Sozialpolitik, Beziehungen zu Indien und Bekämpfung der Pandemie im Fokus

EU-Treffen in Porto Sozialpolitik, Beziehungen zu Indien und Bekämpfung der Pandemie im Fokus

Bundeskanzlerin Merkel hat am Freitag und Samstag virtuell an einem informellen Europäischen Rat der Staats- und Regierungschefs in Porto teilgenommen. Im Mittelpunkt stand neben der Pandemiebekämpfung die Europäische Sozialpolitik. Bei einem EU-Indien-Gipfel ging es um den Ausbau der Beziehungen zur bevölkerungsreichsten Demokratie der Welt.

5 Min. Lesedauer

Kanzlerin Merkel nimmt digital im Kanzleramt am EU-Indien-Gipfel teil.

Zum EU-Indien-Gipfel schaltete sich der indische Ministerpräsident Modi per Video zu, Kanzlerin Merkel nahm vom Berliner Kanzleramt aus teil.

Foto: Bundesregierung/Kugler

Die portugiesische EU-Ratspräsidentschaft hat an diesem Wochenende zu einem zweitägigen Gipfel nach Porto eingeladen. Er gliederte sich in drei Teile: einen Sozialgipfel, einen informellen Europäischen Rat sowie einen EU-Indien-Gipfel. Einige Teilnehmer waren vor Ort, andere – wie Kanzlerin Merkel – nahmen digital teil.

Portugal ist es in den vergangenen Monaten gelungen, mit intensiven Maßnahmen die Inzidenzzahlen in den Griff zu bekommen. Dennoch hat die Bundeskanzlerin Ministerpräsident Costa gebeten, per Videozuschaltung an dem Gipfel teilzunehmen. Sie traf diese Entscheidung mit Blick auf die Situation in Deutschland und die strengen Beschränkungen, unter denen die Menschen in Deutschland derzeit zu leben haben.

Soziale Dimension Europas stärken

Im Mittelpunkt des Treffens stand die Europäische Sozialpolitik – ein Schwerpunkt der portugiesischen EU-Ratspräsidentschaft. Bevor am Freitagabend alle 27 Staats- und Regierungschefs zu ersten Gesprächen zusammengekommen sind, fand bereits am Nachmittag eine hochrangige Konferenz zur Umsetzung der Europäischen Säule sozialer Rechte statt.

Dazu eingeladen waren die Staats- und Regierungschefs oder in Vertretung die Arbeits- und Sozialminister. Für die Bundesregierung war Bundessozialminister Heil dabei. Außerdem nehmen die Spitzen der EU-Institutionen teil sowie die Sozialpartner und Vertreter der Zivilgesellschaft. Die europäischen Sozialpartner verabschiedeten eine Erklärung zur Stärkung der Europäischen Säule Sozialer Rechte, das sogenannte „Porto Social Commitment“  (Englisch).

Ausgangspunkt der Gespräche war der Aktionsplan der Europäischen Kommission zur Umsetzung der Europäischen Säule sozialer Rechte, die auf dem Sozialgipfel 2017 im schwedischen Göteborg proklamiert wurde. Der Aktionsplan legt drei Hauptziele fest, die bis 2030 erreicht werden sollen:
1. Beschäftigungsquote der 20-64-Jährigen von mindestens 78 Prozent in der Europäischen Union
2. jährliche Fortbildungen für mindestens 60 Prozent der Erwachsenen, 
3. Verringerung der Zahl der von sozialer Ausgrenzung oder Armut bedrohten Menschen um mindestens 15 Millionen Menschen, darunter 5 Millionen Kinder

Staats- und Regierungschefs verabschieden „Erklärung von Porto“

Beim anschließenden informellen Europäischen Rat am Samstag befassten sich die Staats- und Regierungschefs ebenfalls mit der sozialen Dimension der EU und verständigten sich auf die „Erklärung von Porto“ . Kanzlerin Merkel begrüßte den Aktionsplan der Kommission. Die Diskussion zum sozialen Europa habe zum richtigen Zeitpunkt stattgefunden – denn in allen Mitgliedsstaaten „sind gerade junge Menschen sehr stark beeinträchtigt“, auch Arbeitsplätze seien in Gefahr. Die soziale Säule der Europäischen Union sei daher „von ganz besonderer Wichtigkeit“. 

Europäische Sozialpolitik – Warum ist das wichtig? 
Die Folgen der Pandemie, der Klimawandel und digitale Wandel stellen die EU vor enorme Herausforderungen. Die soziale Dimension spielt dabei eine wichtige Rolle. Das Bekenntnis zu Einheit und Solidarität der EU bedeutet auch, Chancengleichheit für alle zu gewährleisten und dafür zu sorgen, dass niemand zurückgelassen wird.

Stadtansicht von Porto.

Küstenstadt im nordwestlichen Portugal: Porto war Gastgeber für das Treffen des Europäischen Rats.

