Bürgergespräch in Erfurt

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"Wie wollen wir in Zukunft zusammenleben?" - Über diese Frage sprach Bundeskanzlerin Angela Merkel am 29. Februar 2012 eineinhalb Stunden mit Bürgerinnen und Bürgern in Erfurt. Die Diskussion gliederte sich in drei Themen: Generationen, Sicherheit und Identität.

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Moderator: Meine Damen und Herren, herzlich willkommen zum ersten Bürgerdialog mit der Bundeskanzlerin hier im schönen Kaisersaal, herzlich willkommen hier in Erfurt! Schön, dass Sie mit dabei sind. Wir begrüßen Sie, die Gastgeberin des heutigen Abends, Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel.

Frau Bundeskanzlerin, wir wollen mit den Damen und Herren, die heute hier bei uns zu Gast sind, darüber sprechen, wie wir in Zukunft zusammenleben werden. Das ist ein Bürgerdialog, etwas Neues. Sie sprechen natürlich immer mit Bürgerinnen und Bürgern, aber diese Form ist etwas Neues. Was erwarten Sie sich vom heutigen Abend?

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Ich möchte erst mal Danke schön sagen, dass Sie sich auf diese und jene Weise gemeldet haben und hier mit dabei sein wollen. Wir haben ja ein bisschen vertauschte Rollen heute. Ich bin heute hier, um auf Sie zu hören und zu hören, was Sie für Vorstellungen haben. Das schließt nicht aus, dass ich, wenn Sie mich etwas fragen, auch etwas dazu sagen kann. Aber eigentlich bin ich hier, um von Ihnen Anregungen zu bekommen, nämlich zu der Frage: Wie wollen wir zusammenleben? Es geht also jetzt nicht darum, wie wir heute zusammenleben, sondern: Wie sollte es in fünf bis zehn Jahren sein? Was ist heute gut? Was sollte man bewahren? Was ist heute nicht so gut? Was sollte sich verändern? Darum geht es.

Wir werden in zwei anderen Städten noch zwei andere Fragen behandeln, aber mit Ihnen diskutieren wir heute hier die Frage: Wie wollen wir in Zukunft zusammenleben?

Moderator: Das ist, glaube ich, ein ganz wichtiger Punkt. Jeder kennt es, die Tagespolitik ist Tag für Tag damit beschäftigt, Sie aus Ihrem täglichen Leben. Man ist mit dem eigentlichen täglichen Leben schon beschäftigt, aber man muss natürlich darüber nachdenken: Was passiert nach mir? Was passiert mit meinen Kindern, mit meinen Kindeskindern, mit meiner Gemeinde, mit meiner Stadt?

Warum Erfurt als erste Station?

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Wir haben natürlich überlegt: Wo geht man hin, wenn man drei solcher Bürgerdialoge macht? Geht man in einen ganz kleinen Ort? Geht man in eine ganz große Stadt? Dann haben wir uns für mittelgroße Städte entschieden. Da war natürlich klar: Eine dieser Städte muss in den neuen Bundesländern liegen. Erfurt ist ja, wie Sie wahrscheinlich auch finden, eine sympathische Stadt, aber auch eine vielfältige Stadt. So hatten wir uns gedacht, Erfurt könnte eine gute Stadt sein. Wir haben dann mal herumgefragt. Der Kaisersaal bietet sich für ein solches Forum an. Die Medien waren hier auch ganz aufgeschlossen. Insofern, finde ich, war das eine gute Wahl. Die anderen beiden Städte werden Bielefeld und Heidelberg sein, also auch Städte mittlerer Größenordnung.

Moderator: Meine Damen und Herren, was man jetzt schon sagen kann: Ihr macht alle eine super Figur! Sieht unglaublich gut aus! Sehr gut! Genauso muss das sein. Da muss sich keiner verstecken.

Dann fangen wir an, meine Damen und Herren, Frau Bundeskanzlerin. Wir haben hier unten die drei großen Themen auf unserem Teppich noch mal notiert: einmal Generationen, das nächste Thema Sicherheit und hinten noch Identität. Das heißt, wir beginnen jetzt mit dem Thema Generationen, was ja wirklich sehr weit und sehr groß ist.

Um vielleicht auch ein paar Anregungen für die Diskussion, für die Vorschläge zu bekommen, haben wir einen kleinen Film vorbereitet. Bitte schön.

Thema "Generationen"

(Einspielfilm Generationen)

Dialog über Deutschlands Zukunft, unser erster Punkt: Generationen. Meine Damen und Herren, jetzt sind Sie gefordert; ich kann jetzt gar nichts mehr machen. Hände einfach hoch! Wer - Verantwortung war ja ein Thema - übernimmt Verantwortung in seinem Bereich und sagt, das mache ich gerne in vollem Engagement, habe aber auch ein Problem, dass es unter Umständen gar nicht so gut läuft? - Fangen wir mit dem Herrn hier vorne an.

Bürger: Werte Frau Bundeskanzlerin! Wir leben in einer sehr bewegten Zeit mit sozialen Konflikten. Die demografische Entwicklung lässt uns nichts Gutes ahnen. Ich mache es kurz: Arbeitslosigkeit, Zeitarbeit, Billiglöhne, all das verschärft diesen Konflikt.

Ich plädiere für ein bedingungsloses Grundeinkommen, das in die Gesellschaft wächst, das soziale Konflikte entschärfen hilft, existenzsichernd ist und auch die Armut in gewissem Maße begrenzen kann.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Danke schön. - Wollen wir es so machen, dass Sie ganz kurz immer Ihren Namen sagen?

Bürger: Mein Name ist Uwe Motthorst (?), ich komme aus Tambach-Diethartz und beschäftige mich seit drei Jahren mit diesen sozialen Problemen seit der letzten Krise 2009. Vorher habe ich mich mit diesem Problem überhaupt nicht beschäftigt.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Und dadurch sind Sie darauf gekommen. Ich kann Ihnen verraten, dass auch im Internet-Dialog das Thema Grundeinkommen eine Riesenrolle spielt. Ich gebe einfach nur noch einmal zu bedenken: Das ist ein Thema, das wir in der Gesellschaft diskutieren müssen. Wenn man das jedem einfach erst einmal gibt, dann müsste man wahrscheinlich die Steuern ziemlich erhöhen, weil das relativ teuer ist.

Die Frage, die sich anschließt - ich bin ja nicht hier, um das gleich zu bewerten, aber ich sage es einfach nur in den Raum -, ist: Werden dann die Leute noch Lust haben, darüber hinaus zu arbeiten? Wird also jemand noch etwas mehr verdienen? Oder werden sie nicht Lust haben?

Eine zweite Bemerkung: Wir haben ja durch die Existenzsicherung, die Grundsicherung, für die, die keine Arbeit haben, schon etwas Ähnliches, aber eben nicht so viel, dass das dem Grundeinkommen entsprechen würde.

Moderator: Frau Bundeskanzlerin hat es schon gesagt: Bitte stellen Sie sich vor. Wir wollen natürlich wissen, mit wem wir heute das Vergnügen haben.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Sie glauben aber, das Zusammenleben wird dann besser, nicht wahr?

Bürger: Mein Name ist Helmut Gumbert (?). Ich bin Landwirt, ich komme aus dem Saale-Orla-Kreis, aus dem am dünnsten besiedelten Kreis des Thüringer Landes. Frau Bundeskanzlerin, in Thüringen leben etwa 70 Prozent der Menschen im ländlichen Raum. In Thüringen ist die gesamte Agrobusinessbranche mit dem nachgelagerten Gewerbe der zweitstärkste oder vielleicht sogar der stärkste Zweig nach der Autoindustrie.

Ich denke, im ländlichen Raum schlummert viel mehr Potenzial, als wir ihm zurzeit Beachtung schenken. Warum? Wir können, zumindest in Thüringen, unsere Landwirtschaft noch ein Stück weit ausbauen. Wir können damit Wertschöpfung im ländlichen Raum halten. Wir haben hier auf der Fläche relativ wenig Vieheinheiten; hier ist mehr drin. Das ist Punkt eins.

Punkt zwei ist: Wir können nachwachsende Rohstoffe, wir können erneuerbare Energien, all dies machen. Wir können durch Umnutzung ehemaliger Bauerngehöfte touristische, aber auch für die ältere Generation Unterkünfte schaffen. Auf dem Lande ist durchaus Lebensqualität.

Was mir am Herzen liegt, ist, dass wir in dieser Zukunftsdebatte, die wir heute führen - wie wollen wir miteinander leben? -, die Potenziale des ländlichen Raumes beachten und dass sie ganz bewusst viel mehr behandelt werden als bisher. Ich habe die Befürchtung, wir gehen unter zwischen den vielen großen Problemen der Städte.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Na, nun sind Sie der Zweite gewesen, der drankommt. Also können wir gar nicht sagen, es geht unter.

Es ist so, dass in Deutschland mindestens die Hälfte in ländlichen Räumen lebt. Da stellt sich schon ein Haufen Fragen: Wie ist das mit der Einkaufsversorgung in Zukunft? Wie ist das mit der Verkehrsanbindung? Wie ist das mit Breitbandanschluss? Davon hängt ja die Lebensqualität ab. Ich glaube, wenn wir das alles sicherstellen, dann kann der ländliche Raum eine Hoffnung in die Zukunft haben. Aber wir nehmen das natürlich als Ihren Vorschlag auf: Vergessen wir die ländlichen Räume nicht.

Denn wenn die ländlichen Räume nicht mehr besiedelt werden, hat das natürlich auch für die Städter ganz schreckliche Wirkungen, nicht?

Moderator: Absolut. Ich komme ja aus Bayern. Das kennen wir auch bei uns aus Oberfranken. Da ist es auch zum Teil schon schwierig.

Nehmen wir doch mal eine Dame. Dann nehmen wir diese Dame, weil sie sich schon von Anfang an gemeldet hat.

Bürgerin: Mein Name ist Marion Seber (?). Ich möchte Ihnen gerne zum Thema Ehrenamt etwas mit auf den Weg geben. Ich komme aus dem alten, traditionellen Ehrenamt, bin also seit über 40 Jahren im Engagement tätig. Wir haben ein paar Probleme, die zum Thema Generationen passen. Neben mir - Sie saßen ja vorhin hier - sind junge Menschen. Ich habe das Ehrenamt anders erlernt und übe es anders aus. Junge Menschen - wir haben uns heute unterhalten - werden es nicht so traditionell über 30, 40 Jahre begleiten, sondern kurzfristig. Ehrenamt ist eine Querschnittsaufgabe. Das heißt, man findet in allen Bereichen das Ehrenamt wieder.

Aber wir brauchen Bedingungen, sehr geehrte Frau Dr. Merkel: dass junge Menschen Anerkennung finden, dass Ehrenamt eine Wertschätzung erfährt, auch über Öffentlichkeitsarbeit. In Thüringen haben wir viele gute Bedingungen. In Thüringen gibt es eine Thüringer Ehrenamtsstiftung. Ehrenamt muss aus den Verwaltungen heraus. Die Strukturen sind so schwer. Ich komme aus einer Verwaltung und sage: Das Zuwendungsrecht ist so kompliziert, dass man sagt: Nein, mache ich nicht; da muss ich mich mit so viel Gesetzlichkeiten befassen.

Moderator: Gibt es einen Punkt, von dem Sie sagen würden, wenn wir da dem Ehrenamt etwas geben, das wäre ein super Signal, würde toll in das Ehrenamt wirken?

Bürgerin: Ja. Ein Punkt wäre - ob es überhaupt umsetzbar ist, weiß ich nicht -: Inwieweit kann man Ehrenamt oder ehrenamtliche Tätigkeit auch bei der Rentenberechnung berücksichtigen?

Der Bundesfreiwilligendienst ist eine tolle Geschichte. Wir haben mehr Nachfrage, als überhaupt bedient werden kann.

Die nächste Frage ist die Sicherheit im Ehrenamt, wenn ich Verantwortung nach § 26 BGB übernehme. Wir haben die beschränkte Haftung in Deutschland. Es würde dem Ehrenamt einen großen Gewinn bringen, wenn wir die Gesetzgebung dahin bringen könnten, dass sie die einfache Fahrlässigkeit generell schützt.

Warum bekommt ein Übungsleiter praktisch 2.100 Euro steuerfrei und die anderen, die in Verantwortung stehen, mit der Ehrenamtspauschale nur 500 Euro?

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Das sind drei Punkte: steuerliche Behandlung, rechtliche Behandlung, was die Absicherung anbelangt, und das Dritte war die Anerkennung auch irgendwo im Rentenrecht oder zumindest in der beruflichen Anerkennung oder so ähnlich. Das sind drei Punkte, die, glaube ich, schon ganz wichtig sind.

Moderator: Ich frage mal die beiden jungen Damen, weil sie gerade von der Vorrednerin angesprochen wurden: Wollen Sie auch etwas sagen? Haben Sie auch einen Vorschlag, etwas, was sich die Bundeskanzlerin ins Stammbuch schreiben sollte?

Schülerin: Ja. Mein Name ist Johanna Joy Obst (?). Ich bin Schülerin der 12. Klasse hier in Erfurt. Deshalb interessiert mich natürlich das Thema Bildung sehr. Ich habe mich darüber mit sehr vielen Leuten unterhalten. Ich habe auch in dem Online-Dialog mal nachgelesen. Ganz viele in Deutschland sagen: Bildung muss endlich Bundessache werden. Das ist natürlich eine enorme Veränderung. Das Grundgesetz müsste geändert werden.

Moderator: Das ist eine wirkliche Zukunftsaufgabe.

Schülerin: Aber da wir hier wirklich über die Zukunft, über die langfristige Zukunft reden, denke ich, wäre das etwas, was man endlich einmal ins Auge fassen muss.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Was erhoffen Sie sich davon? Stellen Sie sich mal vor, die Bundesregierung macht da einen Fehler - der geht dann gleich auf alle deutschen Schüler. So kommen wenigstens nur die in Thüringen dran, wenn die thüringische Regierung einen Fehler macht.

