Im Wortlaut: Hendricks
Vom Klimaschutz-Gipfel in New York erwartet die Bundesumweltministerin ein Bekenntnis zum Fahrplan für ein neues ambitioniertes Klima-Protokoll, das Ende 2015 in Paris verabschiedet werden soll. Bewegung gebe es vor allem in China und den USA, erklärte Hendricks im Interview mit der Frankfurter Rundschau.
- Interview mit Barbara Hendricks
- Frankfurter Rundschau
Das Interview im Wortlaut:
Frankfurter Rundschau (FR): Frau Ministerin, Sie vertreten Deutschland auf dem Klimagipfel, zu dem UN-Generalsekretär Ban Ki Moon eingeladen hat. Was erwarten Sie von dem Treffen? Wird es den Ruck bringen, den die zähe internationale Klima-Diplomatie braucht?
Barbara Hendricks: Das wird man sehen. Auf jeden Fall rechne ich mit Fortschritten, die das Vertrauen darin stärken, dass die Weltgemeinschaft Ende 2015 in Paris ein neues ambitioniertes Klimaschutz-Protokoll verabschieden wird. Ziel ist es, die Erderwärmung auf zwei Grad zu begrenzen.
FR: Sind die Bedingungen für den Klimaschutz denn diesmal besser als 2009, als der Kopenhagen-Gipfel im Desaster endete? Schon damals sollte ein Kyoto-Nachfolgeprotokoll beschlossen werden.
Hendricks: Wir haben Signale, die zumindest Anlass zur Hoffnung geben. Vor allem gibt es Bewegung in China und den USA, den beiden weltweit größten CO2-Produzenten. Peking setzt verstärkt auf saubere Energie, schon wegen der Luftverschmutzung, und Washington senkt die Emissionen aus dem Kraftwerks- und Verkehrssektor. Wenn diese Big Player sich bewegen, können wir darauf hoffen, dass es auch andere wichtige Länder tun, zum Beispiel Indien, Japan, Australien, Brasilien.
FR: Was muss in New York passieren?
Hendricks: Auf zwei Dinge kommt es an. Und ich bin zuversichtlich, dass sie gelingen. Erstens brauchen wir ein Bekenntnis zum Fahrplan hin zum Paris-Protokoll: Alle Staaten sollen bis März 2015 ihre eigenen, möglichst ambitionierten Klimaziele für das Zieljahr 2030 vorlegen. So entsteht eine Basis für den globalen Vertrag. Und zweitens geht es um Finanzmittel. Ich erwarte, dass eine Reihe von Ländern Geld für den neuen Grünen Klimafonds bereitstellt, der den Entwicklungsländern Hilfen für Anpassung und klimafreundliches Wirtschaften gibt. So wie Deutschland das schon getan hat. Wir zahlen 750 Millionen Euro ein. Auch da gehen wir mit gutem Beispiel voran.
FR: Von US-Präsident Obama heißt es, er wolle in dem "Paris-Protokoll" gar keine verbindlichen Ziele für die einzelnen Länder verankert sehen, sondern nur freiwillige Zusagen. Würden Sie das mittragen, um die USA im Boot zuhalten?
Hendricks: Ein umfassendes völkerrechtliches Abkommen mit Zielen, gemeinsamen Regeln und Sanktionsmechanismen wäre sicher der beste Weg. Für dieses Ziel setze ich mich ein. Natürlich müssen wir auch nach Wegen suchen, Amerikanern und Chinesen die Zustimmung zu ermöglichen. Aber 15 Monate vor der Klimakonferenz in Paris ist es zu früh, über das endgültige Design des Paris-Protokolls zu spekulieren.
FR: Das Zwei-Grad-Limit bei der Erwärmung ist in Gefahr. Klimaforscher fordern, die Industrieländer müssten ihre Treibhausgas-Emissionen bis 2030, dem Zieljahr des neuen Protokolls, gegenüber 1990 im Schnitt um über 50 Prozent senken und Schwellenländer wie China ihren Ausstoß deutlich begrenzen. Ist das überhaupt drin?
Hendricks: Die EU wird im Oktober voraussichtlich eine Reduktion um "mindestens 40 Prozent" beschließen, und das dürfte dann das ambitionierteste Ziel weltweit sein. Außerdem peilt die EU für 2050 das Ziel 80 bis 95 Prozent CO2-Minderung an. Das wäre praktisch eine "Dekarbonisierung" unserer Wirtschaft.
FR: Aber in der EU gibt es heftigen Widerstand gegen die 40 Prozent, vor allem aus Polen.
