"Europa ist veränderungsfähig"

Merkel-Interview "Europa ist veränderungsfähig"

Die Bundeskanzlerin bekräftigt im Spiegel, dass die wirtschaftspolitische Koordination in Europa gestärkt werden müsse - etwa in der Arbeitsmarkt- und Rentenpolitik, aber auch in der Steuer- und Sozialpolitik. Weitere Themen: die Beziehungen zu China, der "Euro Hawk" und deutsche Waffenlieferungen.

  • Interview mit Angela Merkel
  • Spiegel
Berlaymont, Sitz der Europäischen Kommission mit Europa-Fahnen

Merkel: "Ich will das Beste für Deutschland und für Europa"

Foto: REGIERUNGonline/Bergmann

Das Interview im Wortlaut:

SPIEGEL: Frau Bundeskanzlerin, das US-Magazin "Forbes" hat Sie zum dritten Mal in Folge zur mächtigsten Frau der Welt ausgerufen. Wann haben Sie sich das letzte Mal ohnmächtig gefühlt?

Merkel: Das ist kein Gefühl, das mich begleitet, auch wenn ich natürlich nicht immer in einem Zug durchsetzen kann, was mir wichtig ist. Ich muss geduldig sein, andere überzeugen, andere zum Mitmachen bewegen - das gilt in der Innenpolitik wie in den internationalen Angelegenheiten.

SPIEGEL: Ist die Macht des Bundeskanzlers durch die Euro-Krise gewachsen?

Merkel: Das ist schwer für mich zu sagen, denn jeder arbeitet in seiner Zeit. Auf jeden Fall wird die Politik der Bundesregierung international mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. In den letzten Jahren sind Maßnahmen beschlossen worden, die ich früher noch für unwahrscheinlich gehalten hätte. So waren zum Beispiel nach der Ratifizierung des EU-Vertrags von Lissabon im Jahre 2009 viele der Ansicht, dass die Entwicklung Europas, was die großen Vertragsänderungen angeht, erst einmal abgeschlossen sei. Dann kam die Staatsschuldenkrise, und wir waren zum Beispiel gezwungen, einen Fiskalvertrag oder den Europäischen Stabilitätsmechanismus einzuführen, mit dem Krisenstaaten geholfen werden kann, wenn sie sich gleichzeitig zu einem Sanierungsplan verpflichten. Das zeigt: Europa ist veränderungs- und reformfähig, mehr als wir uns selbst das vielleicht zugetraut hätten.

SPIEGEL: Sie hatten gerade den chinesischen Premierminister Li zu Besuch. Wer hat zu Hause mehr zu sagen: er oder Sie?

Merkel: Wir sprechen bei unseren Begegnungen über die Themen, die für unsere beiden Länder wichtig sind, die Lage des Euro oder die Situation im Südchinesischen Meer. Natürlich versuche ich, mich dabei in die Lage meines Gesprächspartners hineinzuversetzen, und wenn wir uns gegenübersitzen, erwartet man von uns, dass wir in unseren Ländern auch etwas umsetzen können.

SPIEGEL: In China scheint die Mischung aus Einparteienherrschaft und Kapitalismus ganz gut zu funktionieren. Hat das westliche Modell, die Kombination aus Marktwirtschaft und rechtsstaatlicher Demokratie, dennoch irgendwann eine Chance in solchen Ländern?

Merkel: Die Menschenrechte sind unteilbar, die Würde des Menschen gilt nicht nur in Deutschland, sondern überall in der Welt. Ich bin überzeugt, auf lange Sicht werden Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Freiheit nirgendwo aufzuhalten sein.

SPIEGEL: Das heißt, Länder wie China werden eher Europa ähnlich als umgekehrt?

Merkel: Menschenrechte sind unteilbar, ansonsten ist es für uns Deutsche und Europäer wichtig zu sehen, dass China ein Land ist, das enorme Anstrengungen unternimmt, um ebenfalls Wohlstand zu haben. Wenn es sich dabei im Verhältnis zu weltweiten Konkurrenten fair verhält, haben wir kein Recht, es daran zu hindern, sondern müssen zusehen, dass wir bei dieser Dynamik wirtschaftlich mithalten und auch unsere Chancen beim Aufstieg dieses Landes nutzen. Gleichzeitig habe ich den Eindruck, dass der chinesischen Führung durchaus bewusst ist, dass die Bevölkerung mehr Rechtsstaatlichkeit, mehr Korruptionsbekämpfung, mehr Umweltschutz und Freiheit erwartet.

