Abschlusspressekonferenz zum Europäischen Rat am 16./17. Dezember

Thema: Europäischer Rat

Sprecher: Bundeskanzlerin Angela Merkel

(Die Ausschrift des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultanübersetzung)

BK´in Merkel: Meine Damen und Herren, der Rat hat das beschlossen, was wir uns auch vorgenommen haben und kann insoweit als erfolgreich eingestuft werden. Es ging ja darum, dass wir hier sowohl einen dauerhaften Krisenmechanismus als auch die dazu notwendige Vertragsänderung verabschieden. Was den Krisenmechanismus anbelangt, müssen bis März natürlich noch Details ausgearbeitet werden, aber die politischen Grundsatzbeschlüsse sind gefasst worden. Genauso ist es heute auch gekommen. Wir haben die wesentlichen Elemente des dauerhaften Krisenmechanismus indossiert und die Vertragsänderung auf den Weg gebracht. Auch diesbezüglich müssen natürlich die notwendigen Prozeduren und Stufen eingehalten werden.

Die wesentlichen Punkte des Krisenmechanismus sind, dass es ein Mechanismus der Euro-Mitgliedstaaten ist, dass er dann angewandt wird, wenn die Stabilität der Eurozone insgesamt in Gefahr geraten ist, dass das Prinzip der Einstimmigkeit gilt, dass der Internationale Währungsfonds eingebunden wird, dass eine Schuldentragfähigkeitsanalyse erfolgt und dass globale Gläubiger von Fall zu Fall mit einbezogen werden. Wenn die Schuldentragfähigkeit nicht gegeben ist, sind auch die privaten Gläubiger aufgefordert, in jedem Falle einen Beitrag dazu zu leisten, dass die Schuldentragfähigkeit wieder hergestellt werden kann. Das Instrument sind die Ihnen ja bekannten Collective Action Clauses. Es ist eine Beteiligung der Nicht-Euro-Mitgliedstaaten auf freiwilliger Basis möglich.

Wir haben uns natürlich auch mit der wirtschaftlichen Gesamtsituation befasst und deutlich gemacht, dass wir all das tun werden, was erforderlich ist, um die Stabilität der Eurozone insgesamt zu erhalten. Das ist auch gestern Abend in der Diskussion deutlich geworden, in der dieses Bekenntnis ganz deutlich geäußert wurde. Wenn man noch einmal das Jahr Revue passieren lässt, dann haben wir von den Hilfen für Griechenland ‑ gekoppelt an eine strenge Konditionalität, wie das auch in allen anderen Fällen der Fall ist ‑ über den Euro-Rettungsschirm, über eine Reform des Stabilitätspakts, die jetzt noch mit dem Parlament verhandelt wird, bis hin zu vielen, vielen Reformen in den Mitgliedstaaten doch vieles geschafft. Wir haben bei der Debatte über die gesamtwirtschaftliche Lage gesehen, dass es einerseits um eine bessere Stabilitätskultur in Europa geht, aber dass es andererseits auch darum geht, die Wachstumspotenziale noch besser sich durchsetzen zu lassen. Das heißt, wir werden im nächsten Jahr auch über Wege sprechen, auf denen wir die Kohärenz ‑ die Gemeinsamkeit unserer Wirtschaftspolitiken insbesondere in der Eurozone ‑ noch deutlicher darstellen können, und hierzu auch Absprachen treffen.

Das heißt also insgesamt, dass dies ein wichtiger Rat war, der noch einmal deutlich gemacht hat: Der Euro gehört zu Europa. Auch Nicht-Euro-Mitgliedstaaten ‑ das ist hier immer wieder deutlich geworden ‑ haben ein hohes Interesse daran, dass alles getan wird, um die Stabilität des Euro insgesamt zu erhalten. Von dieser gemeinsamen Grundeinstellung getragen, konnte dies auch eine erfolgreiche Diskussion werden.

Wir haben dann noch eine Erklärung zur Lage in der Elfenbeinküste verabschiedet, die noch einmal deutlich macht, dass das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen auch wirklich unbedingt anerkannt werden muss.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, Sie haben mehrfach betont, dass mehr wirtschaftspolitische Koordinierung in der Eurozone nötig ist. Könnten Sie einmal sagen, was das konkret heißt? Bedeutet das auch etwas für die Tarifpolitik, die Lohnpolitik in den Ländern? Bedeutet das etwas für die Tarifautonomie in den Euroländern? Was heißt es noch?