Moderator: Aber ich dachte, die Bundesregierung macht keine Fehler.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Solange ich da bin, können wir ja noch darüber reden, ob es Fehlentwicklungen gibt. Aber - -

Spaß beiseite: Warum? Wegen des Umziehens? Wegen der Vergleichbarkeit? Was fürchten Sie? Oder was gefällt Ihnen nicht?

Schülerin: Das sind auf jeden Fall zwei Punkte. Die Vergleichbarkeit fehlt total. Dann ist es diese Umstellung, wenn man umziehen muss. Zum anderen ist es so, dass in den einzelnen Bundesländern ständig das System verändert wird. Es gibt verschiedene Systeme in verschiedenen Bundesländern. Immer wenn eine neue Partei an die Macht kommt, verändert sie das wieder.

Das ist auch ein enormer Kostenaufwand. Ich denke, dass man auch eine Menge Kosten sparen würde, wenn man das einfach einheitlich machen würde und wenn einheitlich für Deutschland Experten ein System entwickeln würden, das dann auch wirklich zukunftsfördernd und bildungsfördernd ist.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Wir nehmen ja heute die Vorschläge auf. Ob ich diesen Vorschlag umsetzen kann, weiß ich nicht. Aber zumindest können wir mit den Ländern noch einmal sprechen. Die Vergleichbarkeit ist ein ganz wichtiger Punkt; umziehen zu können ist ein ganz wichtiger Punkt. Okay.

Moderator: Ich habe noch eine Frage. Beobachten Sie das auch, dass die Bildungspolitik immer hektischer wird, dass jeden Tag etwas Neues kommt, dass man sich immer wieder auf etwas Neues einstellen muss?

Schülerin: Jeden Tag ist vielleicht übertrieben. Aber das Bildungssystem verändert sich schon ständig, was, denke ich, meist weniger Nutzen bringt. Es geht mehr darum, wirklich vor Ort gute Bedingungen zu haben, genügend Lehrer zu haben.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen haben Regierung und Opposition jetzt eine Art Schulfrieden geschlossen. Sie haben sich mal auf zehn Jahre geeinigt, damit eine Schülergeneration einmal durchgehen und sagen kann, ich habe nicht jedes Jahr ein anderes Klassenmodell usw.

Das hat ja nun auch ein bisschen mit dem Zusammenleben zu tun: Wie läuft die Schule ab?

Jetzt müssen vor allen Dingen mal die drankommen, die hinter mir sitzen. Das ist ja auch eine Gefahr, dass wir die gar nicht drannehmen.

Moderator: Dann gehen wir mal zu Ihnen, damit es einigermaßen gut verteilt ist.

Bürger: Ich habe kurz etwas schriftlich vorbereitet.

Moderator: Wenn es kurz und schriftlich ist, ist es immer gut.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Aber das Beste ist, Sie legen den Zettel weg und sprechen einfach, was Sie sich gemerkt haben - jetzt ohne Flachs.

Bürger: Nein, nein, es ist für mich besser, weil es strukturiert ist. Es ist eine sehr komplexe Arbeit, was ich Ihnen vortragen möchte. Das kann ich nicht ohne etwas Schriftliches; das ist sehr umfangreich.

Mein Name ist Deepak Rajani. Ich bin Architekt. Die erste Hälfte meines Lebens habe ich in Indien verbracht und die zweite Hälfte in Europa. Wie wollen wir in Zukunft zusammenleben? Im Zusammenleben der Familien entscheidet sich die Zukunft unserer Gesellschaft. Für sieben Millionen Kinder von 0 bis 18 Jahren bestehen Risiken instabiler Lebensverhältnisse. Darunter fallen vier Millionen nichteheliche und drei Millionen eheliche Kinder. Die heutige Gesetzeslage wird den sozialen Realitäten nicht gerecht. Eine zukunftsfähige Gesetzgebung sollte stärker die Qualität der Eltern-Kind-Beziehung erhalten und fördern, auch bei einer Änderung der Lebensform der Eltern.

Das Gleichstellungsmodell habe ich als Lösungsvorschlag entwickelt. Erstens: Kern der Familienrechtskonzeption in dem Gleichstellungsmodell ist das neue Rechtsverhältnis der Familiengemeinschaften des Kindes. Zweitens: Die Rechte des Kindes und die Rechte der Eltern werden gleichgestellt. Drittens: Eine Erhaltungsphilosophie zur Sicherung der Kinderrechte. Viertens: Das Familienwohl steht im Mittelpunkt. Deshalb bietet das Gleichstellungsmodell eine optimale Entwicklungsbedingung.

Kinder können und müssen in ihrer Familie geschützt werden, meine Damen und Herren. Bisherige Lösungsvorschläge beziehungsweise das, was die Koalitionsparteien derzeit vorbereiten, betrafen nur zwei Millionen Rechtsverhältnisse der nichtehelichen Kinder. Stattdessen gestaltet das Gleichstellungsmodell 14 Millionen Familiengemeinschaften von sieben Millionen Kindern, nichtehelichen und ehelichen.

Frau Bundeskanzlerin, ich denke, der Meinungsbildungsprozess in den Koalitionsparteien ist weit fortgeschritten. Ich will gerne eine Ergänzung zu den Vorschlägen einreichen, die derzeit die Koalitionsparteien vorbereitet haben. Ich würde mich freuen, wenn Sie mir die Möglichkeit geben würden, einen Ergänzungsvorschlag auf der Grundlage dieses Gleichstellungsmodells zu machen, und wenn Sie das berücksichtigen würden. Dafür brauche ich eine Unterstützung durch die Experten, die oben sitzen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Gut. Sie dürfen das einreichen. Ich glaube, Sie haben einen Themenkomplex angesprochen, der viele, viele Menschen bewegt. Denn die Lebensverhältnisse haben sich verändert. Wir müssen immer schauen, was das Kindeswohl ist, aber natürlich auch, dass die Eltern sich einbringen können. Insofern nehmen wir das auf.

Aber überlegen Sie: Hier sind 100 Menschen. 90 Minuten haben wir Zeit. - Einen Satz noch.

Bürger: Anstatt des Kindeswohls vertrete ich Kinderrechte. Kinderrechte sind kindgerechter.

Moderator: Das ist, glaube ich, angekommen; das wird auch weitergegeben.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Ihr Vorschlag wird von den Experten hier aufgenommen.

Moderator: Ich glaube, die Dame neben dem Herrn mit dem unglaublich hübsch gezwirbelten Schnurrbart hatte sich gemeldet. Ich hätte natürlich den Herrn mit dem Schnurrbart genommen, aber die Dame hat natürlich genauso das Recht und die Freude zu sprechen.

Bürgerin: Ich denke, dass es schon ganz bekannt ist: der Wandel der Familien. Die Großfamilie existiert eigentlich so nicht mehr. In den letzten Jahren wurden auch die Mehrgenerationenhäuser gefördert, sodass in diesem Bereich etwas getan wird. Nur ist das eigentlich zu wenig. Das müsste noch viel mehr in die Öffentlichkeit gebracht werden. Es müsste auch für alle die Möglichkeit geben, an eine solche Einrichtung heranzutreten.

Moderator: Das ist übrigens Heike Bausch, meine Damen und Herren; sie hat sich nicht vorgestellt. Frau Bausch, warum liegt Ihnen das besonders am Herzen? Warum sagen Sie, das ist mir das wichtigste Thema für die Zukunft, wie wir Familien stärken?

Bürgerin: Weil ich öfter sehe, wie ältere Menschen daheim vereinsamen, aber unheimlich viel Potenzial haben und noch sehr viel auch an Fertigkeiten an die junge Generation weitergeben könnten, auch an Kinder. Dann sind Menschen daheim, die arbeitslos sind. Sie können nichts dafür. Sie würden sich gerne irgendwo einbringen. Aber wo gehen sie denn hin? Wo erfahren sie denn, dass sie gebraucht werden? Das würde sie ja auch in ihrer Art, in ihrem Wesen bestärken und auch weiter antreiben, wieder richtig aktiv teilzunehmen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Ich stimme Ihnen zu. Wir haben auch sehr gute Erfahrungen mit den Mehrgenerationenhäusern gemacht. Aber es gibt sie nicht flächendeckend. Sie müssten eigentlich so normal werden wie ein Rathaus und eine Arztpraxis.

Sie haben auch gesagt: aus den Verwaltungsdingen herausnehmen. Ich habe mit den Experten schon mal diskutiert. Insofern passt das auch gut. Für die ehrenamtliche Tätigkeit bräuchte man neben dem Rathaus vielleicht noch so etwas wie ein Bürgerhaus, wo jeder Bürger hingehen und sagen kann: Ich kann das, das und das, da würde ich mich gerne einbringen. Dann bekommt man Anregungen.

In das Mehrgenerationenhaus kann dann jeder gehen, der sich alleine fühlt, und die Älteren machen etwas für die Jüngeren. Ich bin sehr dafür, dass wir das noch ausbauen. Aber wir nehmen das natürlich noch mal auf.

Moderator: Lassen Sie uns vielleicht noch ganz kurz beim Thema Familien bleiben, weil das sehr wichtig und sehr interessant ist. Gibt es noch jemanden, der etwas zum Thema Familien sagen möchte? - Erst mal der Herr mit dem Ohrring, und dann gehen wir auf die rechte Seite.

Bürger: Schönen guten Abend, Frau Bundeskanzlerin! Mein Name ist Matthias Schorch (?), ich komme aus Oberweißen. Einen schönen Gruß von meiner Tochter soll ich Ihnen sagen. Sie sind eine starke Frau.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Grüßen Sie zurück.

Bürger: Ja; ich habe ein Autogramm von Ihnen.

Moderator: Kennen Sie sich?

Bürger: Nein. - Mein Anliegen ist, dass die Familien nicht mehr auseinandergerissen werden. Ich arbeite auf dem Bau, bin lange gependelt. Der unterschiedliche Lohn zwischen Ost und West senkt die Wertigkeit der Arbeit unheimlich. Das heißt, ein Mindestlohn von 13 Euro in der alten Bundesrepublik und 10 Euro bei uns in Ostdeutschland geht einfach nicht. Wenn man dann noch als Ostdeutscher rüberfährt - meine Oma mochte das Wort gar nicht; „Ost“ und „West“ mochte sie gar nicht - und nur die 10 Euro für die Stunde bezahlt bekommt, sprich: Steuerhinterziehung der Chefs etc., kann das nicht sein.

Gleiche Arbeit in der gleichen Branche müsste deutschlandweit auch gleich bezahlt werden, damit man nicht dieses Gependle hat.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Erstens sind Sie heute diejenigen, die die Vorschläge machen. Das nehmen wir auf. Löhne sind weitgehend Angelegenheit der Tarifparteien; die Löhne macht ja gar nicht die Politik.

Aber eines kann man auch sagen: Je knapper die Arbeitskräfte werden - das wird in den nächsten fünf bis zehn Jahren immer mehr passieren -, umso größer wird auch der Druck sein, dass diese Angleichung stattfindet. Aber ich glaube Ihnen: Das Pendeln ist natürlich für die Familien schon eine große Herausforderung.

Moderator: Ich habe nur noch eine Frage zu Ihnen, damit es auch noch ein bisschen plastisch wird. Wie viel Zeit blieb denn für die Familie, wenn man mehr oder weniger jede Woche dauernd auf der Autobahn ist?

Bürger: Am Montagmorgen zwischen drei und vier Uhr bist du losgefahren, bekommst die Fahrtzeit nicht bezahlt, bist um sieben auf der Baustelle, und um 19 Uhr verlässt du die Baustelle. Also bist du an dem Tag fast 20 Stunden unterwegs.

Moderator: Das heißt, wenn Sie losgefahren sind, war die Tochter noch im Bett, und als Sie wieder zu Hause waren, war sie wieder im Bett.

Bürger: Aber ich hatte Glück; ich war alleinerziehender Vater. Meine Tochter ist jetzt erwachsen; die habe ich ganz gut hinbekommen.

Moderator: Aber es ist schon manchmal mühsam, wenn der Tag so lang ist.

Bürger: Richtig. Dann hätte ich noch etwas zu der Generationenfrage. Es wird ja immer nur gesagt, dass keine Kinder mehr geboren werden beziehungsweise die geborenen nicht mehr richtig untergebracht werden. Ich habe noch ein ganz anderes Problem: die Logistik. Das heißt, der Nahverkehr in ländlichen Gebieten ist ein ganz schlimmes Thema. Die Kinder brauchen Erwachsene, die sie hin- und herfahren, zum Sport, zum Arzt.

Moderator: Wenn der Papa beim Arbeiten ist, kann er sein Kind nicht wegbringen.

Bürger: Richtig. Die Älteren werden vergessen. Die müssen auch zum Arzt. Und die wollen nicht immer fragen: Kannst du mich mal fahren? Die wollen selbst bestimmen, wann, wo und wie sie fahren. Das ist das Problem.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Wir haben schon den Zweiten, der für den ländlichen Raum spricht. Das ist sicherlich eines der größten Themen, mit denen wir uns auch beschäftigen müssen.

Jetzt haben wir aber versprochen, auf diese Seite zu gehen.

Bürgerin: Mein Name ist Helga Marion Heumel (?). Sie haben mir eben fast das Wort in den Mund gelegt, als Sie sagten, Sie sind alleinerziehender Vater. Ich betreue hier einen Großelterndienst in Erfurt. Besonders fallen mir da unsere alleinerziehenden Mütter ins Auge. Wir haben alleine in Erfurt 8.000. Wir haben thüringenweit ungefähr 84.000 alleinerziehende Mütter. Ich sehe einfach: Im sozialen Netz fallen sie hinten runter. Wenn sie mit Kindern Arbeit finden, dann Teilzeitarbeit. Das heißt im Einkaufsbereich oft: Sie müssen bis 22 Uhr verfügbar sein.

