"Europa muss schneller werden"

Weltwirtschaftsforum in Davos "Europa muss schneller werden"

Deutschland, Europa und die Welt stehen vor großen Herausforderungen: dem Kampf gegen islamistischen Terror, dem Ukraine-Konflikt und enormen ökonomischen Fragen, so die Kanzlerin. Die unabhängige Entscheidung der EZB respektiert sie, sagt aber: Die eigentlichen Wachstumsimpulse müsse die Politik setzen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel spricht auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos.

Merkel setzt sich weiter für Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und den USA ein.

Foto: Bundesregierung/Kugler

Zu Beginn ihrer Rede erinnerte Bundeskanzlerin Angela Merkel an die barbarischen Anschläge in Paris und an den notwendigen weltumspannenden Kampf gegen den islamistischen Terror. Die beeindruckende Demonstration in Paris habe deutlich gemacht, dass wir für unsere Werte der Demokratie und der Freiheit eintreten. Diese Werte müssten aber immer wieder erkämpft werden. 

Verstoß gegen europäische Friedensordnung

Mit Blick auf den Konflikt in der Ukraine sagte die Kanzlerin, die Annexion der Krim sei ein "elementarer Verstoß gegen die Prinzipen der europäischen Friedensordnung". Eine militärische Antwort könne es darauf nicht geben. Daher seien die Sanktionen gegen Russland notwendig und zwar so lange, so lange es keine Lösung gebe. Der aktuelle Konflikt in der Ostukraine müsse diplomatisch gelöst werden. Grundlage dafür sei das Minsker Abkommen.

Große ökonomische Herausforderungen

Deutschland habe die Präsidentschaft der G7 inne und habe Themen auf die Agenda gesetzt, die vor allem die langfristige Entwicklung der Welt betreffen. Die Kanzlerin nannte unter anderem den Klimawandel, die Antibiotikaresistenzen und die Stärkung der Rolle der Frauen.

Die Eurokrise habe man zwar im Griff, überwunden sei sie aber noch nicht. Europa sei noch nicht wettbewerbsfähig genug. Es gelte daher eine wachstumsorientierte Politik zu gestalten, die staatliche und private Investitionen auslöse.

Respekt für unabhängige Entscheidung der EZB

Zur Entscheidung der Europäischen Zentralbank (EZB) über den Kauf von Staatsanleihen sagte die Kanzlerin, was auch die EZB entscheide, es sei eine Entscheidung, "die in der Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank getroffen wurde". Und sie fuhr fort: "Mit dieser Auffassung befinden wir uns in Deutschland in einer langen Tradition".

Die EZB ist die gemeinsame Währungsbehörde der Mitgliedstaaten der Europäischen Währungsunion. Sie verfolgt im Wesentlichen zwei Ziele. Zum Einen die Preisniveaustabilität. Dabei gilt es, große Schwankungen des Geldwertes zu vermeiden. Zum Anderen ausgeglichene, konjunkturelle Entwicklung der Mitgliedstaaten. Zu den grundlegenden Aufgaben der EZB gehören auch die Festlegung und Durchführung der Geldpolitik und die Versorgung der Volkswirtschaft mit Geld.

Als Politikerin sage sie aber, dies dürfe nicht davon ablenken, "dass die eigentlichen Wachstumsimpulse durch vernünftige Rahmenbedingungen durch die Politik gesetzt werden müssen". Die Kanzlerin würdigte die Reformen in Italien und den neuen Kurs in Frankreich. Sie lobte ausdrücklich die Reformanstrengungen der Programmländer Spanien, Portugal, Irland und Griechenland. Merkel: "Wir haben aber auch schon viel Zeit verloren. Jeder Tag, den die Anpassungsmechanismen und die Erlangung der Wettbewerbsfähigkeit auf sich warten lassen, ist ein verlorener Tag für Arbeitslose in Europa."

