"Manche extremen Spitzeneinkommen sind kaum nachvollziehbar"

Merkel-Interview "Manche extremen Spitzeneinkommen sind kaum nachvollziehbar"

Viele Menschen haben das Gefühl, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergeht. "Am besten halten wir unser Land sozial zusammen, wenn wir für eine stabile Wirtschaftentwicklung und sichere Arbeitsplätze sorgen", sagt Bundekanzlerin Angela Merkel im Gespräch mit "Bild der Frau".

  • Interview mit Angela Merkel
  • Bild der Frau
Potrait Bundeskanzlerin Merkel

Bundeskanzlerin Angela Merkel

Foto: Laurence Chaperon

Das Interview im Wortlaut:

Bild der Frau: Frau Bundeskanzlerin, Sie sind immer so selbstbeherrscht. Letztes Jahr hat Ihnen ein Kellner aus Versehen eineinhalb Liter Bier in den Nacken gekippt - Sie haben nicht mal mit der Wimper gezuckt. Wie machen Sie das?

Angela Merkel: Ich hatte Glück, weil der Blazer schwarz war und man die Flecken nicht so sah. Außerdem hab ich gedacht: Reg dich nicht auf, Rennfahrer nehmen sogar freiwillig Sektduschen. Aber im Ernst: Mir hat der junge Mann leid getan, dem das Missgeschick passiert ist. Darum bin ich ruhig geblieben.

Bild der Frau: Flippen Sie nie aus?

Merkel: Gelassenheit braucht man schon in meinem Beruf.

Bild der Frau: Könnte auch am Sternzeichen liegen: Sie sind Krebs, die gelten als harmoniebedürftig. Lesen Sie Horoskope?

Merkel: Gelegentlich, wobei unterschiedliche Horoskope einem immer ganz unterschiedliche Dinge vorhersagen. Ich finde das amüsant, aber für mein Leben haben Horoskope keine Bedeutung.

Bild der Frau: Sind Frauen grundsätzlich diplomatischer?

Merkel: Ich habe inzwischen auch viele geduldige und diplomatische Männer kennengelernt. Grundsätzlich mag ich Pauschalierungen, dass Frauen so und Männer so sind, nicht. Die erfolgreichsten Teams bestehen aus Mann und Frau, Jung und Alt.

Bild der Frau: Braucht es genau darum nicht eine Frauenquote?

Merkel: Sie meinen in Wirtschaftsunternehmen? Da fragen wir ja jetzt die börsennotierten Unternehmen, welchen konkreten Plan sie aufstellen, um mehr Frauen an die Spitze zu holen. Und wir machen ihnen klar, dass wir bis 2018 mindestens ein Drittel Frauen in den Führungsetagen erwarten. Wird das nicht erreicht, müssen wir mehr Druck machen und die Sache festschreiben. Ich sehe aber bei den DAX-Unternehmen so langsam Fortschritte.

Bild der Frau: Krise nach Krise, ständig Druck - Sie haben Deutschlands härtesten Job

Merkel: Das glaube ich wirklich nicht. Ich habe eine sehr spannende Aufgabe, die mich ausfüllt und mir viel abverlangt, aber die ich mir ja auch ausgesucht habe. Es gibt so viele Menschen, die härtere Belastungen als ich tragen, wenn ich nur sehe, was Pflegerinnen und Pfleger in Altenheimen oder Krankenhäusern leisten, die oft über Jahrzehnte mit Menschen in Notsituationen arbeiten. Das sind die stillen Helden in Deutschland, so wie all die Menschen, die sich neben Beruf und Familie noch ehrenamtlich für andere einsetzen. Menschen, die Sie mit Ihrer Zeitschrift ja auch regelmäßig auszeichnen.

Bild der Frau: Ja, wir verleihen die GOLDENE BILD der FRAU für besonderes ehrenamtliches Engagement.

Merkel: Das ist eine wunderbare Idee. Ich gratuliere Ihren Preisträgerinnen von ganzem Herzen. Solche Beispiele machen Mut, auch mir. Ich treffe immer wieder großartige Frauen und Männer, die sich für ihre Mitmenschen einsetzen und auch gegen Widerstände für Verbesserungen kämpfen.

Bild der Frau: Stichwort Verbesserungen. Viele Bürger haben das Gefühl, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergeht.

Merkel: Manche extremen Spitzeneinkommen gerade in Teilen der Finanzwirtschaft sind kaum nachvollziehbar. Am besten halten wir unser Land sozial zusammen, wenn wir für eine stabile Wirtschaftsentwicklung und sichere Arbeitsplätze sorgen. Wir haben in den letzten Jahren viele Arbeitslose wieder in Arbeit gebracht und auch deshalb heute so viele Erwerbstätige wie nie zuvor. Die Jugendarbeitslosigkeit ist sogar nur halb so hoch wie zu Beginn meiner Amtszeit. Für die Bürger wird es immer wichtiger, Familie und Beruf gut verbinden zu können. Die Bundesregierung hat daher die Schaffung von Hunderttausenden neuen Betreuungsplätzen ermöglicht und setzt zum Sommer den Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz um. Hinzu kommt das ständige Bemühen um Chancengleichheit in der Bildung. Auch da sehe ich Fortschritte: Die Zahl junger Leute mit Migrationshintergrund etwa, die Abitur gemacht haben, ist zum Beispiel stark gewachsen.

Bild der Frau: Trotzdem gibt es noch viele Kinder aus schwierigen Verhältnissen, die sagen: „Wenn ich groß bin, werde ich Hartz IV - wie Papa!"

Merkel: Noch mehr Langzeitarbeitslosen aus einem Leben mit Hartz IV zurück in die Arbeitswelt zu helfen, bleibt eine der großen politischen Aufgaben. Ich bin dagegen, einer bestimmten Gruppe von Menschen generell zu unterstellen, dass sie ihre Kinder nicht gut erzieht. Wenn jedoch Eltern ihr Kind nicht so unterstützen können, wie sie wollen oder müssten, dann soll der Staat im Sinne der Chancengerechtigkeit unter die Arme greifen. Da sind Angebote für Ganztagsbetreuung richtig, für Nachhilfe und Musikunterricht - für all das, was zu Hause nicht gegeben werden kann.

Bild der Frau: Was ist das Wichtigste, was man einem Kind beibringen muss?

Merkel: Neugier. Auf Menschen, Erfahrungen, Veränderungen. Kein Interesse zu haben, nichts mehr lernen zu wollen - das ist die größte Lernbehinderung. Ohne Neugier kann man im Übrigen auch kein guter Politiker sein.

Bild der Frau: Wenn Sie mal keine Politikerin sind - dann gucken Sie am liebsten Fußball?

Merkel: Sehr gern! Vor allem die Spiele der Nationalmannschaft, Pokalspiele und Champions League. Die Sportschau eher selten, aber ich höre, wenn ich kann, die Bundesliga-Konferenzschaltung nachmittags im Radio.

Bild der Frau: Was entspannt Sie noch?

Merkel: Gute Gespräche mit meinem Mann, mal ins Konzert oder Theater gehen, was Leckeres kochen, im Garten werkeln.

Bild der Frau: Stimmt es, dass Sie zu Hause in der Uckermark Blumenkohl ziehen?

Merkel: Nein, Blumenkohl nicht - der braucht zu viel Pflege und zieht zu viele Schnecken an. Aber Kartoffelsorten und Erdbeeren, die gibt's in meinem Garten.

Das Interview führten Sandra Immoor und Sabine Sandfort für