Insofern ist Kinderarmut bei uns in Thüringen vorgegeben. Die Mütter können sich in den Arbeitsprozess nicht wieder eingliedern. Ich würde Sie bitten, diesen Aspekt auch bei der Familienpolitik zu beachten.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Was wäre Ihr Vorschlag?

Bürgerin: Dass wir ein soziales Netz aufbauen - wir sind hier in Erfurt dabei -, wo alleinerziehende Mütter aufgefangen werden, wo Kinderbetreuung ganztags garantiert ist und diese Mütter das auch finanzieren können.

Aus dem Ehrenamt heraus Menschen zu finden, die acht bis zehn Stunden mit den Kindern verbringen, ist fast unmöglich.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Das ist klar.

Bürgerin: Die Armutsspirale beginnt für diese Frauen hier. Wir sagen alle, die Kinder sind unsere Zukunft. Darum sollten wir uns Gedanken machen, wie wir das besser auffangen können.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Die Väter kümmern sich da meistens wenig, nicht wahr? Hier haben wir einen. Aber was ist Ihre Erfahrung?

Moderator: Wie viele Großeltern arbeiten bei Ihnen mit?

Bürgerin: Wir haben jetzt 44 aktive Wunschgroßeltern in unserem Großelterndienst.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Und wie viele alleinerziehende Väter?

Bürgerin: Zwei.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Da, würde ich sagen, können wir noch ein bisschen die Werbetrommel rühren.

Moderator: Frau Bundeskanzlerin, wollen wir hier bei den jungen Damen weitermachen?

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Haben die jungen Damen auch etwas? Oder wollen Sie später etwas sagen? - Aber nicht, dass Sie nachher sagen, Sie sind nicht drangekommen. So eine Chance bekommen Sie nie wieder. - Dann suche ich den Herrn neben Ihnen aus.

Bürger: Mein Name ist Daniel (?), ich komme aus Erfurt. Ich bedanke mich bei Ihnen für Ihre Einladung. Unsere Zukunft, Frau Bundeskanzlerin, sind unsere Kinder. Folgen Sie dem schwedischen Modell. Dort wird sehr, sehr viel mehr für Kinder getan. Es gibt einen Kinderombudsmann, es gibt viele soziale Leistungen, die Familien bekommen, sodass die Kinder in sozial sicheren Verhältnissen aufwachsen können. Das fehlt uns.

Wir brauchen ein Bildungsbürgertum. Das fehlt uns. Sonst gehen uns alle Innovationen in der nächsten Zukunft verloren.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Wie hängt das mit den Kindern jetzt mit dem Bildungsbürgertum zusammen?

Bürger: Wir müssen unser Bildungswesen neu strukturieren. Das geht nur dann, wenn auch die Eltern mitziehen können. Sie brauchen sozial sichere Verhältnisse, das heißt eine Finanzierung für Eltern mit Kindern und vor allem auch für Alleinerziehende.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Das geht in die gleiche Richtung. Wir sind uns einig: Die Kinder sind die Zukunft. Da wir in Zukunft weniger Kinder haben werden, ist es auch ganz wichtig, dass wir den Kindern die Bildung geben, die sie brauchen, damit wir eine innovationsfreudige Gesellschaft, eine erfindungsfreudige, eine neugierige Gesellschaft bleiben. Das ist vollkommen richtig.

Bürger: Sagen Sie doch lieber „wir werden mehr Kinder haben“, statt „wir werden weniger Kinder haben“.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Wir sollten in Zukunft wieder mehr Kinder haben. Aber heute muss man erst einmal sagen: Es werden weniger junge Leute sein; das ist präziser ausgedrückt.

Moderator: Das kann sich ja Gott sei Dank auch wieder ändern.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Jetzt nehmen wir mal gleich jemanden, der ein bisschen jünger ist, und dann Sie.

Schülerin: Sehr geehrte Frau Kanzlerin, mein Name ist Sabrina Groß, ich komme aus Hermsdorf. Da wir jetzt den Bereich Bildung angesprochen haben, würde ich auch gerne den Bereich außerschulische Jugendbildung ansprechen und dort vor allen Dingen die Kontinuität von Projekten, die momentan meist nur für ein Jahr bewilligt werden. Wo soll man dort die Wirksamkeit erreichen, wenn man nach einem Jahr eventuell einen neuen Antrag stellen darf oder soll, der dann aber nicht die gleichen Inhalte haben darf? Man sollte diese Projekte viel langfristiger strukturieren, um auch etwas erreichen zu können.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Okay. Das ist ein klarer Vorschlag.

Moderator: Eine Frage noch, damit man das auch mitnehmen kann: Was wäre so ein idealer Zeitraum? Sind es zwei Jahre, drei Jahre? Was ist Ihrer Erfahrung nach gut?

Schülerin: Ich glaube, das kann man nicht pauschalisieren. Das muss man von den Projekten abhängig machen. Aber drei, vier Jahre sollte man sicherlich auf jeden Fall in Anspruch nehmen, um bei den Kindern und Jugendlichen auch eine gewisse Wirksamkeit zu erreichen, gerade im Hinblick auf Werte, deren Fehlen heutzutage bei Jugendlichen immer wieder kritisiert wird.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Ich nehme das mit. Wir haben neulich an anderer Stelle darüber diskutiert. Man muss dann auch gucken: Was hat sich bewährt? Was hat sich nicht bewährt? Nach einem Jahr kann man das sicherlich nicht sehen, aber nach drei, vier, fünf Jahren. Dann muss man auch die Kraft haben, etwas, was nicht so das Ziel erreicht hat, wieder wegzunehmen. Das ist in unserer Gesellschaft nicht ganz einfach. Das muss man aber machen, weil sonst nichts nachwachsen kann.

Aber ich nehme das auch mit: Ein Jahr ist zu kurz und muss verlängert werden.

Bürgerin: Mein Name ist Hanna Helva (?). Ich lebe seit fünf Jahren in Erfurt, in Deutschland seit sieben Jahren. Ich gehe noch mal darauf ein: Wir sollen mehr Kinder haben. Ich glaube, wir haben Angst davor, weil Kinder oder mehr Kinder sofort mit Armut und mit engem Raum verbunden werden. Man fürchtet, keine Freiheit mehr zu haben usw.

Hier geht es um die Grundeinstellung in unseren Köpfen, um uns als Gesellschaft. Wir sagen, von der Stadt muss das und das und das gemacht werden. Aber ich glaube, wir müssen erst einmal bei uns anfangen, dass man vielleicht durch die Medien dieses Bild viele Kinder zu haben ist nichts Gutes ein bisschen ändert. Man sollte an diesem Bild arbeiten.

Wir haben es zum Beispiel schon bei Zigaretten und beim Rauchen geschafft. Früher waren Raucher gut angesehen, coole Menschen und so. Heutzutage ist es weniger so. Genauso kann man das vielleicht bei Kindern schaffen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Sie sprechen einen ganz wichtigen Punkt an: Wie kann man in einer Gesellschaft, wenn jemand mit drei, fünf, sieben Kindern kommt, erreichen, dass nicht alle sagen: O Gott, o Gott, wer kommt denn da? Was wird jetzt gleich für ein Lärm sein, zum Beispiel im Restaurant? Kann ich da überhaupt in der Nähe wohnen, wo eine Familie mit so vielen Kindern wohnt? Das sind alles solche Fragen. Kann ich dann in meinem Beruf überhaupt noch erfolgreich sein? Da haben Sie vollkommen recht.

Bürgerin: Ich komme selber aus einer großen Familie.

Moderator: Das wollte ich noch fragen: Wie viele Kinder sind es denn?

Bürgerin: Soll ich es sagen?

Moderator: Gerne, natürlich!

Bürgerin: Ich muss erst mal zählen! Wir sind eine große Familie. Wir sind insgesamt zehn Personen; eine davon lebt nicht mehr bei uns im Haushalt. Wir wohnen mehr oder weniger auf zwei Etagen. Wir versuchen, alles zu bewältigen, haben aber große Schwierigkeiten: bei der Wohnungssuche, wenn wir irgendwo in der Stadt unterwegs sind. Das sind alles Schwierigkeiten, die man als große Familie hat.

Aber die Innensicht ist anders. Ich sehe nicht, dass wir ein Problem bei uns in der Familie haben, weil wir so viele Kinder haben. Im Gegenteil: Bei Festen zum Beispiel ist es schön, dass es ein bisschen mehr Leute sind. Man ist nie allein.

Moderator: Der Oberkellner wird natürlich blass, wenn die Tür aufgeht und die ganze Kompanie reinkommt. Der denkt sich: Mein Gott, das hätte ein ruhiger Nachmittag werden können, und jetzt sind zehn Leute da.

Bürgerin: Ja, es gibt viele Schwierigkeiten.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Aber Sie wünschen sich einfach, dass die Gesellschaft sagt: Super, toll, große Familie, angenommen!

Bürgerin: Natürlich nicht zehn Personen, das ist vielleicht ein bisschen übertrieben.

Aber ich finde es schade, dass viele Menschen sagen: Nein, ich verzichte auf Kinder, ich nehme mir vielleicht lieber ein Haustier; das ist einfacher. Ich finde es sehr schade, denn irgendwann sterben wir sonst aus.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Wir könnten uns die tollste Zukunft bauen. Wenn wir keine Kinder mehr haben, dann ist die Zukunft nicht da.

Moderator: Wir müssen in 20 Jahren mal bei Ihnen durchzählen, wie viele es geworden sind.

Bürgerin: Ja, aber zehn Kinder habe ich nicht vor.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Jetzt kommen Sie noch dran.

Bürger: Schönen guten Tag! Ich bin Lars Kristing (?), ich bin aktiver Behindertensportler. Wir sind ein sehr, sehr reiches Land, aber beim Thema Barrierefreiheit haben wir sehr, sehr viel Nachholbedarf. Mich interessiert, was wir da machen können. Wir haben sehr viele schöne Gesetze dafür, aber sie gehen meistens an der Nutzung vorbei. Ich denke, dass wir ein anderes Augenmerk darauf legen müssen und dass da ein bisschen anders gearbeitet werden muss. Geld dafür ist genug da; Deutschland ist sehr reich. Das sieht auch das Ausland so. Nur wir selbst tun uns da sehr schwer in Deutschland.

Gerade da wir das Thema Generationen haben: Viele ältere Menschen sind auch darauf angewiesen, dass sie barrierefrei in Häuser oder auf Toiletten kommen.

Moderator: Was erleben Sie so tagtäglich, was Ihnen besonders auffällt?

Bürger: Erstens Stufen in viele Geschäfte oder in Läden hinein, was möglicherweise noch geht. Aber wenn ich zum Beispiel abends weggehe, ist gerade bei Toiletten die Situation unmöglich. Die Toilette ist das Wichtigste; darüber brauchen wir nicht zu diskutieren. Jeder Mensch muss irgendwann auf Toilette, wenn er bei einer Veranstaltung ist. Dann nützen auch keine helfenden Hände; wenn die Tür zu klein ist, ist sie zu klein.

Ich glaube, da sollten wir in Deutschland einfach mal ins Ausland schauen, was es da an Möglichkeiten gibt, und vielleicht auch ein bisschen die Überregulierung, die wir in den Gesetzen haben, kontrollieren und da besser miteinander reden.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Das ist aufgenommen. Das wird leider noch fünf bis zehn Jahre dauern, bis wir das vollständig umgesetzt haben. Aber ich glaube, bei den Neubauten denkt man schon sehr viel besser daran. Aber das meiste ist eben Altbausubstanz. Wir nehmen es auf. Es ist als Thema bekannt.

Ich werde nächste Woche auch wieder mit dem Deutschen Behindertenrat sprechen. Wenn man da die Beispiele hört, ist das oft schon schwierig. Sie haben vollkommen recht: Es betrifft nicht nur die Behinderten. Auch gerade ältere Menschen brauchen oft genau die gleichen Dinge.

Moderator: Lars, eine Frage noch - ein bisschen Werbung dürfen Sie auch machen -: Was für einen Sport machen Sie? In welchem Verein?

Bürger: Ich spiele Rollstuhlbasketball. Der ist in Deutschland die Nummer eins. Ich spiele in Jena. Wir spielen in der ersten Bundesliga. Das macht sehr viel Spaß in Thüringen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Toll!

Moderator: Was heißt das, erste Bundesliga? Wie oft ist Training? Wie oft sind Spiele?

Bürger: Siebenmal die Woche Training und jedes Wochenende Spiel. Da könnten wir das nächste Thema anreißen. Aber bleiben wir bei der Barrierefreiheit. Wenn Sie sich darum kümmern, ist mir schon geholfen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Okay. Ich nehme es mit, und es wird uns die nächsten Jahre auch begleiten.

Moderator: Viel Erfolg bei der nächsten Meisterschaft!

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Gibt es weitere Vorschläge? Vielleicht hier vorne?

Bürger: Mein Name ist Helmut Petersheim (?). Ich komme aus Mühlhausen und bin zurzeit noch in einem produzierenden Textilunternehmen. Wir haben uns vor vielen Jahren schon einmal kennengelernt. Es geht mir um die Basis, die wir für ein gutes Zusammenleben auch in der Zukunft brauchen. Das heißt: Arbeitsplätze für jeden, nach seinen Fähigkeiten. Da ist es wieder ganz wichtig - wir haben es heute schon einmal diskutiert -, uns auf das „Made in Germany“ zu beziehen.

Meine Angst ist für die nächste Zeit -- Im Moment sehen wir es noch nicht so, da wir zurzeit in der Industrie die Ergebnisse der anderen Länder als „Made in Germany“ abrechnen. Wir haben sehr, sehr hohe Importe, die wir dann wieder in Export umwandeln und die hier sind.

