"Stabilität und Wettbewerbsfähigkeit für die Eurozone"

Interview "Stabilität und Wettbewerbsfähigkeit für die Eurozone"

Deutschland setzt sich für einen dauerhaft stabilen Euro ein, betont Bundeskanzlerin Angela Merkel im Gespräch mit der Bild-Zeitung. Im Krisenfall werde die EU schwächeren Partnern auch in Zukunft mit Krediten helfen. Letztlich sei aber jedes Land für seine Schulden selbst verantwortlich, so die Kanzlerin.

  • Interview mit Angela Merkel
  • in "Bild"
Offizielles Porträt von Bundeskanzlerin Angela Merkel

Eurobonds erteilt die Bundeskanzlerin eine Absage

Foto: REGIERUNGonline / Chaperon

Bild: Frau Bundeskanzlerin, wird Deutschland heute beim Euro-Gipfel endgültig zum Zahlmeister in Europa?

Angela Merkel: „Nein, Deutschland setzt sich für einen dauerhaft stabilen Euro ein. Wir Europäer müssen endlich aus den Sünden der Vergangenheit lernen. Wir wollen bis Ende März einen deutlich schärferen Stabilitätspakt beschließen, einen Notfall-Krisenfonds und den sogenannten Pakt für Wettbewerbsfähigkeit.“

Bild: Wenn der ständige Krisenfonds kommt, unterscheidet sich die Euro-Zone dann noch von einer „Transferunion”, wo die Starken dauernd den Schwachen helfen müssen?

Merkel: „Deutschland war und ist bereit, den Schwächeren zu helfen, wie wir das jedes Jahr mit unseren Beiträgen zum EU-Haushalt zeigen. Aber eine Transferunion wird es mit mir nicht geben.

Jedes Land ist für seine Schulden selbst verantwortlich. Deutschland hat aber wie alle anderen Länder ein ureigenes Interesse an der Stabilität des Euro insgesamt. Deshalb wird der Krisenfonds selbst nur in Notfällen und unter strengen Auflagen Kredite gewähren – Kredite, die natürlich zurückzuzahlen sind.

Über solche Hilfen kann nur einstimmig beschlossen werden, Deutschland kann also sein Veto einlegen, wenn die Voraussetzungen für Hilfen nicht gegeben sind, und davon werde ich dann auch Gebrauch machen.“

Bild: Die Anleger auf den Finanzmärkten zweifeln an dieser Konstruktion, nicht zuletzt weil Griechenland jetzt plötzlich viel längere Rückzahlfristen braucht.

Merkel: „Griechenland hat die Folgen seiner schweren finanzpolitischen Fehler zu bewältigen. Das ist in nur drei Jahren nicht zu schaffen. Wenn wir trotzdem darauf bestünden, würde das nur zu neuen Turbulenzen führen. Irland hat ja auch sieben Jahre Zeit bekommen.“

Bild: Aber die Zinszahlungen erwürgen Griechenland doch in jedem Fall. Wäre eine Umschuldung nicht besser, die die Schuldenlast insgesamt senkt?

Merkel: „Griechenland unternimmt enorme Anstrengungen, um das Land zu reformieren und die Kredite zurückzuzahlen, wie mir Ministerpräsident Papandreou das vor wenigen Tagen in Berlin erneut versichert hat. Im Übrigen haben wir für eine Umschuldung in Europa derzeit gar keine Instrumente. Ich setze mich dafür ein, dass ab 2013 im Falle einer Insolvenz auch private Gläubiger herangezogen werden. Das erscheint mir nur gerecht, denn die privaten Gläubiger haben mit riskanten Krediten ja lange Zeit gute Geschäfte gemacht.“

Bild: Wird es im Notfall auch Eurobonds geben, also gemeinsam verbürgte Anleihen der Euro-Staaten?

Merkel: „Nein. Eurobonds sind und bleiben aus unserer Sicht ein falsches Mittel…“

Bild: Können Sie verstehen, dass sich viele Deutsche als die „Deppen Europas” fühlen? Wir haben die nötigen Reformen gemacht, aber die anderen nicht...