BK´in Merkel: Außer dem Grundsatzbeschluss dazu haben wir noch keine Beispiele besprochen, sondern das werden wir im Laufe des nächsten Jahres tun. Aber es kann zum Beispiel heißen, dass wir uns alle verpflichten, etwas zu unternehmen, was die Stabilität der Haushalte anbelangt. Es kann heißen, dass wir einmal unsere Sozialsysteme vergleichen. Ich habe heute keine festen Punkte anzubieten. Ich sage nur, dass das durch alle Politikbereiche geht, in denen man sich anschaut, wo heute schon ein hohes Maß an Gemeinsamkeit vorliegt und wo vielleicht noch Gemeinsamkeit erreicht werden muss.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, vielleicht könnten Sie einmal einen Ausblick auf 2011 wagen. Würden Sie aus der jetzigen Perspektive sagen, dass das Jahr 2011 verspricht, für den Euro ein besseres Jahr als das Jahr 2010 zu werden? Oder kann man das angesichts der Sorgen um Spanien oder Portugal nicht sagen? Geht die Zitterpartie vielleicht weiter?

BK´in Merkel: Ich kann keinen konkreten Ausblick geben. Ich kann nur sagen, dass ich von den Maßnahmen beeindruckt bin ‑ das ist hier auch noch einmal dargestellt worden ‑, die Portugal und Spanien in den letzten Monaten ergriffen haben. Ich denke, auch 2011 wird für viele Mitgliedstaaten ein Jahr der Reformen sein. Wir haben gestern immer wieder darüber gesprochen, dass unsere Wettbewerbsfähigkeit, auch gemessen an der weltweiten Wettbewerbsfähigkeit, nicht so gut ist, wie wir uns das wünschen. Es ist der allgemeine Wille deutlich geworden, hier in Europa weiter zu kommen. Ich weiß vieles nicht, aber ich kann deshalb jetzt schon sagen, dass die Reformen und mehr Stabilitätskultur in Europa auch im Jahr 2011 auf der Tagesordnung bleiben werden.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, der britische Premierminister Cameron möchte einen Brief zum Thema Haushalt schreiben und hat Ihnen diesen Brief offenbar auch vorgelegt. Haben Sie vor, diesen Brief zu unterschreiben? Wie beurteilen Sie den Beginn der Verhandlungen über die finanzielle Vorausschau ab 2014?

BK´in Merkel: Wir haben darüber gesprochen, dass es eine solche gemeinsame Position gibt. Diese wird auch von Deutschland mitgetragen werden. Das ist im Grunde eine Aussage in Richtung bis 2020, die sich sehr stark an dem Ein-Prozent-Ziel orientiert, was auch die deutsche Position für die jetzige finanzielle Vorausschau war und diese sozusagen fortführt. Insofern können wir das mittragen.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, Sie sagen, es werden bis März Details zu dem ständigen Rettungsschirm festgelegt. Ich habe eine Frage zur Ausstattung. Herr Barroso sagte heute Morgen, er werde mehr oder weniger unbegrenzt sein. Wie wird dieser Fonds ausgestattet? Eher satt, knickerig oder mit einer bestimmten Summe?

BK´in Merkel: Wir wissen, dass die Ausstattung so sein muss, dass sie überzeugend ist. Es wird für diesen permanenten Krisenmechanismus das gelten, was für alle unsere anderen Anstrengungen gilt, nämlich dass wir alles tun werden, um die Finanzstabilität des Euro als Ganzes zu sichern. Es ist heute sehr schwer, bereits zu sagen, wie genau die Ausstattung aussehen muss. Aber sie wird ausreichend sein. Je kohärenter die Wirtschaftspolitik ist, je mehr wir 2013 sehen können, dass Staaten auch im Bereich der Stabilitätskultur vorangekommen sind, umso weniger groß muss die Ausstattung sein. Aber sie muss für alle überzeugend sein, die darauf vertrauen.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, zum Thema Euro-Bonds: Es hat gestern darüber im Kreis der Staats- und Regierungschefs eine Diskussion gegeben. Glauben Sie, dass dieses Thema nach der Diskussion für absehbare Zeit beendet ist? Oder wird es 2011 sofort wieder eine neue Diskussion darüber geben, ob das nicht eigentlich ein richtiges Instrument wäre, was in der EU eingeführt werden müsste?

