Ägyptens Weg in eine Demokratie muss unumkehrbar werden

Ägyptens Weg in eine Demokratie muss unumkehrbar werden

Die Entwicklung in Ägypten müsse in faire und freie Wahlen münden, fordert Bundeskanzlerin Angela Merkel im Interview mit der Mainzer Allgemeinen Zeitung. Weitere Themen des Gesprächs: die Arbeiten an der Stabilität des Euros, die Wirtschaftskrise, die noch nicht überwunden ist und jene Ruhe, in der die Kraft liegt.

  • Interview mit Angela Merkel
  • in "Mainzer Allgemeine Zeitung"
Bundeskanzlerin Angela Merkel

Bundeskanzlerin Angela Merkel

Foto: REGIERUNGonline/Bergmann

Mainzer Allgemeine Zeitung: Frau Bundeskanzlerin, in Ägypten vollzieht sich gerade ein Stück Weltgeschichte. Sie selbst haben in der DDR eine friedliche Revolution erlebt. Mit welchen Empfindungen schauen Sie da auf Prozesse, wie wir sie jetzt in Ägypten sehen?

Angela Merkel: Wenn Menschen dabei sind, sich Freiheit zu erkämpfen, dann ist das etwas sehr Beeindruckendes. Ägyptens Weg in eine Demokratie ist noch nicht vollendet, er muss unumkehrbar werden. Dazu sind Gesetzes- und Verfassungsänderungen nötig, es müssen sich neue, demokratische Parteien bilden, und diese Entwicklung muss in faire und freie Wahlen münden. Wichtig ist, dass es friedlich und gewaltfrei bleibt. Bisher hat das Militär besonnen agiert, so muss es bleiben.

Mainzer Allgemeine Zeitung: Hat das Land denn eine Chance auf eine pluralistische Gesellschaft, ohne dass islamische oder islamistische Kräfte besonders stark werden?

Merkel: Ich hoffe, dass diejenigen in Zukunft die ägyptische Politik bestimmen werden, denen es um die Menschenrechte geht: nicht gefoltert zu werden, seine Meinung sagen und schreiben zu können, demonstrieren zu können, das Recht auch auf einen Staat ohne Korruption, also auch auf wirtschaftliche und soziale Teilhabe im Zeitalter der Globalisierung.

Mainzer Allgemeine Zeitung: Wenn der Nahe Osten, wie jetzt, durch Umbrüche bewegt wird, fällt gerade der deutsche Blick nicht ohne Sorge auf Israel. Welche Rolle kommt Israel in solchen Zeiten zu?

Merkel: Der Frieden, den Ägypten mit Israel vertraglich vereinbart hat, darf nicht in Frage gestellt werden. Dieser Friedensschluss ist im Übrigen ein großes historisches Verdienst der ägyptischen Führung. Er ist außerdem sowohl für Israel als auch für Ägypten von Bedeutung, beide profitieren davon. Insofern hin ich durchaus zuversichtlich, dass er auch Bestand haben wird. Ägypten wurde zu einem stabilisierenden Faktor in der Region. Auch wenn die Lage derzeit noch unübersichtlich ist, sollte Israel jetzt die Chance ergreifen und Friedensverhandlungen mit den Palästinensern führen. Wenn dabei ein Erfolg gelingt, wäre das auch ein entscheidender Baustein für eine hoffnungsvolle Zukunft in der Region.

Mainzer Allgemeine Zeitung: In der Weltpolitik kann auch die Europäische Union zunehmend den Anspruch erheben, ein mitentscheidender Faktor zu sein. Allerdings hatte die EU bewegte Zeiten zu überstehen: Die globale Finanzkrise ging auch am Euro nicht spurlos vorbei, massive Stützungsmaßnahmen waren nötig. Ist das ausgestanden?

Merkel: Die Krise ist noch nicht völlig überwunden. Auch wir in Deutschland haben nach wie vor einiges zu tun. um zum Beispiel unsere Banken wirklich dauerhaft krisenfest zu machen. Auf europäischer Ebene müssen wir jetzt den permanenten Krisenmechanismus konkret beschließen. Und was mir besonders wichtig ist, um auch an die Wurzel unserer Probleme zu kommen: Wir müssen in der Eurozone und darüber hinaus den Pakt für Wettbewerbsfähigkeit beraten, den wir beim letzten EU-Rat auf den Weg gebracht haben . .

Mainzer Allgemeine Zeitung: ... der unter anderem die Neuverschuldung in den EU-Ländern verbindlich limitieren sowie die Finanz-, Wirtschaftsund Sozialpolitik koordinieren 5011...