SPIEGEL: Sind die westlichen Demokratien zu langsam, um mit den globalen Umwälzungen Schritt halten zu können?

Merkel: Geschwindigkeit ist wichtig, aber nicht alles. Die Demokratie bleibt überlegen, auch weil sie durch die eingebauten Kontroll- und Ausgleichsmechanismen auf lange Sicht weniger fehleranfällig ist. Aber es stimmt, dass wir in der weltweiten Finanzkrise das Tempo unserer Entscheidungen beschleunigen mussten, Ich habe mich jetzt zum Beispiel wieder mit dem Gesetz über die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse beschäftigt. Es hat Jahrzehnte gebraucht, eine solche Regelung auf den Weg zu bringen, und erst dieser Bundesregierung ist es gelungen. Musste das so lange dauern? Ich glaube nicht.

SPIEGEL: Wie weit ist Europa schon im globalen Wettbewerb zurückgefallen?

Merkel: Wir gehören zu den bestentwickelten Regionen der Welt. Wir sind so weit entwickelt, dass wir nicht allein auf das quantitative Wachstum Wert legen müssen, sondern auf das qualitative. Gleichzeitig jedoch steht Europa nicht durchgehend bei Forschung und Entwicklung an der Spitze, denn manche Länder haben darin nicht ausreichend investiert. Europa ist in manchen Bereichen sehr regelungsfreudig oder, anders gesagt, zu bürokratisch. Wer nur sieben Prozent der Weltbevölkerung stellt und noch 20 bis 25 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung erarbeitet, gleichzeitig aber knapp die Hälfte der Sozialleistungen der Welt aufbringt, der muss klarmachen, wie das auf Dauer zu bezahlen ist.

SPIEGEL: Wie soll das mit einer alternden Bevölkerung gehen?

Merkel: Das kann auch mit einer alternden Bevölkerung gelingen. Der heute 70-Jährige ist wie ein 60-Jähriger vor 25 Jahren, Altern allein ist noch kein Grund für eine Gesellschaft, nicht mehr innovativ zu sein. Die Einstellung zum Alter verändert sich glücklicherweise. Aktiv bleiben, lebenslanges Lernen rücken immer mehr in den Vordergrund. Viele alte Menschen haben große Erfahrung einzubringen, das wurde zu wenig beachtet, als in Deutschland noch die Frühverrentungsprogramme wirksam waren, Weil wir unseren Wohlstand halten wollen, haben wir mit der Rente mit 67 beschlossen, dass die Menschen länger als früher arbeiten, sehr viele können und wollen es aber auch.

SPIEGEL: Fühlen Sie sich als Kanzlerin auch für Länder wie Spanien oder Portugal verantwortlich?

Merkel: Wir sind alle miteinander verbunden, weil auch für uns in Deutschland viel davon abhängt, was in Portugal, Griechenland, Spanien oder anderen Ländern passiert. Wir sitzen alle in einem Boot. Kein europäisches Land kann auf Dauer stark sein, wenn es anderen nicht gutgeht.

SPIEGEL: Nun gibt es den kuriosen Sachverhalt, dass Sie hier in Deutschland sehr populär sind, in anderen Teilen Europas aber eine Reizfigur. Kümmern Sie sich zu viel um die deutschen Interessen, und denken Sie zu wenig an die europäischen Nachbarn?

Merkel: Ich will als deutsche Bundeskanzlerin stets das Beste für Deutschland und auch für Europa, denn ich bin zutiefst davon überzeugt, dass der Wohlstand Europas in 20 Jahren davon abhängt, wie wir heute die Weichen stellen. Wenn wir uns und unsere Stärken und Schwächen nicht im globalen Maßstab sehen, wenn wir vergessen oder verdrängen, wie hart Länder in Asien oder Südamerika an ihrer Wettbewerbsfähigkeit arbeiten, dann wird Europa global zurückfallen. Diese Diskussion müssen wir führen, auch wenn sie manchmal kontrovers ist.

SPIEGEL: Wie lange kann es gutgehen, dass Brüssel Ländern wie Spanien und Griechenland einen Sparkurs auferlegt, für den es dort bei der Bevölkerung keine Mehrheit gibt?
Merkel: In all diesen Ländern sind demokratisch gewählte Regierungen unsere Partner. Meine griechischen, spanischen, portugiesischen Kollegen sind alle für ihren mutigen und mühsamen Reformkurs demokratisch legitimiert. In der Politik müssen immer wieder Entscheidungen getroffen werden, die erst einmal nicht populär sind. Nehmen Sie die schon angesprochene Rente mit 67. Sie erfährt in den Umfragen immer noch wenig Zustimmung, auch wenn sie unverzichtbar bleibt.

