"Ich will einen leistungsstarken Kontinent"

Merkel-Interview "Ich will einen leistungsstarken Kontinent"

In der BILD-Zeitung äußert sich Bundeskanzlerin Angela Merkel zur politischen und wirtschaftlichen Situation der Euro-Zone und Deutschlands. Sie betont: "Jedes Land kann auf Dauer nur von dem leben, was es erwirtschaftet." Deutschland sei in einigen Fragen zwar Vorreiter, könne aber von anderen Ländern auch lernen. 

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Bundeskanzlerin Angela Merkel im Porträt

Merkel: "Wohlstand auf Pump geht nicht mehr"

Foto: Bundesregierung/Bergmann

BILD: Frau Bundeskanzlerin, Euro-Krise und kein Ende. Jetzt wird Zypern gerettet, auch auf Kosten großer Sparguthaben. Gilt Ihre Garantie für deutsche Sparguthaben noch?

Angela Merkel: Die Garantie, die der damalige Bundesfinanzminister und ich 2008 gegeben haben, gilt.

BILD: Wird es jemals Entwarnung beim Euro geben?

Merkel: Wir Europäer haben es geschafft, den nationalen und internationalen Investoren klarzumachen, wie wichtig uns der Euro ist, wie ernst wir es mit diesem Symbol der politischen Einigung in Europa meinen. Das hat den Euro in den letzten Monaten schon stabilisiert, zufrieden bin ich damit aber noch nicht.

BILD: Was fehlt denn?

Merkel: Es geht ja nicht nur darum, den Euro irgendwie stabil zu halten, sondern Europa stärker aus der Krise herauszuführen, als es in sie hineingekommen ist. Ich will einen leistungsstarken Kontinent, der seinen Bürgern auch in Zukunft Wohlstand bieten kann. Europa soll führend sein in der Welt, das sind wir in vielen Bereichen heute nicht. Die Euro-Staaten müssen deshalb wettbewerbsfähiger werden - und da bleibt noch sehr viel zu tun.

BILD: Südeuropa büßt derzeit rasant an Wohlstand ein. Wie lange halten die Länder das durch?

Merkel: Zunächst einmal: Alle südeuropäischen Länder haben mehr oder weniger die Reformen eingeleitet, die nötig sind, damit sie wieder auf einen soliden Weg kommen. Diese Reformen verlangen schmerzhafte Schnitte, das stimmt - und ich weiß, dass viele Menschen darunter zu leiden haben. Aber im Kern gilt: Jedes Land kann auf Dauer nur von dem leben, was es erwirtschaftet. Jedes Land braucht eine wettbewerbsfähige Wirtschaft, braucht eine industrielle Basis, groß oder klein. Wohlstand auf Pump geht nicht mehr, das muss allen klar sein.

BILD: Und bis dahin?

Merkel: Wir müssen uns um das drängendste Problem kümmern: die Jugend-Arbeitslosigkeit. Dafür haben wir in der EU gerade sechs Milliarden Euro bereitgestellt, die schnell und klug ausgegeben werden sollen. Auch mehr Mobilität in Europa kann ein Beitrag sein. Erinnern Sie sich an die deutsche Einheit: Damals zogen junge Menschen aus Ostdeutschland zum Beispiel nach Bayern, weil sie dort leichter Ausbildung und Arbeit fanden.

BILD: Ist Deutschland also das Vorbild für Europa, sogar die Führungsnation?

Merkel: Ich sehe Deutschland als ein Land, an dem man gut sehen kann, dass Reformen wirken. Viele in Europa erinnern sich noch gut daran, dass Deutschland vor gerade zehn Jahren als der kranke Mann Europas bezeichnet wurde. Und es ist ja auch nicht so, als wären wir in allem führend oder vorbildhaft. Deutschland kann zum Beispiel bei anderen Ländern noch lernen, wie Frauen und Männer Familie und Beruf besser unter einen Hut bringen. Da hängen wir eher hinterher.

BILD: Hinterher hängen die Deutschen auch bei den Vermögen der Haushalte. In Südeuropa sind die Durchschnittsvermögen größer.

Merkel: Rein statistisch sind Länder wie Spanien, Zypern oder Griechenland pro Haushalt reicher als wir. Aber Vorsicht, die Statistik ist verzerrt: In diesen Ländern besitzen viel mehr Menschen Häuser und Wohnungen. meist als Altersvorsorge. In Deutschland dagegen gibt es starke gesetzliche und betriebliche Rentensysteme. Die hohen Rentenansprüche der Deutschen aber sind in dieser Vermögensstatistik nicht enthalten, ebenso wenig Immobilien oder Vermögen, das Deutsche im Ausland haben. Deshalb sehen die Durchschnittsvermögen der Deutschen kleiner aus, als sie sind.

BILD: Trotzdem schürt es viel Unmut, weil wir "reichere" Euro-Länder retten müssen. Die "Alternative für Deutschland" schlägt daraus Kapital. Eine Gefahr für Sie?

Merkel: Das Beste für Deutschland ist die Fortsetzung der Politik der Bundesregierung, die in Zeiten weltweiten Wettbewerbs auf wirtschaftliche und soziale Stärke zu Hause und die Schaffung einer Stabilitätsunion in Europa setzt. Diese Politik wird von vielen Menschen unterstützt.

BILD: Letzte Frage: Halten Sie sich den Termin für das Champions-League-Finale Ende Mai in London frei?

Merkel: Ich hoffe erst einmal, dass beide deutschen Mannschaften ins Finale kommen. Und dann, um mit einem berühmten Bayern zu sprechen, schau'n mer mal.

Das Interview führten Alfred Draxler und Nikolaus Blome für Bild.