Zur Entscheidung der EZB
Mit mehr als einer Billion Euro will die EZB die Konjunktur im Euroraum ankurbeln. Sie plant, von März 2015 bis September 2016 monatlich Staats- und Unternehmensanleihen im Wert von 60 Milliarden Euro zu kaufen. Das kündigte Notenbank-Präsident Mario Draghi am Donnerstag an. Die Maßnahme dient dazu, einer Deflation entgegensteuern – einer Spirale aus Preissenkungen und schrumpfender Wirtschaft.

Konkret sieht der Plan der EZB vor, Banken und anderen Finanzunternehmen im großen Stil Wertpapiere abzukaufen. Dabei kauft sie nur Papiere, die bereits im Umlauf sind. Für diese Anleihen erhalten die Geldhäuser frisches Geld. Die EZB geht davon aus, dass dieses Geld wegen der niedrigen Zinsen wieder gewinnbringend investiert wird. So werden die Banken vermutlich vermehrt neue Kredite vergeben, mit deren Hilfe die Wirtschaft angekurbelt werden soll.

Arbeitsplätze durch Industrie 4.0

Notwendig sei die Schaffung hochwertiger Arbeitsplätze. Merkel unterstrich hier die Bedeutung der Digitalisierung. Die EU kümmere sich um die Rahmenbedingungen. Es gehe darum, den individuellen Datenschutz mit der Freiheit durch die Daten für neue Produkte zu verbinden.

Die Kanzlerin erwähnte in diesem Zusammenhang die Verschmelzung von industrieller Produktion mit dem Internet unter dem Stichwort Industrie 4.0. Im Blick auf die Entwicklungen in den USA und in Asien forderte Merkel eine größere Schnelligkeit, damit Europa nicht den Anschluss verliere. Noch habe Europa den Wettlauf nicht gewonnen.

Demografischer Wandel in Deutschland

Deutschland habe gezeigt, dass wachstumsorientierte Politik und solide Staatsfinanzen vereinbar seien. 2014 habe man keine neuen Schulden gemacht. Angesichts des "massiven demografischen Wandels" müssten durch solides Wachstum die Schulden abgebaut werden. Man dürfe der nachwachsenden Generation keinen Schuldenberg hinterlassen, der ihr Entwicklungsspielräume nehme. Deutschland verliere in den nächsten 15 Jahren sechs Millionen Arbeitskräfte.

Aktuell seien so viele Menschen erwerbstätig wie noch nie. Deshalb sie Deutschland auch ein attraktives Zuwanderungsland geworden. "Das wollen wir auch bleiben und auch weiterhin sein", so die Kanzlerin.

Merkel macht sich für Freihandelsabkommen stark

Merkel hielt anschließend "ein großes Plädoyer" für Freihandelsabkommen mit den USA und anderen Ländern. Sie werde sich in diesem Jahr dafür stark einsetzen. Gemeinsam mit den USA wolle man hohe Standards im Umwelt- und Verbraucherschutz erreichen.

Werteordnung ist gefordert

Zum Abschluss wies Merkel auf die Herausforderung unserer Werteordnung hin. Es gebe keine geheimen Ecken in der Weltöffentlichkeit mehr. Die Zivilgesellschaft wolle wissen, was die Politik tue und wie die Länder regiert würden. Man freue sich in Deutschland auf diese Herausforderung. Man solle aber nicht zuerst die Risiken sehen, sondern vor allem die Chancen.

Das 45. World Economic Forum 2015 findet vom 21. bis zum 24. Januar in Davos statt. Das Thema lautet: The New Global Context. Es werden mehr als 2.500 Führungspersönlichkeiten aus der Wirtschaft, Politik und Gesellschaft, sowie der akademischen und kulturellen Welt erwartet. Das Weltwirtschaftsforum (World Economic Forum) ist eine gemeinnützige Stiftung. Sie veranstaltet alljährlich in Davos ein Jahrestreffen. Bei diesen Treffen kommen international führende Wirtschaftsexperten, Politiker, Intellektuelle und Journalisten zusammen, um über aktuelle globale Fragen zu diskutieren.