Merkel: ...wir haben uns vorgenommen, bis Ende März konkrete Maßnahmen zu beschließen. Maßnahmen, deren Umsetzung und Wirkung wir ein Jahr später auch überprüfen können.

Mainzer Allgemeine Zeitung: Anders formuliert: Die EU muss Länder wie Griechenland, Portugal und Spanien an die Kandare nehmen?

Merkel: Europa hat eine schmerzhafte Lektion hinter sich. Rund zehn Jahre lang ging es recht gut mit dem Euro, aber in der internationalen Finanzkrise hat sich gezeigt, dass in manchen Staaten nicht solide gehaushaltet wurde. Deshalb brauchen wir in der EU dringend Reformen und eine bessere wirtschafts- und finanzpolitische Abstimmung untereinander.

Mainzer Allgemeine Zeitung: Trauen Sie sich, den deutschen Bürgern zu sagen, dass von Deutschland möglicherweise noch mehr Leistungen verlangt werden, weil es in manchen Ländern an Haushaltsdisziplin mangelt?

Merkel: Wir geben, wie jeder weiß, viel an Europa, aber wir bekommen auch viel. Die EU gründet auf Solidarität, und von der haben alle etwas. Erhebliche Mittel fließen nicht nur nach Südeuropa oder nach Polen und Tschechien, sondern seit vielen Jahren auch zu uns nach Deutschland, und zwar in die neuen Bundesländer, Geld aus dem Europäischen Sozialfonds beispielsweise. Solidarität kann aber nicht heißen, dass wir Risiken und national verursachte Probleme einfach vergemeinschaften, zum Beispiel durch Eurobonds. Wenn diese Krise ein Gutes gehabt haben soll, dann müssen wir alle uns jetzt fragen, wie wir unsere Wirtschaftsordnung und unsere Finanzpolitik besser, wettbewerbsfähiger, nachhaltiger machen können.

Mainzer Allgemeine Zeitung: Und mitten in dieser schwierigen Diskussion geht Axel Weber, Präsident der Bundesbank, von Bord, der die Stabilität des Euro stets mit äußerster Vehemenz verteidigt hat...

Merkel: Ich habe seine Entscheidung mit Respekt zur Kenntnis genommen, aber sie wird nichts daran ändern, dass unsere Bundesbank für Stabilität und Währungssicherheit sieht.

Mainzer Allgemeine Zeitung: Nervt es Sie, wenn anlässlich einer solchen Personalie in manchen Teilen der Öffentlichkeit wieder das Bild von der „männermordenden Kanzlerin" gezeichnet wird?

Merkel: (Merkel lacht) Davon abgesehen, dass das Unsinn ist. zeigt sich so nebenbei auch, dass bei uns allzu selten Frauen die Spitzenämter innehaben. Als Bundeskanzlerin hat man es nun mal ganz natürlicherweise immer wieder mit wichtigen Personalentscheidungen zu tun. Dann werden Lösungen gefunden, und das Leben geht weiter.

Mainzer Allgemeine Zeitung: Auch nach Wahlen muss das Leben in der Politik immer irgendwie weitergehen. In Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg gibt es am 27. März Landtagswahlen. Immer, wenn Sie in Rheinland-Pfalz sind, betonen Sie, das Land werde unter Wert regiert. Dabei haben Sie doch mit Kurt Beck während seiner Zeit als SPD-Bundesvorsitzender in der Großen Koalition wichtige Projekte ins Werk gesetzt, zum Beispiel 2006 den Gesundheitsfonds...

Merkel: Vollkommen richtig, im Bund haben wir, und zwar unter Führung der CDU. vernünftige Sachen auf den Weg gebracht. Aber Rheinland-Pfalz, dieses wunderschöne Land mit vielen Stärken, hat eine bessere Regierung verdient, und deshalb setze ich mich für eine neue Regierung unter Führung von Julia Klöckner ein.

Mainzer Allgemeine Zeitung: Aber zum Regieren brauchte Julia Klöckner einen Partner, und weil die FDP derzeit bei vier Prozent rangiert, müssten das die Grünen sein, die gerade Schwarz-Grün in Hamburg hinter sich gelassen haben, oder es müsste gar eine Große Koalition in Mainz geben?

Merkel: Viel sinnvoller, als mich mit Umfragen zu befassen, finde ich es, in den Wahlkampf zu ziehen und bei den Bürgern für unsere Ziele und Überzeugungen zu werben. Und das tut die CDU jetzt, mit großem Einsatz und. wie ich mitbekomme, mit Freude.