Wenn wir es schaffen, mit Innovationen und mit neuen Technologien und Techniken hier wieder von der Basis zu beginnen, Arbeitsplätze neu zu schaffen, sodass wir die Beschäftigung abschaffen und aus der Beschäftigung wieder Arbeit machen, sodass die Menschen mit ihrem Arbeiten wieder selbst den Lohn verdienen, von dem sie leben können, könnten wir Hartz IV abschaffen, könnten die Lohnaufstockungen abschaffen, und die Menschen haben wieder mehr Akzeptanz untereinander, da sie selbst wieder Werte schaffen und nicht nur eine Beschäftigung haben.

Das wäre die Basis für die nächsten zehn Jahre. Ich bin mir sicher, dass Sie das irgendwie mit beeinflussen, soweit Sie es können.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Das ist ja ein Problem, über das wir sehr viel nachdenken. Deshalb auch danke. Bei uns werden ja immer mehr, sagen wir mal, die spezialisierten Tätigkeiten angeboten. Vieles, was früher Menschen gemacht haben, wird heute durch Maschinen gemacht. Dadurch wird es für Menschen, die vielleicht nicht nobelpreisträgerverdächtig sind, immer schwerer, eine Arbeit zu finden, mit der sie in ihrem Leben auskommen können.

Ich habe die Hoffnung, dass über die Globalisierung, wenn auch in China und an anderen Stellen höhere Löhne gezahlt werden, wir wieder zu einer vernünftigeren Sache kommen. Aber es ist eine immerwährende Frage: Wie können wir auch einfache Tätigkeiten bei uns halten? Deshalb danke, dass wir das auch als Vorschlag mit aufnehmen können. Sie als Unternehmer glauben, das geht, ja?

Bürger: Ich glaube es nicht nur, ich weiß es. Ich habe schon mal mit Herrn Clement darüber gesprochen, auch mit Kurt Biedenkopf; das liegt schon Jahre zurück. Ich habe es jetzt noch einmal neu aufgetan, denn es ist möglich.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Okay, dann werden wir uns das genau anschauen.

Bürgerin: Renate Wichnoch (?), Erfurt. Ich möchte das junge Mädchen auf der anderen Seite, die die außerschulische Jugendbildung angesprochen hat, sehr gern unterstützen. Ich arbeite schon seit Beginn meines Lebens auf diesem Gebiet, mache theaterpädagogische Arbeit. Zu meinem Wunsch: Wir sind freie Träger, anerkannt, nützlich, werden aber nicht genauso behandelt wie kommunale Träger. Das heißt, wenn das Land weniger Geld gibt, bekommt die Stadt weniger Geld, hängt im Prinzip im Finanzloch, und ausbaden müssen es die freien Träger, weil sie nicht gefördert werden müssen, weil es keine gesetzliche Regelung dafür gibt. Damit ist die Kontinuität gefährdet. Damit sind ganze Vereine gefährdet.

Denken Sie sich bitte in der kulturellen Szene die Tausenden von Aktiven weg, die tanzen, die Theater machen, die Musik machen, die dichten, wie auch immer. Wie arm wäre unsere Kulturlandschaft! Noch dazu, wenn nur 0,4 Prozent des Thüringer Haushaltes für die Breitenkultur investiert werden. Das wäre schlimm für unseren Nachwuchs, der gerade über die kulturelle Jugendbildung wirklich Wertevermittlung erfährt und die Fähigkeiten, die ein Jugendlicher braucht, um zusammenzuleben, über das Spiel, über Musik, was auch immer in diesem Bereich angeboten wird, erwerben kann.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Also mehr Verlässlichkeit bei Leistungen, die keine Pflichtleistungen sind.

Bürgerin: Kultur muss eine Pflichtleistung werden. Sonst sind wir eine kulturlose Nation - Schluss, Feierabend.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: So weit sind wir ja einer Meinung: dass Kultur eine Pflichtleistung werden muss. Natürlich können nicht alle kulturellen Betätigungen sofort zur Pflichtleistung erklärt werden, aber Sie haben vollkommen recht: Kulturelle Eigenbetätigung ist viel wert, nützt viel. Wir nehmen das auch auf.

Bürgerin: Mein Name ist Gisela Schlede (?), ich komme auch aus Mühlhausen und arbeite in einer Privatschule. Ich würde mir wünschen, dass im Bildungsbereich zum Beispiel der praktische Bereich viel mehr intensiviert wird, dass die Schülerinnen und Schüler länger in Altenheimen arbeiten - sie würden ein anderes Verständnis bekommen -, dass sie intensiver in Behinderteneinrichtungen arbeiten und auch merken, dass sie von Behinderten etwas lernen können. Dadurch würden vielleicht auch die Tugenden eines jeden besser reifen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Also im Grunde in der Schule schon das Zusammenleben lernen, indem man mit sozialen Fragen in Berührung kommt, indem man die Angst ablegt, dass jemand vielleicht älter ist, krank ist usw.

Bürgerin: Ja, dass auch die Angst der Jugendlichen verschwindet. Wenn sie in ein Altenheim gehen oder Behinderte sehen, dann denken sie: Oh, kann ich nicht anfassen. - Aber nach einer gewissen Zeit merken sie, das sind genauso normale Menschen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Sie möchten, dass das Teil der Bildung wird, damit unser Zusammenleben insgesamt besser wird.

Bürgerin: Ja, auch ein bisschen länger, ein bisschen intensiver statt immer so viel Theorie.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Ja, okay.

Moderator: Frau Bundeskanzlerin, man darf hier auch sitzen. Ich bin ja ein alter, hüftlahmer Mann. Bei meiner Größe tut das Kreuz irgendwann weh; da muss man sitzen. Ich wollte es Ihnen nur anbieten.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Mal sehen. Vielleicht komme ich noch darauf zurück.

Schülerin: Mein Name ist Annika Knurr (?), ich bin zwölf Jahre alt und gehe in Nordhausen zur Schule. Zum Thema Generationen gehört ja auch, mit der Familie gemeinsam Zeit zu verbringen. Man könnte in Deutschland einen energiesparsamen oder energiefreien Tag verbringen. Anstatt Fernsehen zu gucken, kann die ganze Familie zum Beispiel ein Spiel zusammen spielen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Ja, das finde ich eine tolle Sache.

Moderator: Das heißt dann aber auch: einen Tag kein Facebook, kein You Tube und auch nicht ins Internet gehen, oder?

Schülerin: Ja.

Moderator: Das ist also für alle dann unter Umständen schwierig.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Aber der Punkt ist: gemeinsam Zeit verbringen und einfach auch mal selber zusammen etwas machen, ohne dass man Fremdimpulse bekommt. Gute Idee!

Bürgerin: Mein Name ist Annette Projahn (?), und ich komme aus der benachbarten Stadt Weimar. Ich habe mich vor sieben Jahren selbstständig gemacht, bin also Unternehmerin, und bin ehrenamtlich bei der IHK beschäftigt.

Wir erleben täglich, dass es auf dem Ausbildungsmarkt immer größere Schwierigkeiten gibt, geeignete Bewerber zu finden. Auf der einen Seite fehlen zum Teil Deutsch- und Mathematikkenntnisse, aber auf der anderen Seite - das, glaube ich, liegt wirklich in den Wurzeln der Erziehung - fehlen vielerorts die sozialen Kompetenzen: jeden Morgen pünktlich aufzustehen, Disziplin zu üben, einfach die Dinge, die ich im Elternhaus und nicht nur durch die Schule vermittelt bekommen kann.

Ich bin selbst Mutter zweier Kinder. Beide Kinder waren sehr, sehr aktiv in Sportgemeinschaften tätig. Entdeckt worden sind sie auf ihrer Laufbahn in Schulsportgemeinschaften. Ich glaube, da sind wir wieder an dem Punkt, an dem der junge, alleinerziehende Vater ist, der das Problem aufgeworfen hat, dass nicht jede Mutter oder jeder Vater die Zeit aufbringen kann, das Kind zu den Terminen in den Vereinen - die in den Kommunen eine tolle Arbeit leisten - zu bringen und abzuholen.

Mein Appell richtet sich hier an die Schulen, doch wieder das altbewährte System von Schulsportgemeinschaften, von Chören, von Arbeitsgemeinschaften zu stärken. Unsere Kinder können keinen Knopf mehr annähen, sie können nicht mehr mit Handarbeiten umgehen. Solche Dinge kann man wieder in Arbeitsgemeinschaften anbieten. Ich glaube, in Sportgemeinschaften lernt man Disziplin, man lernt zu verlieren, man lernt, gemeinsam zu gewinnen. Das setzt sich natürlich auch im Berufsleben fort. Ich glaube, das ist eine Grundausbildung, die ein Kind auch mitnehmen sollte.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Danke. Sie haben im Grunde jetzt zwei Dinge angesprochen. Ihnen geht es um die praktischen Fähigkeiten, Werte usw., und Sie fragen: Warum nicht auch an der Schule? Das bricht sich natürlich ein bisschen mit den freien Trägern. Wir Deutschen sind ja oft sehr theoretisch. Wir sagen also: Hier ist der freie Träger, dort ist die Schule. Nachmittags ist die Schultür zu, es sei denn, es ist eine Ganztagsschule. Man müsste da einfach auch lockerere Kombinationsmöglichkeiten finden. Aber dann kommen sofort die Fragen der Aufsicht usw. Das kennen wir alles.

Trotzdem: Aus dem Leben gegriffen sagen Sie einfach, es muss näher an die Schule heran, damit nicht die Eltern zwei Orte zu beaufsichtigen haben, wo die Kinder hinmüssen. - Da gibt es sogar bei den jüngeren Damen, die sich zuerst noch nicht melden wollten, jetzt ein Nicken.

Moderator: Frau Bundeskanzlerin, jetzt kommt dieser Herr dran. Herr Koch hat nämlich immer auf seinen Nachbarn gedeutet; wahrscheinlich ist der Nachbar der Chef, und deswegen muss er jetzt drankommen.

Bürger: Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, mein Name ist Dieter Bauhaus, ich bin 58 Jahre, Chef der hiesigen IHK und Chef der hiesigen Sparkasse. Bei allen berechtigten Wünschen, die hier geäußert werden, möchte ich Sie zu dem Kurs der Haushaltskonsolidierung ermutigen. Eines meiner Lieblingssprichworte ist: Ohne Moos nichts los; es muss letztendlich gegenfinanziert werden.

Ich möchte Politik, Wirtschaft und Gesellschaft dazu auffordern, ein realistisches Bild von den Möglichkeiten zu zeichnen, nicht nur Wünsche zu äußern, sondern auch realistisch zu sagen: Wie können wir sie verwirklichen? Ich werbe dafür, dass wir gemeinsam dieses Bild, der Staat sei allmächtig und wir könnten in allen Lebensphasen für alle alles machen, so geraderücken, dass es das Machbare machbar macht, aber das Unmachbare auch relativiert.

Moderator: Das ist auch das, was man so unter Generationengerechtigkeit versteht. Wir sitzen ja hier an diesem Schriftzug „Generationen“.

Bürger: Genau. Wir müssen uns nach der Strecke stecken; das muss ich Ihnen nicht sagen. Die Haushaltsfragen sind brennender denn je: Schuldenbremse, 2019, europäische Mittel usw., usf. Das ist eine ganz große Herausforderung. Der demografische Faktor fordert uns alle.

Ich finde, wir müssen anfangen, das Gute, das wir haben, auch gut zu verkaufen, eine gute Kommunikation zu machen. Wir haben nämlich eine Menge und müssen uns nicht verstecken. Wir müssen dann nicht immer noch sagen, wir brauchen alles andere zusätzlich. Da würde ich eben sagen, wie im Betrieb auch: Wie sieht die Gegenfinanzierung aus? Dann können wir darüber sprechen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Okay. Das ist bei all den Wünschen, die wir natürlich haben, auch ein ganz wichtiger Punkt. Wenn wir so viel Schulden gemacht haben, die wir unseren Kindern hinterlassen, dann brauchen wir über deren Wünsche gar nicht mehr zu sprechen. Das wäre, glaube ich, auch nicht fair.

Moderator: Wir müssen jetzt langsam zum nächsten Punkt, zur Sicherheit, kommen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Wir nehmen noch Sie und dann unbedingt dort hinten noch jemanden und dann Sie noch, diese drei.

Schülerin: Mein Name ist Hanin Al-Djazanin (?), ich bin Schülerin in Erfurt. Mein Anliegen betrifft krebskranke Kinder. Wir wollten mal als Gruppe krebskranke Kinder hier in Erfurt besuchen und ihnen etwas vorlesen oder uns einfach mit ihnen unterhalten, aber das wurde kurzfristig abgelehnt. Das fanden wir sehr traurig, denn man hat dadurch wieder so eine Mauer errichtet. Wir hatten dann keinen Zugang mehr, weil gesagt wurde, dass es besser von Professoren oder von Menschen, die mehr Erfahrung mit krebskranken Kindern haben, gemacht werden soll. Sie haben mehr Ahnung, mit ihnen umzugehen, und wir als Schüler nicht. Das fand ich sehr traurig.

Dadurch wird man empfindlich. Dabei sollte es gar nicht so sein. Das sind ja normale Kinder wie wir; die sind ja nicht psychisch krank. Warum sollen wir uns nicht mit denen unterhalten können?

Mein Wunsch wäre einfach, dass wir Zugang zu diesen Kindern bekommen. Das ist doch eine Chance.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Ich nehme daraus zwei Dinge mit, einmal das konkrete Beispiel. Ihr Name wurde hier ja wahrscheinlich schon aufgeschrieben. Das Zweite ist, dass wir insgesamt, wenn wir mal über die nächste Zeit in Deutschland nachdenken, mehr ermöglichen können, dass Kinder und Jugendliche für andere, die in einer schwierigen Situation sind, etwas tun können und dass vielleicht nicht immer nur Fachwissen wichtig ist, sondern auch menschliche Zuneigung und Interesse für beide Seiten.

Moderator: Das hat sie gut gemacht, eure Freundin, super!