Foto: mauritius images / Diversion / Ebiko Wataru

Austausch über die Pandemie

Neben der EU-Sozialpolitik war die Pandemiebekämpfung ein weiteres wichtiges Thema der Staats- und Regierungschefs. Kanzlerin Merkel begrüßte es sehr, dass die Europäische Kommission einen weiteren großen Vertrag mit BionTech/Pfizer abgeschlossen hat, der zusätzliche und künftige Impfungen in den Blick nimmt. Der Vertrag umfasse auch Leistungen des Herstellers für die Anpassung des Impfstoffs, wenn es zu Mutationen komme. „Wir werden diese mittel- und langfristige Produktion von Impfstoffen und die Unterstützung von Innovation und Wissenschaft natürlich brauchen“, erklärte Merkel.

Rat diskutiert Patentschutz für Impfstoffe 

Merkel berichtete, der Rat habe eine sehr ausgewogene Diskussion über die Impfstoffe geführt. Sie habe deutlich gemacht, dass sie in der Freigabe von Patenten nicht die Lösung sehe, um mehr Menschen mit Impfstoff zu versorgen. Dafür brauche man vielmehr „die Kreativität und Innovationskraft der Unternehmen“ – und dazu „gehört für mich der Patentschutz“, betonte Merkel. Es gebe keinerlei Anzeichen dafür, dass die Hersteller nicht daran arbeiten, „die Produktionskapazität zu erhöhen, Lizenzen zu vergeben und zu kooperieren“. Der Weg von BionTech vom StartUp zum Großproduzenten zeige, „in welcher Geschwindigkeit hier wie viel geschafft wurde“.

01:43

Video Merkel: Patentfreigabe hätte „mehr Risiken als Chancen“

Wichtig sei, „wirklich auch qualitativ hochwertigen Impfstoff herzustellen“, so Merkel. Wenn eine Patentfreigabe erfolge, ohne dass die Qualität  „jedes Mal gut kontrolliert werden kann, dann sehe ich mehr Risiken als Chancen“. „Wir werden alles tun, um die Produktion von Impfstoff zu erhöhen und allen Teilen der Welt Zugang zu Werken geben, die diesen Impfstoff herstellen“, erklärte Merkel. Die Infragestellung des Patentschutzes sei jedoch „nicht der Weg, der uns zu mehr und besseren Impfstoff führt“.   

Zusammenarbeit mit Indien vertiefen

Bundeskanzlerin Merkel hatte sich bereits am Freitagabend per Video nach Porto dazugeschaltet, um gemeinsam mit den anderen Staats- und Regierungschefs auch den EU-Indien-Gipfel vorzubereiten. Dieser fand mit allen europäischen Ratsmitgliedern am Samstag statt. Der indische Ministerpräsident Modi nahm virtuell daran teil.

Kooperation bei Impfstoffproduktion 

Die Corona-Pandemie war mit Blick auf die stark angestiegenen Inzidenzzahlen in Indien ein Schwerpunkt der Gespräche. Alle EU-Staaten hätten „mit Hilfsleistungen für Indien versucht, das Leid, das dieses Land im Augenblick durchmacht, zu mildern“, so Merkel. Dafür habe Premierminister Modi seinen Dank ausgedrückt.

Auf dem Gipfel haben die EU und Indien sich über die Zusammenarbeit bei der Impfstoffproduktion ausgetauscht. Die Kanzlerin betonte, sie könne sich hier eine noch engere Kooperation vorstellen. Die Produktion werde noch Jahre anhalten, „um das Virus wirklich zu besiegen“.

Austausch über Klimaschutz und Freihandel

Mit Blick auf den Klimaschutz bereiteten die EU und Indien gemeinsam den Weltklimagipfel vor, der im November in Glasgow stattfinden wird. Indien habe „eine Vielzahl von doch recht gigantischen Initiativen zum Ausbau der Energieversorgung mit erneuerbaren Energien, vor allem auch mit Sonnenenergie, auf den Weg gebracht“, so Merkel. Im Bereich des Handels habe der Gipfel dazu geführt, dass „wieder Schwung in das Freihandelsabkommen gekommen ist“, unterstrich Merkel. Die Arbeiten daran könnten nun „mit sehr viel mehr Tempo fortgesetzt werden“.

Warum sind die Beziehungen der EU zu Indien wichtig?
Indien ist eine der größten und am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften der Welt. Vor der Corona-Pandemie wuchs das Bruttoinlandsprodukt des Landes jährlich um etwa sechs Prozent. Die EU ist der größte Handelspartner Indiens, während Indien der neuntgrößte Handelspartner der EU ist. Eine vertiefte Zusammenarbeit soll den Menschen in der EU und Indien konkrete Vorteile bieten  - basierend auf gemeinsamen Grundsätzen und Werten wie Demokratie, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Achtung der Menschenrechte.