Mainzer Allgemeine Zeitung: Baden-Württemberg könnte Grün-Rot werden. Können Sie sich eine Situation vorstellen, in der Sie das tun, was Gerhard Schröder 2005 nach der für die SPD desaströsen NRW-Wahl tat, nämlich vorgezogene Bundestags-Neuwahlen auszurufen?

Merkel: Nein. Diese Frage wird sich ohnehin nicht stellen.

Mainzer Allgemeine Zeitung: Schwarz-Gelb leidet auch in Baden-Württemberg unter der Schwäche der FDP. Wie gehen Sie mit so einem Koalitionspartner um?

Merkel: Ich arbeite gerne und vertrauensvoll mit der FDP zusammen....

Mainzer Allgemeine Zeitung:...aber Guido Westerwelle ist doch ein Parteivorsitzender auf Bewährung...

Merkel: ... und ich arbeite gerne und vertrauensvoll mit Guido Westerwelle als Vizekanzler. Außenminister und FDP-Vorsitzendem zusammen. Unsere Koalition aus CDU, CSU und FDP steht dann am besten da. wenn wir besonnen unsere Arbeit machen und Entscheidungen treffen. Entscheidungen, die durchaus kontrovers sein können, aber das Land in die richtige Richtung führen. Gerade die letzten Monate haben gezeigt: Wenn wir die großen Themen unseres Landes entschlossen anpacken, ob Energie, Haushaltskonsolidierung oder Bundeswehr, dann stärkt das die Koalition.

Mainzer Allgemeine Zeitung: Besondere Brisanz quer durch alle Parteien bergen Entscheidungen, die den sozialen Frieden im Land berühren. Zum Beispiel Hartz IV. Wo ist ein Ausweg?

Merkel: Wir müssen immer im Auge behalten, dass Hartz IV kein Lebenszustand sein darf. Es ist ein staatlich garantiertes Existenzminimum, das für die Betroffenen eine Brücke sein soll, bis sie wieder geregelte Arbeit finden. Das heißt, dass der Anreiz, Arbeit aufzunehmen, auch bestehen bleiben muss. Für mich und die gesamte Bundesregierung gilt nach wie vor: Wenn jemand arbeitet, muss er mehr Geld bekommen als wenn er nicht arbeitet.

Mainzer Allgemeine Zeitung: Das Thema Arbeitslosigkeit, insbesondere Dauerarbeitslosigkeit, bleibt der Gesellschaft erhalten....

Merkel: Wir haben bereits große Erfolge bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit erzielt. Dennoch müssen wir immer wieder darüber nachdenken, wie wir noch besser Menschen in Arbeit bringen. Ein geeignetes Instrument ist zum Beispiel die Zeitarbeit, kein Allheilmittel, aber doch für Hunderttausende in der Krise ein guter Weg zurück in die Arbeitswelt. Das dürfen wir jetzt nicht zerreden oder kaputtmachen. Natürlich soll es bei der Zeitarbeit gerecht zugehen..

Mainzer Allgemeine Zeitung: ...wobei sich die Frage stellt, ob bei der Zeitarbeit das Prinzip gleicher Lohn für gleiche Arbeit mitunter außer Kraft ist...

Merkel: Viel zu selten wird erwähnt, dass das da. wo dieses Prinzip - wie Sie sagen - außer Kraft gesetzt ist. durch Tarifverträge unter Mitwirkung der Gewerkschaften geschehen ist. Das maßvoll zu regeln, ist ein Gesprächsgegenstand mit der Opposition. Dennoch wären unsere Arbeitslosenzahlen um einiges höher, wenn es keine Zeitarbeit gäbe. Wer ein solches Instrument zerstört, darf sich nicht wundern, wenn dann noch mehr Menschen auf Hartz IV angewiesen sind.

Mainzer Allgemeine Zeitung: Enorm viele Themen stürzen zu jeder Zeit auf Sie ein. Wie bewahren Sie sich Freiräume für Reflexion und ein Mindestmaß an Erholung? Wie motivieren Sie sich?

Merkel: Ich glaube daran, dass in der Ruhe die Kraft liegt. Am Wochenende versuche ich deshalb ein paar Stunden an die frische Luft zu kommen, zu kochen, Musik zu hören, um den Kopf frei zu bekommen. Es ist doch eine Freude, ein großartiges Land wie Deutschland zu regieren zu können. Ohne diese Freude an der Arbeit ginge es nicht.

Das Interview führten Friedrich Roeingh und Reinhard Breidenbach für die Mainzer Allgemeine Zeitung