Bürger: Mein Name ist Klaus Reinhardt (?), ich komme aus Dankmarshausen, das ist ein Ort im Wartburgkreis. Mein Thema ist - damit beschäftige ich mich schon längere Zeit -: Wie bekommen wir wieder mehr Vertrauen durch mehr Bürgerbeteiligung? Das hier ist ja ein Anfang; hoffentlich setzt sich das nach unten fort.

Viele Bürger sind mit gewissen politischen Entscheidungen und auch Entscheidungen von Behörden nicht einverstanden. Dann organisieren sie sich in Bürgerinitiativen. Ich bin Vorsitzender einer Bürgerinitiative. Ich habe eine ganz konkrete Frage: 50 Milliarden Euro werden momentan in der Bundesrepublik Deutschland durch Klagen und Proteste der Bürger blockiert. Das ist ein hoher volkswirtschaftlicher Schaden. Es entstehen dadurch viel Frust und Ärger. Ich weiß, dass es im Bundesinnenministerium einen Gesetzentwurf gibt, wonach Planfeststellungsverfahren transparenter gestaltet werden sollen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Heute im Kabinett verabschiedet! Heute!

Bürger: Das ist ja prima. Herzlichen Glückwunsch! Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Dann kann man auch Transparenz schaffen, und die Bürger fühlen, dass sie beteiligt werden.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Das Thema wird uns auch in den nächsten Jahren immer wieder begegnen, und zwar müssen wir in der Politik da auch lernen. Jedes große Projekt ist anders. Der Stuttgarter Bahnhof ist anders als der Frankfurter Flughafen, und irgendein Projekt für Windanlagen ist anders als eines für ein großes Solarfeld.

Wir haben heute diesen Gesetzentwurf gemacht; wir werden daraus dann lernen. Der Verkehrsminister gibt demnächst ein Buch heraus, in dem aus verschiedenen Bürgerbeteiligungen resümiert wird: Was hat sich bewährt, was hat sich nicht bewährt?

Was ich jetzt mitnehme, auch für die nächsten fünf bis zehn Jahre, ist: Wir müssen den Dialog ganz eng pflegen und gucken: Was ist das Beste? Zu welchem Zeitpunkt muss man die Bürger beteiligen? Nicht zu spät, nicht zu früh. Da ist noch viel Neuland, das wir auch in der Politik betreten müssen.

Bürger: Ich bin Hans-Jürgen Paul, ich gehöre zur älteren Generation, wie man auch vermuten kann. Frau Bundeskanzlerin, ich habe eine Bitte an Sie: Wie man den aktuellen Veröffentlichungen, auch in unserer Tageszeitung „Thüringer Allgemeine“, entnehmen kann, ist das Vorhaben Ihrer Bundesregierung, Ihres Kabinetts nicht zu realisieren, noch in dieser Legislaturperiode ein einheitliches Rentenrecht einzuführen.

Viele Rentner sind natürlich sehr interessiert daran, dass das nun endlich einmal geschieht, nach 22 Jahren Wiedervereinigung in Deutschland. Die heutigen jungen Menschen, die hier sitzen, sind die Rentner von morgen. Ich bin der Meinung, dass es nun an der Zeit ist, dass das endlich realisiert wird. Meine Bitte besteht darin, dass Sie eventuell auf dem 10. Deutschen Seniorentag im Mai in Hamburg den Standpunkt Ihres Kabinetts darlegen, wie das nun endlich eingeleitet werden kann.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Auf jeden Fall komme ich zum Seniorentag; das ist schon klar. Ich glaube, für die jungen Leute, für die, die in 30, 40, 50 Jahren Rentner werden, spielt das dann keine Rolle mehr, weil sie ja ihre gesamte Berufsbiografie in dem gleichen Rentensystem aufgebaut haben.

Wir müssen jetzt aufpassen, dass keiner weniger kriegt, der heute Rente bekommt, und dass auch von denen, die in Zukunft Rente bekommen werden, keiner weniger bekommt. Ich möchte gerne, dass wir das zusammen mit den Ministerpräsidenten der Ostländer, also der neuen Bundesländer, machen, damit wir darüber nicht in eine politische Kontroverse kommen. Rentenrecht ist für die Menschen immer dann am besten, wenn wir eine gemeinsame Lösung finden. Wir arbeiten daran, aber wir haben es noch nicht ganz geschafft.

Bürger: Wir brauchen keinen Rettungsschirm, nur ein einheitliches Rentenrecht.

Moderator: Frau Bundeskanzlerin, wir schauen jetzt auf das nächste Thema, auf das Thema Sicherheit. Dann freuen wir uns natürlich genauso auf Ihre Wortmeldungen zum nächsten Thema. Auch dafür haben wir einen kleinen Film vorbereitet.

Thema "Sicherheit"

(Einspielfilm Sicherheit)

Moderator: Das Thema Sicherheit - der Dialog über Deutschlands Zukunft, heute in Erfurt - ist auch ein wichtiges Thema, vor allen Dingen, weil es natürlich ein Zeichen für eine intakte Gesellschaft ist. Wenn die Sicherheit nicht gegeben ist, liegt vielleicht auch in der Gesellschaft etwas im Argen. - Bitte schön.

Bürgerin: Ich bin Frau Püschel (?), ich komme aus Mühlhausen. Ich denke, wir müssen alle etwas dafür tun, um rechtsradikales Gedankengut von vornherein zu unterbinden. Da spielen viele Dinge mit hinein, die hier schon gesagt wurden, nicht nur Aufklärung in den Schulen, sondern auch die Beschäftigung von Jugendlichen in Sportgruppen oder anderen Gemeinschaften, um sie von diesen Rattenfängern, die ja darauf aus sind, Jugendliche an sich zu binden, Freizeitgestaltung zu machen, fernzuhalten, damit solche Sachen, wie sie passiert sind, nicht wieder passieren. Das ergibt auch ein schlechtes Bild im Ausland; das spielt also auch schon in das nächste Thema mit hinein.

Moderator: Das heißt, diesen Raum nicht aufgeben und wirklich auch etwas für die jungen Menschen tun, damit es da keine Verführung geben kann.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Und von Anfang an dagegen auftreten. - Ist Ihnen das persönlich auch schon begegnet?

Bürgerin: Ja. Ich hatte auch in meiner Familie mit meinem ältesten Enkel schon Diskussionen. Das geht dahin, wenn zum Beispiel Müll weggeworfen wird, dass gesagt wird: Dafür haben wir ja die Ausländer, die können das wegräumen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Ja, so fängt es an.

Bürgerin: Ich sagte dann: Mein Gott, wo verkehrst du denn, Junge? - Wie gesagt, mit solchen Dingen fängt es an. Das muss man schon in der Familie diskutieren, aber es ist wirklich die ganze Gesellschaft dafür mit verantwortlich, also nicht nur die Schule, natürlich auch die Eltern und die Großeltern, gerade Großeltern, die selber den Krieg erlebt haben.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Also jeder Einzelne. Das ist auch Ihr Wunsch, dass man da hinschaut. Das beginnt ja mit so ganz kleinen Sachen: Wer ist für was verantwortlich? Und schon hat man immer stärker die Diskriminierung. Ich glaube, da muss jeder verantwortlich sein. - Danke schön.

Bürgerin: Mein Name ist Brigitte Fehse (?), ich komme aus Gotha. Ich habe folgende Frage: Man verbietet die NPD in Gedanken schon seit Jahren, aber es ist nie gelungen. Wenn die Rechtsradikalen Versammlungen oder Aufmärsche ankündigen, verbietet sie die Stadt, aber das Landesverwaltungsamt genehmigt sie dann. Kann man nicht im Vorfeld solche Leute überhaupt beschränken, damit sie keine Möglichkeit haben, sich zu beweisen oder zu dokumentieren? Ich weiß, dass wir eine Demokratie haben, dass jeder das Recht hat, sich zu äußern, aber solches Gedankengut hatten wir in Deutschland zwölf Jahre lang; das gehört nicht mehr hierher. Auch eine Partei, die so etwas unterstützt, muss weg. Wenn das möglich wäre, wäre das schön.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Ich nehme es natürlich mit. Es wird ja seit Jahren auch darüber diskutiert. Wir haben einmal einen Verbotsantrag gestellt; das wissen Sie. Der ist beim Bundesverfassungsgericht gescheitert. Die Sorge ist: Was passiert, wenn es jetzt wieder scheitern würde? Dann fühlen die sich ja gerade noch ermutigt.

Das Zweite: Wir können das gegebenenfalls wieder probieren; das wird im Augenblick diskutiert. Aber der Punkt ist: Wenn die Partei verboten ist, sind ja die Menschen nicht weg, und das Gedankengut ist weiter in den Köpfen.

Bürger: Ja, aber sie sollen keine Möglichkeiten haben, sich zu präsentieren, ihr Gedankengut zu verbreiten. Das muss man einschränken.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Genau. Am besten ist, man schafft es, dass man möglichst wenig Menschen hat, die solches Gedankengut haben. Aber wenn sie da sind, muss man auch schauen: Wo zieht man die Trennlinie zwischen Freiheit und Gedankengut, das nicht mit der Würde des Menschen verbunden ist?

Moderator: Aber es ist manchmal schon ein Katz-und-Maus-Spiel: Die Stadt verbietet es. Dann geht es an die nächste Instanz, da wird es zugelassen. Dann geht es an die übernächste Instanz, da wird es wieder verboten. Dann geht es an die überübernächste, und dann wird es zugelassen.

Bürgerin: Ja, das ist ein Katz-und-Maus-Spiel, genau. Und im Endeffekt marschieren sie.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Ich nehme Ihre Vorschläge auf. Wenn ich da etwas tun kann, tue ich es auch. An dieser Stelle muss ich aber sagen, dass das oberste Prinzip heißt: Die Gerichte entscheiden unabhängig. Das ist auch gut so. Wenn wir in der Politik auch noch die Gerichtsarbeit übernehmen würden, wäre das ganz schlecht. Der eine Richter sieht es so, der andere Richter sieht es anders.

Bürgerin: Aber die Einschränkung der Möglichkeiten, dass sie sich präsentieren, sollte man nutzen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Das verstehe ich. Wir nutzen alles, was wir bekommen und was gerichtlich dann auch durchgeht.

Bürgerin: Danke, Frau Bundeskanzlerin.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Oh, jetzt haben wir aber hier eine Wortmeldung an der anderen. - Die Dame, bitte. - Sie hatte ich schon fast mal drangenommen, deshalb sind Sie dann der Übernächste.

Bürgerin: Mein Name ist Susanne Beutel, ich komme aus Mengersgereuth-Hämmern und bin Schulleiterin einer kleinen Grundschule in Schalkau. Ich hätte vorhin schon gerne beim Thema Generationen etwas gesagt. Ich stelle fest: Es zieht sich durch bis in die Sicherheit, bis in die Identität. Alle Diskussionen gehen immer wieder auf die Schule zurück: Was kann die Schule leisten? Deshalb möchte ich darum bitten, dass wirklich in den nächsten Jahren mehr in die Schulen investiert wird. Ich denke, viel mehr Investitionen müssen gerade in die Kindertagesstätten, in die Schulen gehen.

Wir merken ganz einfach: Es hängt eine Sicherheit für die Eltern daran, es hängt eine Sicherheit daran, dass wir überhaupt Kinder bekommen. Unsere jungen Leute wollen wissen, wo sie ihre Kinder sicher hingeben können, wenn sie Arbeit haben, und sie wollen sicher sein: Ich kann mein Kind in eine Tagesstätte geben, damit ich arbeiten gehen kann. Wir merken auch, dass wir im Kleinkindalter beginnen müssen zu erziehen und aufzuklären, damit wir später nicht diese hohen Kosten haben, um Sicherheit wieder herzustellen. Da wäre meine große Bitte, auch dort in der Bundesregierung Prioritäten zu setzen.

Die junge Dame hat es vorhin gesagt: Ich glaube, dass in punkto Bildungspolitik, in punkto Schulen der Föderalismus eher hinderlich als förderlich ist.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Gut, das muss ich auch einfach mal mitnehmen. Sie sagen ja, wir müssen mehr investieren. Würden Sie sagen, wir brauchen mehr Lehrer oder bessere Ausrüstung? - Das also auch, aber vor allen Dingen mehr Zuwendungsmöglichkeiten für die Kinder.

Bürgerin: Inklusion ist ja ein großes Thema. Alle Bundesländer sind aufgefordert, Maßnahmepläne zu erstellen, gerade zur Inklusion. Die Ersten, die angesprochen werden, sind meistens die Schulen, die das auch schon tun, aber ohne irgendwelche Zuwendungen, ohne neue Lehrer, ohne andere Bedingungen. Ich glaube, dort geht es ganz schön auf die Kosten der Lehrer.

Moderator: Ich muss vielleicht ganz kurz erklären: Inklusion heißt, dass Behinderte und Nichtbehinderte zusammen in der Schule sind.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Wollt ihr noch etwas ergänzen? Alles gut bei euch?

Schülerin: Ich würde sagen, dass man schon früh beginnen muss, an dem Bild, das in den Köpfen mancher Menschen ist, etwas zu ändern. Es ist nun einmal so, dass es von den Eltern geprägt wird und dann in der Schule weitergegeben wird. Deswegen sollte man wahrscheinlich in den Schulen anfangen, darüber zu diskutieren und beizubringen, wie es wirklich richtig ist.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: In den Elternhäusern sollten die Werte natürlich auch weitergegeben werden. Das wird Gott sei Dank in den meisten Elternhäusern getan, aber in die Schule gehört es eben auch. Was ist bisher Ihre Erfahrung in Ihrem Leben? Passiert das in der Schule auch?

Schülerin: Na ja, wir sind halt in einer friedlichen Schule.

Moderator: An welcher Schule sind Sie?

Schülerin: Am Heinrich-Hertz-Gymnasium in Erfurt.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Ganz schnell noch Ihre Nachbarin.