Hendricks: In der Tat, es sind noch nicht alle EU-Länder für die "40 Prozent plus". Darunter Polen, aber auch andere osteuropäische Länder. Trotzdem bin ich davon überzeugt: Sie werden am Ende beim EU-Gipfel im Oktober zustimmen.
FR: Was soll sie überzeugen?
Hendricks: Es wird Verhandlungen geben, und am Ende wird man sich einigen, wie immer in der EU. Bundeskanzlerin Merkel ist bewusst, was beim Klima-Thema auf dem Spiel steht.
FR: Warum fährt die Kanzlerin dann nicht selbst nach New York? Ban hat ja die Staats- und Regierungschefs eingeladen, um die Bedeutung des Themas zu betonen. Ist sie keine "Klimakanzlerin" mehr?
Hendricks: Deutschland ist Vorreiter im Klimaschutz, und Angela Merkel ist die Klimakanzlerin. Ich vertrete die Bundesregierung beim Ban-Gipfel, zusammen mit meinem Kabinettskollegen, Entwicklungsminister Müller. Sie sehen, die Bundesregierung ist dort bestens vertreten.
FR: Merkel nimmt am Gipfel-Tag in Berlin an einer Veranstaltung der deutschen Industrie teil, während über 125 Staats- und Regierungschefs in New York sind, darunter Obama, Cameron und Hollande. Die richtige Priorität?
Hendricks: Es ist nicht meine Angelegenheit, die Prioritäten der Bundeskanzlerin zu bewerten. Die Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland ist frei in ihrer Termingestaltung.
FR: Die Entwicklungsländer brauchen gigantische Summen für die Anpassung an das sich verändernde Klima. Ab 2020 sollen die Industrieländer dafür 100 Milliarden Dollar aufbringen - und zwar jährlich. Die von Deutschland jetzt für den Start zugesagten 750 Millionen Euro, knapp eine Milliarde Dollar, sind zwar viel Geld, doch selbst, wenn alle anderen Industriestaaten Ähnliches leisten, ist man weit von den nötigen Summen entfernt ...
Hendricks: Trotzdem halte ich es für möglich, auf die 100 Milliarden jährlich zu kommen. Es geht ja nicht nur um staatliche Gelder, sondern auch um private Mittel, etwa von Banken, Firmen und Stiftungen. Auch die müssen mobilisiert werden. Und es kommt darauf an, dass die Empfängerländer in die Lage kommen, diese Gelder auch wirklich sinnvoll und effizient einzusetzen. Ebenfalls eine große Aufgabe.
FR: Deutschland hat beim Klimaschutz trotz Energiewende den Rückwärtsgang eingelegt. Die CO2-Emissionen steigen wieder, und zwar vor allem wegen der boomenden Kohle-Nutzung. Was wollen Sie dagegen tun?
Hendricks: Wir haben keinen Rückwärtsgang eingelegt, sondern gehen mit unseren Verpflichtungen weiter voran. Die gestiegenen Emissionen hängen damit zusammen, dass die Kohle konkurrenzlos billig ist, unter anderem, weil die CO2-Zertifikate kaum etwas kosten. Dadurch wird das klimafreundlichere Erdgas aus dem Markt gedrängt. Das darf so nicht bleiben. Wir verlangen von der EU-Kommission, dass der Emissionshandel nicht erst 2021, sondern schon 2017 reformiert wird.
FR: Viel schneller könnten Sie etwas erreichen, indem besonders die alten, ineffizienten Kohlekraftwerke durch Emissionsvorschriften vom Netz genommen werden - so wie die USA es planen. Warum tun Sie das nicht?
Hendricks: Das Thema, wie der Kraftwerkspark künftig aussehen muss, wird im neuen Klima-Aktionsplan der Bundesregierung behandelt. Dieser wird von den jeweils zuständigen Ministerien bis Ende des Jahres erstellt. Um die Kraftwerke kümmert sich das Bundeswirtschaftsministerium. Und seien Sie versichert: Das Haus von Minister Gabriel sieht sich den Energiemarkt genau an und wird tun, was notwendig und möglich ist.
FR: Ist das deutsche Ziel denn überhaupt noch drin, den CO2-Ausstoß bis 2020 um 40 Prozentgegenüber dem Stand von 1990 zu reduzieren? Ohne mehr zu tun, landen wir bestenfalls bei 33 Prozent.
Hendricks: Ja, es ist erreichbar. Wir werden mit zusätzlichen Anstrengungen nachsteuern. Die Frage, wie wir Strom produzieren, ist dabei eine Schlüsselfrage, ebenso wie der Energieverbrauch in bestehenden Gebäuden.
Das Interview führte Joachim Wille für die Frankfurter Rundschau.