SPIEGEL: Noch mal: Was gibt Ihnen die Zuversicht, dass sich die Länder in Südeuropa dauerhaft einem Spardiktat unterwerfen?

Merkel: Viele Menschen in diesen Ländern wissen, dass jahrelange Fehlentwicklungen die Schwierigkeiten ihrer Länder verursacht haben und dass sich deshalb etwas verändern muss. Gleichzeitig weiß ich aber sehr wohl, dass die notwendigen Reformen ihnen sehr viel abverlangen. Viele stellen oft zu Recht die Gerechtigkeitsfrage, ob dem einfachen Arbeitnehmer zu viel zugemutet wird, während derjenige, der vermögender ist, so davonzukommen scheint. In vielen Ländern wurde zum Beispiel das Arbeitsrecht für junge Menschen sehr flexibilisiert, was dazu führt, dass sie bei Schwierigkeiten im Unternehmen als Erste ihre Arbeit verlieren. Da gibt es eine heftige Gerechtigkeitsdiskussion zum Beispiel mit älteren Arbeitnehmern, bei der dennoch die Ursache der Schwierigkeiten nicht vergessen werden darf.

SPIEGEL: In Südeuropa liegt die Jugendarbeitslosigkeit teilweise bei über 50 Prozent. Die von Ihnen verordnete Sparpolitik hat desaströse Folgen.

Merkel: Haushaltskonsolidierung und Reformauflagen wurden mit den Regierungen der Länder ausgehandelt und stehen der Solidarität gegenüber, die diese Länder aus Europa und damit von uns allen erfahren. Die Jugendarbeitslosigkeit war in einigen der am schwersten betroffenen Länder schon vor der Krise hoch. Die Bundesregierung will das Ihre tun, die Lage zu lindern, indem wir zum Beispiel ein Kreditprogramm für Firmen in Südeuropa planen, finanziert über die staatliche KfW-Bank.

SPIEGEL: Ein populärer Vorwurf an Sie lautet, dass Ihnen der große Entwurf für die Zukunft Europas fehle. Die einen sagen, Sie haben diesen Plan nicht, weil Sie eine Politik der kleinen Schritte machen. Die anderen sagen, Sie haben diesen großen Plan sehr wohl, verraten ihn aber nicht, weil das unnötig Widerstände hervorruft. Wer hat denn recht?

Merkel: Ich glaube in der Tat, dass es vernünftig und erfolgversprechend ist, dass wir uns Schritt für Schritt aus der Krise herausarbeiten, weil es den einen alles entscheidenden Befreiungsschlag nicht gibt, aber Sie können diese Schritte natürlich nur dann setzen, wenn Sie eine Vorstellung von der Richtung haben.

SPIEGEL: Dann gehen wir Ihren Plan doch mal durch. Soll die EU-Kommission zu einer Art europäischen Regierung werden?

Merkel: Schon heute können in einigen Bereichen wie zum Beispiel in der Agrarpolitik die nationalen Regierungen kaum noch allein entscheiden. Ich sehe zunächst keine Notwendigkeit, in den nächsten Jahren noch mehr Rechte an die Kommission nach Brüssel abzugeben. Frankreichs Präsident Francois Hollande und ich wollen vielmehr eine bessere Koordinierung auf den Politikfeldern, die für die Stärkung unserer Wettbewerbsfähigkeit ausschlaggebend sind. Wir denken dabei zum Beispiel an die Arbeitsmarkt und Rentenpolitik, aber auch an die Steuer- und Sozialpolitik. Die wirtschaftspolitische Koordinierung in Europa ist viel zu schwach ausgeprägt, sie muss gestärkt werden, was etwas anderes ist als mehr Kompetenzen für Brüssel.

SPIEGEL: Sind Sie dafür, den Kommissionspräsidenten direkt vom Volk wählen zu lassen?

Merkel: Ich bin da zurückhaltend, obwohl ich weiß, dass es dazu einen Parteitagsbeschluss der CDU gibt. Ein Kommissionspräsident, der direkt vom Volk gewählt würde, müsste mit einer ganz anderen Machtfülle ausgestattet werden, als das jetzt der Fall ist. Das wiederum aber brächte das ganze Gefüge der EU aus der Balance. Parlament und Rat sollten für die Wahl des Präsidenten gemeinsam verantwortlich sein.