Schülerin: Ich war in der 10. Klasse in der Ulrich-von-Hutten-Schule. Da ist es verboten, Kopftuch zu tragen, aber es gilt doch freie Religionsausübung und freie Meinungsäußerung. Wenn meine Religion sagt, dass ich mich bedecken soll, dann verstehe ich nicht, warum das dort verboten wird.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Ist es für die Lehrer verboten oder für die Schüler?

Schülerin: Auch für die Schüler.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Das ist nicht überall so.

Schülerin: Meine Cousine arbeitet zum Beispiel - ich hoffe, ich darf das sagen - im Karstadt. Sie darf dort auch kein Kopftuch tragen. Sie muss immer ihr Kopftuch abmachen, wenn sie da drin ist. Wenn sie rausgeht, muss sie wieder Kopftuch tragen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Bei den Lehrern haben wir das gesagt, weil wir da der Meinung sind - es gibt auch gerichtliche Entscheidungen dafür -, dass es eine Neutralität geben soll, und das Kopftuch hat ja auch eine religiöse Bedeutung. Insofern gibt es da den Anspruch, dass Lehrer es nicht tragen.

Aber bei Schülern wird es in der Bundesrepublik sehr unterschiedlich gehandhabt. Ihr Wunsch ist also, dass man überall, wenn man möchte, das Kopftuch tragen darf.

Schülerin: Meine Schwester war schon mit vielen Schülern beim Sekretariat und hat Unterschriften gesammelt, aber es wurde gleich gesagt: Nein, das geht nicht.

Moderator: Sie sollten vielleicht noch einmal nachfragen. Jetzt haben Sie mit der Bundeskanzlerin gesprochen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Nein, nein, nein, da können Sie mehr Schwierigkeiten bekommen. Ich bin dafür nicht verantwortlich. Dann sagen die, die Bundeskanzlerin soll sich mal um das kümmern, wofür sie verantwortlich ist.

Wir sprechen ja über die Zukunft, und Sie sagen, das würden Sie sich wünschen. - Jetzt sind aber endlich Sie dran.

Bürger: Mein Name ist Roland Erdmann, ich komme von der Arbeiterwohlfahrt und bin stellvertretender Landesvorsitzender in Thüringen. Das Thema Sicherheit, Rechtsextremismus ist ein wichtiges Thema, dem wir uns auch stellen. Wir machen viel freie Jugendarbeit, und dort widmen wir uns auch diesem Thema. Ich denke, jeder Euro, der da in Prävention gesteckt wird, ist viel besser investiert als die Kosten, die wir vielleicht hinterher haben, weil bereits schlimme Dinge passiert sind.

Deswegen sollte man auf Bundes- und auf Landesebene Programme gegen Rechtsextremismus stärker unterstützen, aber natürlich auch nicht immer nur nach dem Staat rufen. Ich denke, ganz wichtig beim Thema Sicherheit sind auch Dinge wie funktionierende Nachbarschaften, eine Kultur des Hinschauens, auch wenn es schlimme Dinge gegeben hat, bei denen Menschen ihre Courage, ihr Engagement letztendlich mit dem Leben bezahlt haben. Aber das sollte eher ein Beispiel sein, das dann auch gewürdigt wird. Wenn wir füreinander einstehen, dann können wir auch den Tendenzen dieser Entsolidarisierung entgegenwirken und ein Stück weit mehr Sicherheit innerhalb des Landes erreichen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Ja, danke. Ihr Credo ist also auch: Der Staat muss schon einiges tun, aber er kann auch nicht alles tun. Es geht auch darum, dass die Menschen sich einander zuwenden und etwas unternehmen. Das will ich auch noch einmal sagen, denn sonst kommen wir in der Zukunft nicht klar, wenn wir noch die Schuldenbremse einhalten sollen.

Das Interessante ist - das weiß jeder, der ehrenamtlich tätig ist -: Es bereichert einen dann ja auch. Aber wichtig ist: Man darf nicht noch zusätzliche Schwierigkeiten bekommen, wenn man etwas für andere macht.

Es gab hier jetzt eine Wortmeldung. Sie hatte ich fast schon drangekommen. Sie und Sie, würde ich sagen, und dann sind Sie mal wieder dran, Herr Schöberl.

Moderator: Sie sind die Chefin. Sie dürfen aussuchen, wen Sie wollen. Ich will Sie da überhaupt nicht beeinflussen.

Bürger: Ich bin sehr, sehr zufrieden, hier dabei zu sein. Mein Name ist José Pakam (?), meine ursprüngliche Heimat ist Angola, mein Zuhause ist Erfurt. Deutschland als Heimat - das Gefühl ist mir nicht fremd.

Wenn es um die Frage der Sicherheit geht, leiden wir in der Gesellschaft unter einem Gefühl der mangelnden Wertschätzung. Wir brauchen diese Wertschätzung für unseren Nächsten, unabhängig davon, wie er aussieht, welche Hautfarbe er hat oder aus welchem Land er gekommen ist.

Wir brauchen auch ein einfaches Vorgehen bei Fällen von Diskriminierung, Ausgrenzung oder Benachteiligung. Es gibt jetzt das Antidiskriminierungsgesetz, aber die Umsetzung ist sehr schwierig. Deswegen, Frau Kanzlerin, brauchen die Antidiskriminierungsstellen volle Unterstützung.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Okay, danke. Sie sagen also, Sie brauchen die Wertschätzung insgesamt. Haben Sie schon oft erlebt, dass man Sie erst einmal anguckt und sagt: Na? - Oft, ja? Das ist traurig. Man muss sich mal vorstellen: Wir kommen nach Angola und jeder wird angeguckt, als wäre er jemand, dem man erst einmal nicht über den Weg trauen kann. Das ist schlecht.

Haben Sie so etwas auch schon einmal erlebt?

Bürger: Jein. Ich bin zwar hier geboren, aber mir war von Anfang an bewusst, dass man mir einen Extrablick zuwenden wird, weil ich nicht von hier bin. Man sollte bei so etwas stark sein, denn es gibt immer Gute und Schlechte. Das waren halt die Schlechten.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Aber man muss dann schon stark sein, nicht?

Bürger: Ja, ich meine, das Leben geht weiter. Gott hat mich so geschaffen. Wieso sollte ich mich für das schämen, was ich bin? Deshalb habe ich kein Problem.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Wir müssen uns mal anschauen: Wir werden in Deutschland in den nächsten zehn, zwanzig Jahren weniger Menschen, wir werden im Durchschnitt älter, und wir werden vielfältiger, weil wir Menschen aus viel mehr Nationen haben. Wenn wir da jeden erst einmal angucken und überlegen, ob er so aussieht, als dass wir ihn wertschätzen können, dann wäre das eine ganz schlimme Sache. Insofern danke, dass Sie das auch so ausgesprochen haben.

Das Zweite ist: Es muss natürlich auch die rechtlichen Regeln geben, womit Sie sich etwas einklagen können.

Bürger: Mein Name ist Cliff Börner, ich komme aus dem Wartburgkreis, aus dem schönen Ort Marksuhl. Wir haben drei Kinder. Zum Thema Sicherheit: Ich fühle mich sicher in Deutschland, mir geht es gut, ich habe keine Angst. Jetzt wollen wir ja zehn Jahre weiter blicken: Ich fühle mich immer noch sicher, aber ich habe ein bisschen Angst Richtung Internet. Diese ganze Welt, die in den letzten Jahren eine Dynamisierung erfahren hat, macht mir für die Zukunft ein bisschen Sorge: Ist meine EC-Karte sicher? Ist das alles sicher? Ist mein Sohn, der mit zehn Jahren im Internet surft, eigentlich sicher? Das macht mir für die Zukunft in zehn Jahren ein bisschen Angst.

Moderator: Ja. Tun wir da genug?

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Das ist ein Thema, das wir unbedingt aufnehmen müssen. Denn hier gibt es ja eine Diskussion, bei der auf der einen Seite diejenigen, die das Internet nutzen, sagen: Pfuscht uns da ja nicht rein! Das ist ein freier Raum, da wollen wir unsere Freiheiten haben. Auf der anderen Seite, als Eltern, sagt man natürlich: Bekomme ich das alles mit? Was strömt auf mein Kind ein? Was bedeutet das?

Da werden wir eine große gesellschaftliche Diskussion haben - danke, dass Sie das Thema auch aufgreifen - und das richtige Maß finden müssen. Für die Älteren ist es natürlich auch gar nicht so einfach. Wir sind ja in dieser Zeit nicht aufgewachsen. Die jungen Leute wachsen da heute rein, die sind da wie ein Fisch im Wasser. - Facebook, sagt er hier.

Moderator: Im Anschluss gleich posten: Gefällt mir!

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Jetzt kommen Sie noch dran; dann muss ich aber weiterziehen. Ich glaube, ich habe diese Seite hier sehr vernachlässigt. - Sie waren schon dran. Wer schon dran war, hat keine Chance mehr. Das muss ich sagen.

Bürgerin: Mein Name ist Monika Utermann, ich komme aus Weimar. Ich finde Sicherheit sehr wichtig, aber ich beschäftige mich mit anderen Problemen und stelle mir die Zukunft Deutschlands so vor, dass wir in Frieden leben, also nicht in einem Krieg - das ist mir sehr wichtig -, dass wir im Einklang mit der Natur leben, dass wir in sicheren Verhältnissen leben, mit einem angemessenen Lebensstandard. Ich meine, das ist möglich.

Was ich ganz furchtbar finde, ist, dass wir in diesem reichen Land laut „Spiegel Online“ 2,5 Millionen Kinder haben, die in Armut leben, dass wir 12 Millionen Menschen haben, die in Armut leben. Das ist eine Zahl des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. Ich finde als Lösung ein bedingungsloses Grundeinkommen sehr gut. Diese Lösung ist, meine ich, finanzierbar, indem man eine Konsumsteuer einführt und sich ein ganz neues Steuersystem vornimmt.

Ganz, ganz wichtig ist mir, dass das Land von Sozialpolitikern regiert wird.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Ich glaube, wir brauchen einfach immer die Mischung. Es müssen Menschen mit sozialer Kompetenz sein - das ist Ihnen wichtig. Ich sage auf der anderen Seite: Es muss ab und zu auch jemand ein bisschen Ahnung von Technik haben, damit wir auch da vorankommen und noch etwas verkaufen können.

Bürger: Von Wirtschaft!

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Das war jetzt bei der Technik gleich mit einbezogen. - Aber jeder sagt ja jetzt hier das, was ihm wichtig ist. Da sagt sie eben, es ist die soziale Kompetenz und auch das Grundeinkommen. Das hatten wir ja heute schon.

Bürger: Uwe Heimowski ist mein Name, 47 Jahre, aus Gera. Ich bin dort Pastor in einer Freikirche. Ich denke, was uns häufig Angst macht, ist das Fremde, das, was wir gar nicht kennen. Da geht es um ganz praktische Sachen: Ich lade jemanden aus Syrien ein. Der kommt nicht zum Essen, und erst hinterher bekomme ich mit: Er wusste nicht, dass wir wussten, dass sie kein Schweinefleisch kochen. Wir sind gar nicht auf die Idee gekommen, darüber zu reden, und deswegen konnte er nicht kommen. Ich glaube, ganz viele Probleme entstehen dadurch, dass man sich nicht kennt und dass man sich nicht begegnet.

Ich finde zum Beispiel diese Parole „Nazis raus!“ in der Sache richtig, aber auf den Menschen bezogen völlig falsch, weil der Mensch ja nicht raus kann. Den muss ich gewinnen, dem muss ich begegnen, den muss ich verändern.

Wir haben als Gemeinde ein Projekt gestartet, das wir „Innenleben“ genannt haben. Das ist ein offener Garten, der in einem Quartier in der Innenstadt dazu führt, dass Leute sich treffen können, ältere Menschen, Migranten. Asylbewerber kommen und tanzen zum Beispiel mit deutschen Mädchen zusammen. Sie können noch nicht Deutsch, aber sie können miteinander tanzen. Ich denke, es ist gut, solche Projekte, wo Begegnungen möglich sind, noch stärker zu fördern.

Mehrgenerationenhäuser wurden genannt. So kann man auch Mehrgenerationengärten schaffen, offene Plätze. Das ist etwas, von dem ich mir sehr wünschen würde, dass es weiter gefördert werden könnte.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Ja, das nehme ich auch gerne mit auf. Wir hatten ja schon den Punkt mit den Mehrgenerationenhäusern. Früher ist es sicherlich häufiger so gewesen, dass man eine Familie hatte, eine Riesenverwandtschaft hatte. Das kommt heute auch noch vor, aber viele Menschen haben es nicht, und sie müssen sich nicht komisch fühlen, wenn sie sich in der Gesellschaft begegnen, sondern es muss normal sein, dass man offen ist und auch andere aufnimmt. Diese Offenheit fehlt ja manchmal auch ein bisschen.

Bürger: Mein Name ist Henryk Balkow, ich komme aus Stützerbach, einem kleinen Dorf, und lebe seit vielen Jahren in Erfurt. Wir reden über Sicherheit, und Sicherheit hat viel mit Angst zu tun. Die Lösung für Angst ist Mut. Ich gehöre in meiner Generation hier zu den wenigen, die den Mut hat, in Thüringen zu bleiben. Ich hatte mich selbstständig gemacht, mache hier viel ehrenamtlich, sehe aber immer viele Leute gehen. Das ist sehr, sehr traurig, weil das auch soziale Beziehungen sind - Facebook hin oder her.

Aber was ist die Lösung? Ich würde mir einfach wünschen, dass sowohl in den Unternehmen selbst als auch vor allen Dingen in den ganzen Behörden, Ämtern etc. die Menschen, die Entscheidungen treffen - das ist die kleinste Keimzelle der Zukunftsgestaltung -, offener sind, auch was die Generationen angeht, dass man mit den Jüngeren auf gleicher Augenhöhe redet und dass, wenn Ideen angeschoben werden, nicht immer gleich gesagt wird, was nicht geht, sondern dass man auch einmal schaut, was geht. Ich sage das bewusst, weil es hier in Thüringen sehr häufig passiert, dass einfach gesagt wird „Nein, das geht nicht“ und nicht geschaut wird, wo vielleicht doch ein Weg ist.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Haben Sie gute Erfahrungen damit gemacht, dass Sie hiergeblieben sind?

