfe in angemessener Weise anpassen.

  Wir werden uns dafür einsetzen, dass sich die Regierungen und Parlamente aller Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets zur Anpassung ihrer Haushaltsentwürfe bekennen, falls sie im Rahmen des europäischen Semesters entsprechende Empfehlungen erhalten.

  Im Einklang mit dem Euro Plus-Pakt sollten die Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, um die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen, mehr Arbeitsplätze zu schaffen, die Stabilität des gesamten Euro-Währungsgebiets zu gewährleisten und die wirtschaftliche Integration zu verstärken. Insbesondere die Koordinierung der Steuerpolitik sollte weiter vorangetrieben werden, um einen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung und zum Wirtschaftswachstum zu leisten. Die Mitgliedstaaten sollten sich darum bemühen, die Verhandlungen über den Vorschlag der Kommission zu einer „gemeinsamen konsolidierten Körperschaftssteuerbemessungsgrundlage“ vor Ende des Jahres 2012 abzuschließen. Die Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets sollten bereit sein, eine verstärkte Zusammenarbeit zur Erzielung weiterer Fortschritte bei der Steuerkoordinierung in Erwägung zu ziehen. Die Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets sollten ihre Zusammenarbeit intensivieren, um schädliche Steuerpraktiken zu verhindern sowie Betrug und Steuerhinterziehung zu bekämpfen.

   Zur Unterstützung notwendiger Reformen sollten die Struktur- und der Kohäsionsfonds genutzt werden, um Wirtschaftswachstum und Wettbewerbsfähigkeit im Euro-Währungsgebiet voranzutreiben. Die makroökonomische Konditionalität des Kohäsionsfonds sollte auf die Strukturfonds ausgeweitet werden. Die Fonds sollten darauf abzielen, die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen und Ungleichgewichte in den Mitgliedstaaten zu verringern, die im Rahmen des Ungleichgewichteverfahrens Empfehlungen erhalten. Bei Programmländern sollte die Europäische Kommission automatisch prüfen, ob das makroökonomische Anpassungsprogramm durch Struktur- und Kohäsionsfonds optimal unterstützt wird. Sie sollte hier auch in die Auswahl und Umsetzung der Projekte eingebunden sein. Innerhalb der Europäischen Kommission sollte dem Kommissar für Wirtschaft und Währung in diesem Prozess eine entscheidende Rolle zukommen. Mittel, die von den Programmländern nicht genutzt werden, könnten in einem Fonds für Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit gebündelt werden, der auf europäischer Ebene von der Kommission verwaltet wird. Zukünftig sollten Zahlungen aus den Strukturfonds und dem Kohäsionsfonds an Länder des Euro-Währungsgebiets, die sich nicht an die Empfehlungen im Rahmen des Defizitverfahrens halten, ausgesetzt werden. Diese Änderungen sollten in den neuen Struktur- und Kohäsionsfondsverordnungen umgesetzt werden, die für den nächsten mehrjährigen Finanzrahmen vorgeschlagen werden.

Die zuvor erwähnten Vorschläge sollten so umgesetzt werden, dass sie dem Zusammenhalt der gesamten Europäischen Union dienlich sind. Das Europäische Parlament, die Europäische Kommission und die einzelstaatlichen Parlamente sollten in ihrer jeweiligen Zuständigkeiten an dem Prozess teilhaben. Unter den Bestimmungen des geltenden Vertrages sollten Unionsrechtsakte einschließlich Rechtsakte nach Art. 136 AEUV und im Rahmen der verstärkten Zusammenarbeit in Erwägung gezogen werden.

Schließlich wollen wir Dich davon in Kenntnis setzen, dass wir beschlossen haben, in eine neue Etappe der wirtschaftlichen und budgetären Annährung zwischen unseren beiden Ländern einzutreten.

Hierzu haben wir die folgenden drei Entscheidungen getroffen:

1.) Wir haben unsere Finanzminister gebeten, bis Ende September einen gemeinsamen Vorschlag zur Finanztransaktionssteuer zu erarbeiten, um zu den Überlegungen der Europäischen Kommission beizutragen.

2.) Wir haben entschieden, uns zu Beginn jedes Europäischen Semesters zu treffen, um uns zu unseren Wirtschafts- und Haushaltspolitiken auszutauschen und um gemeinsam die makroökonomischen Annahmen für unsere Haushalte festzulegen. Ein erstes Treffen wird im Januar 2012 stattfinden.

3.)  Im Hinblick auf das 50-jährige Jubiläum des Elyséevertrags haben wir unsere Wirtschafts- und Finanzminister gebeten, Vorschläge im Hinblick auf die Konvergenz und erhöhte Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaften zu erarbeiten.

Wir haben sie insbesondere gebeten, einen Vorschlag für eine gemeinsame Unternehmenssteuer unserer beiden Länder zu erarbeiten, einschließlich einer Harmonisierung der Bemessungsgrundlage und der Steuersätze. Diese soll ab 2013 umgesetzt werden.

Mit freundlichen Grüßen

Angela Merkel            Nicolas Sarkozy