BK´in Merkel: Ich verfüge über keine Gabe, dass ich sagen kann, wer wann welches Thema ansprechen wird. Ich glaube, dass wir uns 2011 auf die Dinge konzentrieren sollten, die wirklich eine Chance für eine Realisierung haben und die notwendig sind, um unser großes Ziel zu erreichen, nämlich mehr Wachstum und Stabilität im Euroraum insgesamt. Deshalb glaube ich, dass wir uns auf diese Dinge konzentrieren sollten. Aber ich kann nur für mich sprechen. Ansonsten gibt es 27 Staats- und Regierungschefs, also noch 26 andere, die auch ihre Beiträge leisten können und für die ich hier nicht sprechen kann.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, wir haben in den letzten Monaten viel über Finanztechnik und den Krisenmechanismus gelernt. Sie sagen, dass man weiter enger wirtschaftspolitisch zusammenarbeiten will. Manchmal hilft es ja auch für den Blick auf Europa von draußen zu erfahren, was Sie im Großen und Ganzen im Kopf haben. Offensichtlich ist es ja nicht die Idee von Europa eines föderalistischen Europas, denn sonst wären Sie auf den Vorschlag von Herrn Juncker näher eingegangen. Deswegen ganz konkret die Frage: Welches Bild haben Sie ganz persönlich von der Zukunft Europas?

BK´in Merkel: Ich habe ein Bild von Europa im Kopf, das ein Europa ist, das immer enger zusammenwächst, sicherlich zum Teil mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten, wie das im Bereich von Schengen und im Zusammenhang mit dem Beitritt zum Euro der Fall ist. Es ist ein Bild von Europa, das ein wettbewerbsfähiger Kontinent ist, auf dem gemeinsame Werte gelebt werden können und der seine Interessen nach außen ‑ wir haben heute Vormittag sehr viel über unser Auftreten nach außen gesprochen ‑ geschlossen und gemeinsam vertreten kann. Da wir das Zusammenwachsen, also die Integration, fortsetzen wollen, wird sie sicherlich, wenn wir hier in zehn Jahren wieder sitzen werden, in den europäischen Mitgliedstaaten stärker vorangeschritten sein wird, als das heute der Fall ist.

Wir haben gerade einen großen Schritt im Zusammenhang mit dem Lissabon-Vertrag getan, der auch die einzelnen europäischen Institutionen mit neuen, zum Teil auch mit mehr Kompetenzen ausstattet, wenn ich an das Parlament denke. Diese Verträge sind gültig. Sie beinhalten bestimmte Prinzipien. Deutschland ist eigentlich nicht das Land, das am zögerlichsten ist, wenn es um neue Vertragsänderungen gehen sollte. Ich finde zum Beispiel, dass ein Kontinent, der zusammenarbeitet, immer die Fähigkeit haben muss, auf neue Gegebenheiten reagieren zu können. Es ist auch nach dem Lissabon-Vertrag ‑ und davor darf man nicht die Augen verschließen ‑ eine gewisse Erschöpfung eingetreten. Deshalb bin ich sehr froh, dass es diese Vertragsänderung mit einem permanenten Krisenmechanismus gibt, der nun wirklich ein Ausdruck unserer Solidarität untereinander ist. Das finde ich gut.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, ich habe zwei Fragen. In der heutigen Schlussfolgerung steht, dass Sie bereit sind, das Notwendige zu tun, um die Stabilität des Euroraums zu gewährleisten. Sie sagen auch, dass Sie bereit sind, eine flexiblere Nutzung der gegenwärtigen Fazilität zu erwägen. Gestern haben Sie sehr lebendig mit dem spanischen Premierminister gesprochen. Welche Botschaft haben Sie ihm dabei übermittelt?