Bürger: Ich habe in Thüringen sehr schlechte Erfahrungen mit einem solchen Engagement gemacht, bin auf sehr viele verschlossene Türen gestoßen, bin trotzdem geblieben und mache trotzdem weiter und hoffe, dass sich da viele Leute anschließen. Das betrifft die Medienbranche genauso wie die Tourismusbranche. Hier gibt es sehr, sehr viel zu tun, und wir müssen wesentlich mehr mit dem Kopf durch die Wand. Ich wünsche mir aber, dass auf der anderen Seite nicht immer eine Wand ist, sondern manchmal auch jemand, der sagt: Komm lass uns zusammen schauen, was wir tun können.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Also auch wieder ein Plädoyer für Offenheit und dafür, was der Einzelne tun kann.

Bevor ich jetzt zu Ihnen komme: Er guckt mich immer so nett an.

Bürger: Weil wir aus einer Fraktion kommen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Oh, das habe ich gar nicht geahnt.

Bürger: Spaß beiseite! Mein Name ist Siegfried Hörcher, ich bin ein kleines Ortsbürgermeisterlein, komme aus dem Thüringer Färbedorf Neckeroda, das südlich von Weimar liegt. Frau Merkel, wegen Ihrer Dialogführung mit dem Bürger muss ich Ihnen erst einmal hohe Anerkennung zollen. Das ist nicht nur mutig, das ist vorbildlich. Ich will unsere Ministerpräsidentin in Thüringen, Frau Lieberknecht, da ausgesprochen in Schutz nehmen; sie macht das ähnlich super. Aber bei allen anderen Ebenen wäre es schön, wenn sie das auch machen würden.

Die erwähnten Probleme im ländlichen Raum sind nicht einfach so abzutun. Das ist viel tiefgreifender. Alle, die sich engagieren, ob ehrenamtlich oder anderweitig, bekommen einen Stein nach dem anderen zwischen die Füße geschoben, und das ist nicht in Ordnung. Denn die Menschen dort haben genauso ein Recht wie die Menschen in den Ballungsgebieten oder den Kerngebieten der Großstädte, sich entwickeln zu dürfen. Das wird gehemmt, das ist einfach so.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Machen Sie denn als Bürgermeister mit Ihren Bürgern das auch?

Bürger: Wir stehen mehr als im Dialog. Wir haben Projekte bis 2030 entwickelt. Leider haben uns Herr Rösler und Herr Röttgen erst mal wieder einen Strich durch die Rechnung gemacht. Wir haben kein Geld. Aber damit wollten wir Geld machen, so ähnlich, wie das die Bayern gemacht haben. Vielleicht finden wir im Endeffekt noch andere Lösungen. Wir geben nicht auf.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Gut! Sehr gut!

Bürger: Aber ich wollte noch etwas zur Sicherheit sagen. Wir haben heute von Korruption und Wirtschaftskriminalität gesprochen. Die Korruption beginnt ja eigentlich nicht unten, sie beginnt ganz woanders, und das wissen Sie genauso gut wie ich. Als die Finanz- und Wirtschaftskrise losging, kann ich mich noch erinnern, wie Sie richtig deutlich gesagt haben: Jetzt ist in bestimmten Führungsebenen das Maß der Dinge erreicht; Sie wissen, was ich meine.

Die Bevölkerung vermisst hier gerechtere Strafen. Es ist sicherlich nicht jeder von diesen Leuten ein Dieb; das wäre völlig falsch dargestellt. Aber es gibt noch einige, und die Bevölkerung sieht: Hier wird nicht ernsthaft durchgegriffen. Wir sollten für die Zukunft Maßstäbe setzen, um das zu verhindern. Die Staatsanwaltschaften werden von bestimmten Leuten beeinflusst - das wissen Sie auch - oder stehen unter der Regierung. Das ist ja in Thüringen genauso; ich will Ihnen jetzt nicht das Beispiel sagen.

Im Zusammenhang mit der Entwicklung der rechten Szene hätte ich eine ganz große Bitte: Es arbeiten ja Kommissionen diese Dinge auf - das ist auch richtig und wahr -, aber ich bitte Sie herzlichst, genau hinzugucken, wie die Aufgaben zwischen Bundesnachrichtendienst, Verfassungsschutz und LKA verteilt sind. Jeder will hier sein Recht durchsetzen, ähnlich wie im Mittelalter bei den 300 Fürstentümern. Im Endeffekt kommen wir zu keinen guten Ergebnissen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Da passen wir jetzt auf.

Bürger: Ich denke, hier sollte etwas umstrukturiert werden. Ich denke, unter Ihrer Obhut ist das gut aufgehoben.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Danke schön. Wir schauen, dass die Arbeit dann auch wirklich effektiv anlaufen kann.

Moderator: Der Punkt Wirtschaftskriminalität ist auch wichtig, dass man da genau hinschaut, dass die Leute, die da etwas verbrochen haben, auch bestraft werden und dass es entsprechende Gesetze gibt.

Bürger: Ich möchte ein bisschen provokativ sein und mich auf eine Aussage in der „Thüringer Allgemeinen“ beziehen. Da wurde gesagt, dass etwa 20 Prozent der Bevölkerung leicht zum rechten Gedankengut hin tendieren. Nun könnte man das weiterspinnen: Was ist Bevölkerung? Das sind die ganz normalen Leute. Dann geht es weiter in die Verwaltung, dann geht es weiter bis in höhere Ämter. Ich wage gar nicht, höher zu steigen.

Nach den letzten riesigen Pannen, die wir bei Polizei und Verfassungsschutz erlebt haben, bin ich sehr skeptisch, dass da eine erfolgreiche Bekämpfung vorgenommen wird.

Die Frau Kanzlerin hat es gesagt, und das wissen ja alle: Rechtes Gedankengut ist ganz schwer auszumerzen, es bleibt trotz Verbot immer vorhanden. Ich habe die Hoffnung, dass es irgendwann ausstirbt, denn wir wissen alle: Ein Mensch ist mit 20 Jahren kaum noch grundsätzlich in seinen Ansichten zu ändern.

Moderator: Aber was würden Sie der Bundeskanzlerin dann mitgeben? Denn wir wollen ja, dass sie etwas mitnimmt.

Bürger: Ich will der Bundeskanzlerin mitgeben: Ein Verbot ist immer eine schwierige Sache, denn Kampf gegen etwas erzeugt bekanntermaßen Widerstand, oder es geht in den Hintergrund. Die Gedanken bleiben; das hat sie ja auch bestätigt.

Aber man könne dadurch wenigstens das Agieren unterdrücken und abschwächen - das wäre schon ein großer Vorteil - und vielleicht diesen ganzen Prozess beschleunigen.

Noch etwas ganz Wichtiges: Nur die junge Generation kann neue Gedanken und neue Auffassungen entwickeln. Die Familie wurde genannt; da ist es manchmal sicherlich schwierig. Dann hängt es wieder an der Schule. Da muss trainiert werden, geübt werden, praktiziert werden. Das müsste natürlich auch gemacht werden, so schwierig es ist.

Jetzt noch einen Punkt.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Aber ganz kurz!

Bürger: Der sicherste Staat ist der, der die meisten Überwachungskameras hat. Das muss man sagen. Mich als unbescholtenen Bürger stört es nicht, wenn ich überall gefilmt werde und meine Daten drei Jahre aufgehoben werden. Wie kann denn die Verbrechensbekämpfung erfolgen, wenn anschließend die Daten gelöscht werden! Das ist doch ein Unding! Wir wollen die Freiheit des Bürgers, schützen sie aber nicht.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Okay, also ein klares Plädoyer für die Sicherheit, zum Beispiel Videokameras und Ähnliches. Ansonsten: Wehret den Anfängen beim Rassismus! Auf der anderen Seite geht es Ihnen darum, die Strukturen so zu schaffen, dass auch wirklich aufgeklärt und überwacht wird.

Moderator: Frau Bundeskanzlerin, einen Punkt wollen wir noch besprechen. Deswegen müssen wir noch mal ganz nach vorne durchgehen. Das ist auch symbolisch gedacht.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Dann sind wir schon bei der Identität.

Moderator: Ja, wir wollen uns noch ein bisschen über die Identität unterhalten. Die Frage ist: Wer ist eigentlich „wir“, wenn wir von „wir“ reden? Dazu gibt es auch noch einen kleinen Zuspieler.

Thema "Identität"

(Einspielfilm Identität)

Zur Frage der Identität: Meine Damen und Herren, wie sehen wir uns als Deutsche in zehn Jahren? Dazu haben wir ja viel erreicht: 60 Jahre eine funktionierende Demokratie, seit über 20 Jahren durch die friedliche Revolution ein wiedervereintes Deutschland. Da ist schon einiges dabei, was man vorweisen kann. - Wer möchte etwas sagen?

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Hier haben wir gleich eine Meldung. - Wollen Sie noch etwas sagen? Sie schauen so interessiert. - Nein, Sie waren schon dran.

Moderator: Ganz streng!

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Ja, wenn manche gar nicht drankommen.

Bürger: Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, mein Name ist Fabian Hesse, ich komme aus dem Eichsfeld. Dort war ich gestern in einem größeren Kaufhaus. Da hörte ich einen Werbesong: „Ein Land, wo man dich versteht. Hier werden Wünsche wahr. Ein Land, deine Welt, in der der Mensch noch zählt.“ Das war in besagtem Kaufhaus.

Was ich für Deutschland nicht möchte, ist, dass Deutschland zum „Kaufland“ wird, denn dort bin ich gewesen. Ich bin Deutscher, nicht Käufer, ich bin mündiger Bürger, nicht willenloser Konsument. Das ist mir wichtig. Ich finde, was dazu beitragen kann, ist eine andere Kultur des Schenkens.

Wir haben es eben gehört: Es gibt durchaus eine Willkommenskultur in Deutschland. Mir ist wichtig, dass wir vielleicht dahin kommen, weniger unpersönliche, rein gewerbliche Werbegeschenke zu machen, wenn wir irgendwohin kommen, und mehr persönliche Gastgeschenke. Die Leute lernen den Menschen kennen und nicht nur, was er macht, was er produziert, auch wenn Qualität natürlich wichtig ist. So könnten wir sicher unser Image auch dahin gehend verbessern, dass die Leute uns als Menschen kennenlernen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Also nicht immer mehr Geld und Kaufen, sondern auch ein Stück eigene Persönlichkeit schenken und eigenen Ausdruck schenken. Sehr gut. Das ist ein guter Vorschlag, dass wir auch mal darüber diskutieren, wie man das schaffen kann. Das kann ja der Staat nicht befehlen.

Bürger: Es ist die Mentalität.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Ja, die Mentalität.

Bürgerin: Mein Name ist Ilona Taute, ich komme aus Weimar, ich bin Lehrerin. Ich möchte auch in zehn Jahren noch stolz auf meine Arbeit sein können und mich nicht verstecken müssen und vorsichtig sagen: Ich bin Lehrer.

Wir haben schon gehört, was Schule alles leisten soll. Ich kann für viele Lehrer sprechen, dass Schule das auch leistet. Lehrer sind sehr fleißig. Sie sind nicht nur pünktlich, sie haben nicht nur Ferien, sondern sie engagieren sich über das normale Maß hinaus. Das geht hin bis zu Kontakt zu Jugendämtern, sich abends mit Eltern zu treffen, weil sie tagsüber aufgrund der veränderten Lebens- und Arbeitsbedingungen keine Zeit haben.

Ich möchte einfach, dass in der Gesellschaft das Berufsbild anders dargestellt wird. Jeder sollte stolz auf seine Arbeit sein. Das beziehe ich jetzt nicht nur auf meine Berufsgruppe. Ich habe das Gefühl, dass wir uns da manchmal ein bisschen verstecken.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Ich glaube, diese Diskussionsrunde heute müsste Ihnen eigentlich Mut machen, dass wir auch in zehn Jahren sagen, die Lehrer sind ganz wichtig.

Moderator: Vielleicht mal einen freundlichen Applaus für die Lehrer, weil sie das auch verdient haben. Jeder, der von uns - das waren wir alle - in der Schule war oder in der Schule ist, der weiß, dass es die Lehrerinnen und Lehrer nicht immer leicht gehabt haben. Sie haben wirklich unter dem Strich immer einen tollen Job gemacht. Dafür haben sie auch unsere Anerkennung verdient.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Wie sollten wir sein? Wie wollen wir sein? Wie sieht man uns?

Schülerin: Mein Name ist Luise Gattung. Ich bin Schülerin hier in Erfurt am Spezialschulteil des Albert-Schweitzer-Gymnasiums, komme aber eigentlich aus dem Wartburgkreis. Ich würde gerne etwas zu dem Statement bezüglich der Lehrer sagen.

Das Bild, das Sie jetzt geschildert haben, ist natürlich sehr positiv und sehr vorbildlich. Ich bin davon überzeugt, dass es wirklich sehr viele Lehrer gibt, die für ihre Schüler arbeiten und auch diesen Beruf leben und wirklich sehr viel Mut und Kraft investieren. Allerdings habe ich es selbst in meiner Laufbahn auch erlebt, dass das nicht immer zutrifft und dass das wirklich ein sehr großer Problemfall hier in Deutschland ist und auch mit dem Thema Identität etwas zu tun hat. Denn sobald ein Lehrer es nicht mehr schafft, dem Schüler das eigentliche Interesse am Fach zu vermitteln und zu zeigen, was das Tolle an diesem Lehrstoff sein kann, und nur über den Lehrplan hinwegrasselt und vielleicht noch durch sein eigenes Auftreten eher Desinteresse zeigt, zum Beispiel durch ständige Fehltage oder ständige Krankheiten, wenn man eigentlich eher mit schlechter Laune in den Arbeitsalltag geht - so nach dem Motto: ich muss jetzt schnell den Tag herumkriegen -, vermittelt das ein schlechtes Bild.