SPIEGEL: Das ist jetzt schon der Fall. Warum soll das Parlament nicht allein darüber entscheiden, wer die Kommission anführt? Weil Sie dann nichts mehr zu sagen hätten?

Merkel: Richtig, das ist schon jetzt so, und das will ich auch nicht ändern. Ich bin der Auffassung, dass es dem Gleichgewicht aller Institutionen guttut, wenn die Staats- und Regierungschefs bei dieser Entscheidung auch gefragt sind.

SPIEGEL: Wenn man Demokratie ernst nimmt, dann muss man doch sagen: Der Souverän entscheidet. Und der Souverän ist das Parlament.

Merkel: Weil ich möchte, dass dem Kommissionspräsidenten eine koordinierende Funktion über die Politik der nationalen Regierungen zukommen soll, halte ich es für unerlässlich, dass die nationalen Staats- und Regierungschefs bei seiner Berufung mitreden.

SPIEGEL: Aber genau darin liegt doch das Demokratiedefizit der EU. Die Bürger sollen brav zur Europawahl gehen, aber am Ende kann das Parlament nicht mal darüber entscheiden, wen es an die Spitze der Kommission wählt.

Merkel: Sie unterschätzen das Europäische Parlament sehr. Es hat erhebliche Macht, wir sehen das zurzeit beim Ringen um den EU-Finanzrahmen der nächsten Jahre. Es braucht einen Vorschlag des Rates, aber es braucht auch die Zustimmung des Parlaments. Irgendwann kann es sinnvoll werden, dem Parlament die Befugnis zu geben, Gesetzesinitiativen auf den Weg zu bringen, aber jetzt halte ich nichts davon, unsere Zeit mit theoretischen Diskussionen darüber zu verbringen, wie die europäischen Strukturen in 10 oder 15 Jahren aussehen. Für mich und die Bürgerinnen und Bürger Europas stellen sich viel drängendere Fragen. Es geht darum, mit welchen Waren und Dienstleistungen wir am Wachstum der Welt teilhaben wollen, womit wir in Zukunft unser Geld verdienen wollen, wie wir Unternehmensgründungen vereinfachen und dadurch Arbeitsplätze ermöglichen können, wie wir es schaffen, dass alle Länder - so wie es eigentlich schon vor zehn Jahren verabredet war - endlich drei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Forschung ausgeben, und vieles mehr. Wenn wir diese Fragen beantwortet haben, dann werden wir auch lernen, wie die EU-Institutionen am besten funktionieren.

SPIEGEL: Aber der Frust über die intransparente EU schlägt doch auf Sie zurück. Eine Partei wie die Alternative für Deutschland (AfD) würde es gar nicht geben, wenn die Menschen zufrieden wären mit der EU.

Merkel: Es gibt sehr viele Parteien in Deutschland, gegründet aus den unterschiedlichsten Motiven und mit den unterschiedlichsten Zielen. Für diese Legislaturperiode haben wir das am Beispiel der Piraten schon gesehen und früher am Beispiel der Grünen.

SPIEGEL: Das klingt, als würden Sie die AfD sehr ernst nehmen.

Merkel: Ich befasse mich damit, die richtigen Entscheidungen für unser Land zu treffen, und habe die Erfahrung gemacht, dass das die Menschen überzeugt.

SPIEGEL: Wird die Bundeswehr eines Tages in einer europäischen Armee aufgehen?

Merkel: Wir haben eine Parlamentsarmee. Der Parlamentsvorbehalt verleiht unseren Entscheidungen Stabilität, verlangt aber auch andere Entscheidungsprozesse als in anderen europäischen Ländern.

SPIEGEL: Also eher keine gemeinsame Armee?

Merkel: Richtig, denn auf absehbare Zeit geht es um ganz andere Fragen. Auch wegen begrenzter finanzieller Mittel müssen wir auf militärischem Gebiet sehr viel mehr gemeinsam machen. Wir müssen die Nato und die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik besser miteinander verzahnen und in Ausrüstungsfragen zu einer wirklichen Arbeitsteilung kommen, aber auch das wird nicht einfach, denn die Rüstungsindustrien in den einzelnen Ländern stehen natürlich miteinander im Wettbewerb.

SPIEGEL: Wenn Sie auf einer Parteiversammlung gefragt werden, warum Ihre Regierung bei der Aufklärungsdrohne "Euro Hawk" über eine halbe Milliarde Euro für ein Projekt verschwendet, das offensichtlich nicht funktioniert - was antworten Sie da?