BK´in Merkel: Wir haben unter anderem darüber gesprochen, dass wir am 3. Februar deutsch-spanische Regierungskonsultationen in Madrid durchführen wollen und dass wir zu diesen Regierungskonsultationen nicht nur Regierungsmitglieder mitnehmen, sondern auch Unternehmenschefs und gegebenenfalls Vertreter der Gewerkschaften einladen wollen. Das heißt, dass es ein umfassender gesellschaftlicher Austausch sein wird. Das ist ein Teil unserer gegenseitigen Zusammenarbeit, um zu zeigen, dass gerade jetzt in dieser Phase eine solche Zusammenarbeit von besonderer Wichtigkeit ist.

Wir haben hier die Themen besprochen, die wir zu besprechen hatten. Ich glaube, das ist immer das Wichtigste und nicht, über wenn, aber, könnte, wäre, wollte und sollte zu sprechen, sondern über das, was heute auf der Tagesordnung stand. Ansonsten gibt es die allgemeine Erklärung, die wir seit der Diskussion im Februar immer gehabt haben, dass wir bereit sind, das, was notwendig ist, zu tun. Das, was heute notwendig war, haben wir getan.

Zur Frage des Rettungsschirms war meine Antwort bereits, dass wir das tun, was zu tun ist, und dass wir ansonsten bereit stehen. Aber ich stelle keine Spekulationen an, was wir vielleicht irgendwann einmal tun könnten, sondern wir tun heute das, was notwendig ist.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, auch vor diesem Gipfel gab es ja ‑ auch über die Medien ausgetragen ‑ wieder einige Kontroversen, die dann während des Gipfels zumindest offiziell verschwunden sind. Mich würde einmal interessieren, auch im Rückblick auf dieses Jahr, wie Sie das Verhältnis zwischen den EU-Staaten sehen. Wie hat sich das in der Krise entwickelt? Ist man da näher zusammengerückt oder sind da eher die Risse ‑ auch zwischen den handelnden Personen; ich denke da zum Beispiel an Herrn Juncker ‑ deutlich geworden? Das ist ja nicht unbedeutend, wenn man die Integration jetzt voranbringen will; denn diese Kooperation erfordert ja viel guten Willen und auch Verständnis füreinander.

BK´in Merkel: Erstens. Der gute Wille ist absolut vorhanden; es gibt hier niemanden, der diesen guten Willen nicht hat. Dieses Jahr hat uns sicherlich enger zusammengeschweißt, als wir das noch vor zwei oder drei Jahren waren, wenngleich wir auch nur durch guten Willen den Lissabon-Vertrag, die Einigung auf Klimaschutzmaßnahmen und vieles andere mehr hinbekommen haben.

Zweitens. Wir alle haben mit der Krise, die wir zuerst als internationale Finanz- und Wirtschaftskrise gesehen haben und mit der wir umgehen mussten, und jetzt auch mit den Schwierigkeiten im Eurobereich Neuland betreten. Und wenn man Neuland betritt, liegt es in der Natur der Sache, dass unterschiedliche Personen auch unterschiedliche Lösungsvorschläge haben. Das heißt, Gemeinsamkeit kann sich durchaus auch in einer intensiven Diskussion ausdrücken. Wenn Sie sehen, wie die Situation in einigen Ländern ist, welche Spannungen es dort auch gibt und welcher politische Mut notwendig ist, um bestimmte Dinge durchzusetzen ‑ sowohl bei denen, die Solidarität brauchen, als auch bei denen, die Solidarität leisten müssen ‑, dann wird Ihnen klar, dass diese Diskussionen auch nicht völlig entemotionalisiert laufen, sondern zum Teil auch mit sehr viel Herzblut geführt werden. Das finde ich richtig. Das zeigt, wie eng wir zusammengehören. Wenn man nur mit leichter Entfremdung miteinander sprechen und verhandeln würde, dann ginge es vielleicht gar nicht um etwas Wichtiges. Hier geht es aber um zentrale Bestandteile unseres gemeinsamen Lebens.

Dieses Jahr hat insofern mit Sicherheit deutlich gemacht, wie eng Europa zusammengehört. Ich habe oft an den Satz gedacht, den wir zum 50-jährigen Bestehen der Römischen Verträge gesagt haben: Wir sind zu unserem Glück vereint. Das gilt in jeder Richtung. Wir sind zum Glück vereint, wir sind für unser Glück vereint. Das ist ein wunderbarer Satz, der in diesem Jahr mit Leben erfüllt worden ist. Das ist Arbeit und auch Emotion.