Moderator: Heißt das, Sie würden gerne der Bundeskanzlerin mitgeben, auch wenn es föderal schwierig ist, dass einfach bei der Lehrerausbildung etwas gemacht werden muss, dass Lehrer in modernen Zeiten auch modern ausgebildet sein müssen?

Schülerin: Ja, das denke ich auf alle Fälle. Ich glaube, man muss auch im Bereich des Studiums einiges verändern. Ich habe von verschiedenen Fällen gehört, dass Leute für das Lehramt studieren, die dafür weniger geeignet sind.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Man muss auch ein bisschen Engagement haben, Freude und eine gute Ausbildung.

Schülerin: Ja, richtig.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Und es kommt hinzu: Es gibt Lehrer, die zu große Klassen haben, auf die viel einprasselt. Man muss es natürlich auch schaffen können.

Auf jeden Fall wird auch für die zukünftigen Generationen in den nächsten zehn Jahren das Thema Lehrer und Motivation und Freude am Beruf und Anerkennung eine Riesenrolle spielen.

Bürgerin: Mein Name ist Virchi Ung (?), ich bin im Migrationsbereich tätig. Es geht um Identität. Wenn es zum Beispiel um Gewalt gegen Ausländer geht und wenn Migranten in der dritten Generation, die hier geboren sind, auch die Sprache erworben haben und die deutsche Kultur erworben haben, immer noch als Fremde bezeichnet werden, ist das ein Problem.

Deshalb denke ich, dass auch die Frage der Normalität ganz wichtig ist. Es ist egal, wie man aussieht. Es ist wichtig, einfach als Mensch angesehen zu werden und nicht ausgegrenzt zu werden, nur weil man anders aussieht.

Ich habe noch eine Bitte. Wir sind im Bereich Migration tätig. Meist ist das von einer Projektförderung abhängig. Das heißt, es gibt nicht immer eine Kontinuität. Wir haben ein Projekt, in dem viele Deutsche mit Migranten zusammenarbeiten, in dem Deutsche Migrantenkindern bei den Hausaufgaben helfen und auch gemeinsam etwas machen, die Sprache lernen und auch Mathematiknachhilfe geben. Das Projekt läuft sehr gut, aber es läuft jetzt aus. Die Anschlussfinanzierung ist sehr problematisch.

Im Alltag ist Rassismus weit verbreitet. Man darf nicht zulassen, dass es zu Gewalt kommt. Das Zusammenleben, das Zusammenwachsen ist die beste Lösung gegen Gewalttaten.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Sie glauben, wir müssten noch mehr zusammen machen und sollten die Projekte - das hatten wir auch an anderer Stelle schon - nicht immer gleich abbrechen lassen.

Bürger: Gregor Steffens, Erfurt. Zur Identität: Wenn ich hier zuhöre, höre ich immer, was alles an Wünschen an den Staat herangetragen wird. Meine Identität ist auch - neben vielen anderen Dingen, die jeder hat - deutscher Staatsbürger. Ich denke, ich habe nicht nur die Aufgabe, zu sagen, was der Staat so alles machen muss. Denn ich glaube, in vielen Punkten ist er überfordert. In der Kindererziehung zum Beispiel mischt er sich ein bisschen viel ein, denke ich. Ich habe vier Kinder und denke, das kann die Familie besser.

Man muss auch fragen: Was kann der Staat nicht? Zum Beispiel würde ich sagen, dass dieses bedingungslose Grundeinkommen ausgesprochen kontraproduktiv ist. Wenn ich meinen Kindern sagen soll, sie bekommen demnächst ihr Gehalt ohne eine Bedingung, frage ich mich: Wie soll ich sie motivieren, irgendetwas zu machen?

Moderator: Ganz konkret noch: Was wäre etwas, was Sie gerne der Bundeskanzlerin aufschreiben würden?

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Er sagt, der Staat soll auch nicht den Eindruck erwecken, er könnte alles.

Bürger: Er hat nämlich das Geld nicht. Wir müssen es irgendwann bezahlen. Es ist ja nicht das Geld des Staates, sondern unser Geld, das er ausgibt.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Es ist auch die Frage, ob es im Sinne der Bürger ist, wenn der Staat so tut, als könnte er ihnen alles abnehmen. Denn das ist ja auch Einmischung.

Bürger: Es ist auch eine Frage der Identität, dass ich vieles selbst machen kann.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Ja, ich habe das verstanden.

Bürger: Wenn ich einen Wunsch äußern darf - das ist natürlich wieder mit Kosten verbunden -, sage ich: Wir haben über Familien und die Hektik in den Familien gesprochen. Familien investieren nach Angaben des Statistischen Bundesamtes ungefähr 120.000 Euro pro Kind, bis es halbwegs groß ist. Warum kann es die Gesellschaft für ein Kind nicht zwei Jahre am Anfang seines Lebens finanzieren, dass ein Elternteil zu Hause bleibt? Das würde sehr viel Entspannung in die Familien bringen. Es würde ganz viele Probleme lösen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Sie sind für zwei Jahre. Heute ist es ein Jahr.

Bürger: Ich sage: Zwei Jahre mindestens. Ich denke, das wäre wirtschaftlich auch langfristig eine Investition, nicht nur ein Kostenfaktor.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Okay, das nehmen wir mit.

Bürger: Guten Abend, Frau Bundeskanzlerin! Ich bin Jan Hilkenbach (?), Student in Erfurt. Ich habe zwei kurze Punkte zur Identität. Wenn ich beim Thema Identität an die Bundesrepublik Deutschland denke, ist das ganz klar die Demokratie. Wir haben hier seit 60 Jahren, zumindest in Westdeutschland, das Glück, in einem demokratischen Staat zu leben. Darüber sollte wieder mehr gesprochen werden. Es gibt Versammlungsfreiheit und Pressefreiheit. Das ist heutzutage alles selbstverständlich geworden. Der Staat gewährt einem das. Man sollte wieder mehr darüber sprechen. Ich setze da große Hoffnung in den designierten Bundespräsidenten, der auch viel über das Thema Freiheit und Demokratie spricht.

Ein zweiter Punkt zur Identität. Da geht es mir um die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, vor allem in den Schulen. Ich muss ganz persönlich sagen: Ich finde die Auseinandersetzung mit diesem Thema auf jeden Fall sehr, sehr wichtig. Aber ich mache in den Schulen die Erfahrung, dass den heutigen Schülern teilweise noch eine Art Schuldkomplex antrainiert wird. Ich glaube, das ist ein ganz, ganz schwieriger Punkt, weil man damit für das Unrecht, das damals geschehen ist, einen Schuldigen sucht, den es im Heutigen einfach nicht mehr geben kann. Es ist eine neue Generation da.

Wir müssen den Nationalsozialismus als Teil der Geschichte Deutschlands akzeptieren. Er muss auch ganz klar behandelt werden. Es muss darüber gesprochen werden, damit so etwas nie wieder passiert. Aber es kann nicht sein, dass jetzt eine neue Generation heranwächst, die immer noch mit diesem Schuldkomplex leben muss. Das sehe ich in den Schulen manchmal als sehr problematisch.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Ich glaube, es geht nicht darum, der heutigen Generation einen Schuldkomplex zu vermitteln. Aber Sie empfinden das so. Deshalb muss man sich über die Vermittlung der Geschichte noch einmal Gedanken machen. Das nehme ich jetzt als einen Auftrag auch mit.

Auf der anderen Seite geht es ja vor allen Dingen darum, dass man aus diesen schrecklichen Ereignissen lernt. Dazu ist Ihr erster Vorschlag passend: die Demokratie, die wehrhafte Demokratie, die auch merkt, wenn es Anfänge gibt, dass man wieder Menschen ausgrenzt usw. Ihre beiden Vorschläge gehen im Grunde Hand in Hand.

Bürger: Mein Name ist Hartmut Koch, ich bin Geschäftsführer eines privaten Bildungsträgers und im Ehrenamt Vertreter des Allgemeinen Arbeitgeberverbandes. Ich habe sehr viel mit Fachkräfteproblemen zu tun, die wir sowohl jetzt als auch zukünftig zu lösen haben.

Zwei Punkte will ich dazu hier ansprechen. Es geht darum, dass wir bei den ausländischen Fachkräften, die bereits in Deutschland sind, schneller zu der Anerkennung der Abschlüsse kommen, dass sie eher den Abschluss erhalten und in Firmen vermittelt werden können.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Das ist ganz wichtig.

Bürger: Auch die zweite Sache ist ganz wichtig: eine qualifizierte Zuwanderung von jungen Leuten. Kinder sind unsere Zukunft. Wir brauchen junge Leute, die sich hier in Deutschland wohlfühlen, die vielleicht auch hier bleiben oder, was auch ganz wichtig ist, nach Hause gehen und dort die Wirtschaft entwickeln. Diese zwei Sachen wären für mich sehr wichtig.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Das sind zwei Punkte, die man ganz konkret mitnehmen kann.

Moderator: Jetzt nehmen wir noch die junge Dame dran. Dann haben Sie auch das Schlusswort, und wir sind gespannt, ob die Bundeskanzlerin noch etwas mitnehmen kann.

Schülerin: Ich heiße Emine Estina (?). Ich bin 17 Jahre alt und besuche zurzeit die 12. Klasse eines Gymnasiums in Erfurt. Ich wollte auch etwas zur Identität sagen. Es gibt viele Projekte, unter anderem das START-Stipendium. Das vergibt Stipendien an Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund und fördert sie, auch speziell in ihrer Persönlichkeit und ihrer Entwicklung während der schulischen Laufbahn. Ich denke, man sollte genau solche Projekte aufgreifen und speziell unterstützen, damit auch wirklich die Persönlichkeit einer jeden Person gewährleistet wird.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Sie nutzen das Stipendium?

Schülerin: Ja, ich bin seit ein paar Jahren dabei.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Sehr gut! Und Sie sagen, das ist eine gute Initiative von Deutschland. Damit können Sie sich identifizieren.

Schülerin: Ja, genau.

Moderator: Alles Gute weiterhin!

Dann dürfen wir Schluss machen. Ich möchte mich erst einmal bei Ihnen bedanken, meine Damen und Herren. Herzlichen Dank für die engagierte Diskussion. Einen großen Applaus von Ihnen für sich selbst, weil das wirklich eine tolle Diskussion war. Da waren tolle Vorschläge und viele schöne Punkte dabei.

Frau Bundeskanzlerin, es waren relativ viel Themen dabei: Grundeinkommen, mehr Generationengerechtigkeit, Schule, ländlicher Raum, Migration, Internetsicherheit, Ehrenamt, das stärker gewürdigt werden sollte, weil so viele Menschen im Ehrenamt tätig sind; sie wollen natürlich wertgeschätzt werden. Was nehmen Sie aus den letzten 90 Minuten vor allen Dingen mit?

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Ich nehme mit, dass es einen großen Wunsch gibt, dass wir auch in Zukunft gut zusammenleben und dass wir eine gute Mischung haben müssen aus staatlichen Aktivitäten, dass aber auch der Einzelne sich einbringen muss. Es hat mir schon ganz gut gefallen, dass nicht nur gesagt wird, ihr müsst, ihr müsst, ihr müsst, sondern dass auch der Einzelne sich einbringt.

Ich glaube, dass man sich wünscht, dass gerade die Berufe und die Tätigkeiten, die mit Menschen zu tun haben, in unserem Land noch mehr gewürdigt werden, weil da immer ein bisschen die Gefahr besteht, dass das als selbstverständlich angesehen wird. Ich glaube, wir müssen uns überlegen, wie wir noch mehr Menschen für das Ehrenamt begeistern können und welche Strukturen wir dafür brauchen.

Dann müssen wir das schon ernst nehmen: die Wertschätzung, die jeder erfahren möchte, egal, wie er aussieht, egal, wie alt er ist, ob er behindert oder nicht behindert ist, jung oder alt ist, ob er etwas anders aussieht, als wir denken, dass Menschen, die hier schon 200 Jahre leben, aussehen müssten. Ich nehme auch mit, dass wir da noch ein bisschen mehr für Toleranz tun müssen, dass in unserem Kopf nicht immer gleich ein Film abläuft: Wo sortiere ich jemanden ein? Das geht ja ganz schnell. Da bin ich aber von den Beiträgen, die wir heute gehört haben, auch ermutigt.

Ansonsten darf ich Ihnen sagen: Wir schauen uns jeden Vorschlag an. Das, was heute gesagt wurde, wird aufgenommen. Aber auch das, was Sie vielleicht jetzt nicht einbringen konnten, können Sie uns zuschicken oder uns über das Internet oder anderweitig zukommen lassen. Denn uns geht es wirklich darum, einmal zu erfahren und zu erspüren, wie wir dieses Land, das ja ein schönes Land ist - das habe ich heute hier auch gemerkt: dass keiner so richtig unglücklich ist -, noch lebenswerter und noch gerechter machen können und wie wir helfen können, dass jeder seine Talente auch einbringen kann.

Ich bedanke mich ganz, ganz herzlich, dass Sie mitgemacht haben. Ich glaube, gelangweilt haben wir uns alle nicht. Insofern danke schön, dass Sie dabei waren und mitgemacht haben.

Moderator: Danke schön, Frau Bundeskanzlerin. Es hat wirklich sehr viel Spaß gemacht. Ich kann es nur noch einmal ganz kurz unterstreichen: Es geht wirklich nichts verloren. Viele sind auch nicht drangekommen, obwohl wir uns wirklich beeilt haben, möglichst viele unterschiedliche Stimmen zu hören. Aber von denen, die sich noch äußern wollen, wird jetzt von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern alles aufgenommen. Dann geht kein Vorschlag, keine Bitte verloren, auch nicht in Zukunft.

Herzlichen Dank und noch einen schönen Abend.