Merkel: „Vorweg: Wir dürfen niemals vergessen, wie sehr wir Deutschen von Europa politisch wie ökonomisch profitieren. Aber wir sehen auch, dass manche Länder in der Währungsunion jahrelang ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben. Das holen diese Länder jetzt nach, und der Pakt für Wettbewerbsfähigkeit wird dafür politische Vorgaben machen. Aber: Wir sind auch nicht überall Spitze. Nehmen Sie nur die Versorgung mit Kita-Plätzen oder unsere Akademikerquote. Da können wir eine Menge von anderen EU-Ländern lernen.“

Bild: Warum liegt der Euro den Deutschen so viel weniger am Herzen als die D-Mark?

Merkel: „Mit der D-Mark verbinden sich Jahrzehnte des Aufstiegs aus den Trümmern des Krieges zu einem respektierten und erfolgreichen Land. Unsere Verbindung mit dem Euro ist kürzer. Trotzdem bringt der Euro uns große Vorteile, und das wissen die meisten auch. Seit wir den Euro haben, liegt die Inflation im Schnitt niedriger als zu D-Mark-Zeiten. Das stärkt die Kaufkraft aller Bürger. Außerdem macht der Euro das Leben und das Reisen in Europa leichter. Ich stutze mittlerweile schon, wenn ich in Europa noch Geld wechseln muss. Ein wichtiger Punkt übrigens auch für die Wirtschaft: Die spart gewaltige Summen an Umtauschkosten.“

Bild: Werden die Deutschen den Euro je lieben?

Merkel: „Wir müssen unser Geld nicht lieben, sondern sehen, wie sehr es uns nützt, und das tut der Euro auf ganzer Linie. Eines sollten wir uns alle klarmachen: Es herrscht ein immer intensiverer weltweiter Wettbewerb mit großen Ländern wie China, Indien oder Brasilien. Um da mithalten zu können, braucht Deutschland Verbündete. Der Euro schafft solche Verbündete. Ein fester, leistungsfähiger Euroraum ist der beste Schutz für unseren Sozialstaat und unsere Arbeitsplätze. Wir haben es auch dem Euro zu verdanken, dass wir heute mehr Arbeitsplätze als vor der Krise haben.“

Bild: Am 1. Mai öffnen sich die Grenzen für Arbeitnehmer aus osteuropäischen EU-Staaten. Was droht da?

Merkel: „Freizügigkeit in Europa ist an sich überhaupt keine Drohung, sondern etwas, wovon auch viele Deutsche im Ausland selbstverständlich profitieren. Außerdem ist es doch längst nicht mehr so, dass Millionen Osteuropäer nur darauf warten, zu uns zu kommen. Gegen mögliches Lohndumping wurden in besonders betroffenen Branchen Mindestlöhne festgelegt, auch für die Zeitarbeit wird es eine Lohnuntergrenze geben. Manche Branchen, die händeringend Arbeitskräfte suchen, werden die neue Freizügigkeit sogar bald als Chance erkennen.“

Bild: Was lernt Europa aus der Finanzkrise? Der Schrecken ist doch schon halb wieder verflogen...

Merkel: „…das mag sich bei uns so anfühlen, weil wir wirtschaftlich so gut dastehen, in einigen anderen europäischen Ländern sicher nicht. Europa zeigt doch gerade jetzt, dass es lernfähig ist, indem es sich daranmacht, die Wurzel des Übels zu behandeln. Wir wissen jetzt ein für alle Mal: Der Euro ist unser Schutz, aber er verträgt im Inneren keinen Schlendrian. Der Euro will gut gepflegt sein. Das richten wir jetzt ein, u. a. mit dem Pakt für Wettbewerbsfähigkeit.“

Bild: Heißt „gut pflegen” in der Praxis noch mehr Macht für Brüssel?

Merkel: „Nein. Wir geben keine zusätzliche Zuständigkeit nach Brüssel ab. Über Renten und Soziales wird weiter allein in Berlin, im Bundestag entschieden. Wer Kredite braucht, muss unsere Bedingungen erfüllen. Und viele Länder handeln freiwillig, zum Beispiel wenn wir uns die weitreichenden Reformen von Portugal und Spanien anschauen.

Interview: Nikolaus Blome und Alfred Draxler

Quelle: Bild