Frage: Frau Merkel, noch einmal eine kurze Frage zum Thema Euro-Bonds, auch im Zusammenhang mit einem europäischen Währungsfonds: Wäre das ein Ansatz, der dazu geeignet ist, einmal grundsätzlich darüber zu diskutieren, wie man zu einer neuen Qualität in der Zusammenarbeit kommt? Ist das, was heute vereinbart worden ist, nicht auch wieder Grundlage für eine Wirtschaftsregierung für Europa, die diesen Namen auch wirklich verdient?

BK´in Merkel: Wir diskutieren ja seit geraumer Zeit über das Thema Wirtschaftsregierung. Das, was wir jetzt ins Auge gefasst haben und worüber wir gestern auch gesprochen haben, geht wieder einen Schritt in diese Richtung. Dieser permanente Krisenmechanismus ist auch schon so etwas wie eine gemeinsam und solidarisch zur Verfügung gestellte Finanzsumme ‑ zwar intergouvernemental, aber es ist eine gemeinsame Summe. Insofern ist das das auch ein deutlicher Schritt zu mehr Solidarität. Alle anderen Diskussionen möchte ich jetzt nicht weiterführen, und ich möchte auch nicht darüber spekulieren.

Zusatzfrage: Auch nicht die Diskussion über einen europäischen Währungsfonds?

BK´in Merkel: In dem Krisenmechanismus benutzen wir ja weitestgehend das gleiche Instrumentarium, das auch der Internationale Währungsfonds benutzt. Das ist also mit dem Instrumentarium vergleichbar, das genutzt wird, wenn ein Nationalstaat oder ein Nicht-Eurostaat mit dem Internationalen Währungsfonds verhandelt. Insofern ist dieser Krisenmechanismus nicht so weit davon entfernt, nur ist er eben ein intergouvernementales Instrument. So ist der Fonds konstruiert. Das ist etwas ganz anderes, als wenn Sie das Wort Euro-Bonds benutzen.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, eine Frage zu einem ganz anderen Thema, nämlich zum Stichwort Türkei. Die Beitrittsverhandlungen sind ja sehr ins Stocken geraten und es können keine Verhandlungskapitel mehr aufgemacht werden. Ist darüber im Rahmen des Gipfels geredet worden? Wie beurteilen Sie das? Ist das ein Schlusspunkt, wird das noch länger dauern, oder für welchen Zeitpunkt rechnen Sie damit, dass da weiter verhandelt werden kann?

BK´in Merkel: Ich habe gerade heute früh mit dem zukünftigen rotierenden Ratspräsidenten Viktor Orbán gesprochen. Dabei hat das Thema Türkei eine Rolle gespielt. Aus der Tatsache, dass jetzt kein Kapitel geöffnet werden konnte, können Sie nicht schließen, dass gar kein Kapitel mehr geöffnet werden kann. Ich glaube, in der ungarischen Präsidentschaft wird man über ein weiteres Kapitel sprechen. Richtig ist aber, dass uns die Kapitel langsam ausgehen und dass deshalb ein Fortschritt im Zusammenhang mit dem Ankara-Protokoll erzielt werden müsste. Das ist etwas, was als eine große Aufgabe vor uns liegt. Das haben wir aber auch mit der Türkei immer wieder besprochen ‑ auch ich selber in den bilateralen Beziehungen. Darüber werden wir weiter sprechen.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, eine Frage zum Thema Integration: Es gibt ja sicherlich eine Menge sachlicher Gründe, die nahelegen, dass man im Bereich Wirtschaftspolitik näher zusammenkommt und ähnliche Regeln trifft ‑ zumal man künftig möglicherweise auch für gemeinsame Schulden verantwortlich sein könnte. Die Frage ist nur: Wird dieser Weg auch von der Bevölkerung mitgetragen? Würden Sie die Meinung teilen, dass zum Beispiel in Deutschland momentan nicht unbedingt eine Mehrheit für eine stärkere Integration in Europa vorhanden wäre? Wenn Sie diese Meinung teilen würden: Wie kann man Ihrer Meinung nach mehr Leute für diesen Weg gewinnen, der möglicherweise sachlich richtig ist?