Merkel: Der Verteidigungsminister hat angekündigt, in dieser Woche einen umfassenden Bericht über das Projekt seit seinen Anfängen vor mehr als zehn Jahren vorzulegen. Dem greife ich nicht vor. Wir haben es schon bei manchen Rüstungsprojekten wie auch bei zivilen Großprojekten erlebt, dass Zeitpläne und Kostenvoranschläge am Ende anders bewertet wurden als zu Beginn. Die Planbarkeit von Großprojekten müssen wir generell verbessern.

SPIEGEL: Der "Euro Hawk" wurde aber nicht nur teurer, am Ende hat sich herausgestellt, dass er komplett unbrauchbar ist.

Merkel: Ich greife dem Bericht des Verteidigungsministers nicht vor.

SPIEGEL: Sind Sie glücklich mit dem Krisenmanagement von Thomas de Maiziere?

Merkel: Thomas de Maiziere nimmt sich die notwendige Zeit, um dem Bundestag eine möglichst umfassende Übersicht über den Sachverhalt geben zu können. Es dauert ja auch nicht mehr lange, bis sein Bericht vorliegt.

SPIEGEL: Der umstrittenste Teil Ihrer Außenpolitik sind die Waffenlieferungen an Staaten wie Saudi-Arabien und Katar. Warum bekommen arabische Potentaten deutsche Panzer?

Merkel: Wir halten uns bei Rüstungsexportgenehmigungen an exakt dieselben Grundsätze, die auch frühere Bundesregierungen geleitet haben, und auch sie haben bereits Lieferungen in arabische Länder genehmigt. Natürlich wussten wir dabei immer schon, dass die meisten dieser Staaten keine Demokratien sind, aber wir wussten immer auch, dass sie für eine Vielzahl regionaler und internationaler Fragen wichtige Partner Deutschlands und der EU sind, zum Beispiel auch und gerade im Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Wir bewerten diese Frage jeweils in jedem Einzelfall und wägen alle Gesichtspunkte miteinander ab. Darüber hinaus haben wir einigen Ländern gegenüber eine Verpflichtung

SPIEGEL: ... Waffen zu liefern?

Merkel: Wir haben einigen Ländern und Regionen, zum Beispiel in Afrika, gegenüber eine Verpflichtung, ihnen mit Ausbildungs- und Trainingsmissionen zu helfen, damit sie selbst Verantwortung bei der Bewältigung möglicher Konflikte übernehmen können. Das schließt auch die Diskussion von Ausrüstungsfragen mit ein.

SPIEGEL: Sie scheinen in dieser Frage ein gutes Gewissen zu haben. Warum treffen Sie dann die Entscheidungen im Verborgenen, im geheimen Bundessicherheitsrat? Warum sorgen Sie nicht für mehr Transparenz?

Merkel: Wir tagen im Bundessicherheitsrat geheim, weil es vor einer abschließenden Entscheidung außenpolitisch im Verhältnis zu unseren Partnern und auch mit Blick auf nachvollziehbare Interessen der betroffenen Unternehmen zum Schutz ihrer Betriebsinteressen gute Gründe für dieses seit langem bewährte Verfahren gibt. Wir können nicht jede Anfrage vor einer abschließenden Entscheidung öffentlich machen. Um dennoch die nötige Transparenz herzustellen, war es jahrzehntelang gute Tradition, einmal im Jahr dem Parlament und dann der Öffentlichkeit einen detaillierten Rüstungsexportbericht vorzulegen. Jetzt finden viele, einmal im Jahr sei zu wenig, man solle häufiger und früher informieren. Ich bin bereit, in der nächsten Legislaturperiode darüber zu reden, ob man abschließende Entscheidungen zeitnah veröffentlicht. Wenn Abgeordnete eine entsprechende Anfrage stellen, informieren wir sie ohnehin heute schon über abschließende Entscheidungen unmittelbar, indem wir ihre Frage beantworten.

SPIEGEL: Ihr Außenminister hat vorgeschlagen, ein Geheimgremium im Bundestag zu schaffen, das dann zeitnah informiert werden müsste.

Merkel: Im Augenblick wird ohne Geheimgremium informiert. Ich bin wie gesagt bereit, in der nächsten Legislaturperiode darüber zu reden, dass wir in Zukunft häufiger als nur einmal im Jahr über Rüstungsexporte Bericht erstatten und gleichzeitig die außenpolitischen Belange wie auch die der Unternehmen weiter beachten.

SPIEGEL: Frau Bundeskanzlerin, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Das Gespräch wurde geführt für den