BK´in Merkel: In Ihrer Frage haben Sie schon ein paar Voraussetzungen angelegt, was die Leute alles wollen oder nicht wollen. Die Beantwortung der Frage ist aber keine positive Zustimmung zu den Bewertungen in der Frage. Ich glaube, dass wir für bestimmte Dinge werben müssen. Wir haben jetzt ja vielerlei Umfragen gehabt. Es gibt eine deutliche Mehrheit an Menschen, die sagen, sie glauben, dass der Euro eine gute Sache für Deutschland ist. Ich glaube nicht, dass irgendjemand in Deutschland etwas dagegen hätte, wenn sich zum Beispiel alle Nationalstaaten darauf einigen würden, ein ähnliches Rentensystem oder ein ähnliches Renteneintrittsalter zu haben, oder das, was Deutschland bei der Schuldenbremse macht, auch in anderen Mitgliedstaaten zu haben. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass man, wenn Dinge gut funktionieren ‑ bei uns, aber vielleicht auch bei anderen, wenn sie besser sind und interessante Lösungsvorschläge haben ‑, sehr gut in den nationalen Parlamenten dafür werben und sagen kann: Guckt mal, das wird dort so und so gemacht, wollen wir das nicht auch so tun? Das haben wir auch früher schon früher so gehandhabt. Ich denke dabei zum Beispiel an den Bürokratieabbau: Die Idee des Normenkontrollrats, wie wir ihn in Deutschland heute haben, kommt aus den Niederlanden, ist dann von Großbritannien umgesetzt worden, dann haben wir das bei uns in Deutschland eingeführt, und jetzt gibt es etwas Ähnliches mit Edmund Stoiber auch im Bereich der Europäischen Kommission. Voneinander lernen, Benchmarks setzen, sich gleiche Ziele setzen und auch zu vergleichen, wer wobei besser ist: Das halte ich für eine wirklich gute Sache, die ich als Regierungschefin auch sehr gut im Deutschen Bundestag vertreten könnte. Ich glaube, dafür würde man auch Mehrheiten bekommen.

Frage: Ich habe eine kurze Frage zur Beteiligung des Privatsektors. Das war ja auch Teil der Frage nach dem zukünftigen Mechanismus. Sind Sie in der Lage, zu sagen, dass Eigner, die heute Anleihen europäischer Staaten besitzen, sich nach 2013 keinen Umstrukturierungen gegenübersehen müssen? Heißt das, das gilt für bestehende Anleihen, oder gilt es nur für die zukünftigen?

Ich habe noch eine zweite Frage: Muss man, wenn Sie die Phase erreichen, in der Sie die Schulden umschulden müssen, dann nicht erst die Kapitalbasis der europäischen Banken erneuern, sodass sie in der Lage sind, den Schock zu bewältigen, bevor sie umstrukturiert werden?

BK´in Merkel: Zu der ersten Frage kann ich sagen: Niemand, der in dem heutigen nicht-permanenten Krisenmechanismus arbeitet, also niemand, der heute seine Anleihen hat, wird davon betroffen sein. Wir haben das immer und immer wieder unterstrichen und ich tue das gerne auch heute noch einmal. Diese Vorgehensweise haben wir ja gerade deshalb gewählt, um Berechenbarkeit für die Zukunft zu haben. Bis Mitte 2013 gilt insofern das, was gilt, und daran wird nichts, aber auch gar nichts, geändert.

Was das Zweite betrifft: Die privaten Gläubiger müssen dann so beteiligt werden, wie das auch aus dem IWF bekannt ist. Auch hier wird also nichts gemacht, was nicht international schon gang und gäbe wäre. Die Collective Action Clauses sind auch genau aus dem Grunde gewählt worden, dass sie den Marktteilnehmern, wie es immer so schön heißt, schon als Instrument bekannt sind und somit auch ein Höchstmaß an Berechenbarkeit vorhanden ist. Wie da welche Prozeduren funktionieren, kann ich hier heute nicht sagen; ich sage nur, dass sich an dem jetzigen Regime überhaupt nichts ändert.

STS Seibert: Wir danken Ihnen für Ihre Geduld und wünschen ein frohes Fest und gute Erholung.

BK´in Merkel: Frohe Weihnachten und einen guten Beginn des neuen Jahres!