"Deutschland wünscht einen fairen Wettbewerb"

Interview "Deutschland wünscht einen fairen Wettbewerb"

Im Interview mit dem französischen TV-Sender "France 2" äußert sich Bundeskanzlerin Angela Merkel zu den politischen Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich, zu Integrationsthemen und zum politischen Stil weiblicher Regierungschefs.  

  • Interview mit Angela Merkel
  • in "FRANCE 2"

Frage (D. Pujadas): Guten Abend, Frau Bundeskanzlerin. Vielen Dank, dass Sie uns hier in Berlin empfangen. Seit einigen Monaten ist Deutschland bei allen Diskussionen in Frankreich allgegenwärtig, ob es nun um die Defizite, die Steuerreform oder die Renten geht - immer wird Deutschland als Vorbild genannt. Kann oder muss Deutschland ein Modell für Frankreich sein?

Merkel: Ich glaube, jedes Land muss zunächst seine Arbeit gut machen. Das haben wir in Deutschland versucht, wir sind dabei, das zu tun. Manchmal stößt man auf Widerstände, auf Schwierigkeiten, aber die Bedingungen sind in den einzelnen Ländern nicht gleich. Man kann also nicht sagen, dass Deutschland ein Modell für Frankreich ist - und umgekehrt auch nicht.

Frage: Sie sprechen von den Renten. Im Augenblick findet in Frankreich eine Kraftprobe um die Renten, die Reform der Regierung statt. Kundgebungen auf und Streiks auf der anderen Seite - wer hat recht, die Demonstranten oder die Regierung?

Merkel: Ich glaube, dass die Bevölkerung in Deutschland wie in Frankreich nicht umhinkann, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen. Und die Wahrheit ist, dass die Menschen länger leben, und wenn man eine vernünftige und anständige Rente gewährleisten will, muss man selbstverständlich den Umstand berücksichtigen, dass die Menschen länger leben und länger arbeiten müssen. Die Reform muss stufenweise durchgeführt werden. In Deutschland führen wir sie stufenweise ein, genauso wie in Frankreich.

Frage: Ich sagte ja schon, dass Deutschland als Vorbild genannt wird. Andererseits ist Kritik am Egoismus des deutschen Modells laut geworden, weil es sich auf den Export stütze, also auf die Einfuhren seiner europäischen Partner. Was antworten Sie auf diesen Vorwurf Egoismus?

Merkel: Ich glaube nicht, dass wir egoistisch sind. Wir sind ein Land mit einer sehr starken Wirtschaft. Man wirft uns häufig vor, dass wir keine hohen Löhne zahlten, aber das ist nicht wahr. Wenn wir uns die Höhe der Ausfuhren und der Löhne anschauen, so sind sie durchaus vergleichbar mit denen in anderen Ländern. Deutschland wünscht einen fairen Wettbewerb, und wenn andere Länder in einigen Sektoren stärker werden, müssen wir das auch ertragen.

Frage: Es wird oft gesagt, die deutsche Presse hat oft geschrieben, dass Sie vom Stil Nicolas Sarkozys manchmal überrascht oder verunsichert würden. Ist das wahr?

Merkel: Nein, das ist nicht so, weil wir uns sehr gut kennen. Jeder hat seinen eigenen Charakter, seine eigenen Eigenschaften. Das ist auch gut so, aber das ...

Frage: Sie sind sehr verschieden ...

Merkel: Ja und nein. Wir sind manchmal vom Temperament her unterschiedlich, aber in unserem Willen, Lösungen zu finden, sind wir uns völlig gleich. Wir haben für jedes große europäische Problem, manchmal nach schwierigen Diskussionen, immer eine gute Lösung für Europa gefunden. Was ich an Nicolas Sarkozy schätze, ist, dass er nicht um den heißen Brei herumredet. Wir verstecken die Probleme nicht, wir legen sie auf den Tisch, und das ist immer gut für Europa gewesen.

Frage: Vor Kurzem hat er Ihnen im Zusammenhang mit der Roma-Affäre eine Erklärung unterstellt, die Sie anschließend in Abrede gestellt haben. Hat Sie das geärgert?

Merkel: Wir haben uns bei unserem Treffen in New York darüber unterhalten, und jetzt blicken wir in die Zukunft.

Frage: Seit einigen Monaten wird Deutschland von einer Diskussion - und das ist eine Premiere - aufgewühlt, die sich um die Zuwanderung und den Islam dreht. Sie haben gestern erklärt, das deutsche multikulturelle Modell sei gescheitert und man müsse von den Zuwanderern mehr verlangen. Ist die deutsche Identität Ihrer Ansicht nach heute durch die Zuwanderung oder den Islam bedroht?

Merkel: Nein, es gibt keine Bedrohung, nichts ist bedroht. Man muss vielleicht erklären, was Multikulti in Deutschland bedeutet. Das ist ein Modell, bei dem die Zuwanderer und die, die schon immer hier sind, nebeneinanderher leben. Für mich ist Integration etwas anderes als nur dieses Nebeneinanderherleben. Integration bedeutet, dass man die Gesetze des Landes achtet, dass man seine Sprache spricht, damit sich die Bildungschancen verbessern, und ich glaube, wir sind hier auf einem guten Weg.

Frage: Eine letzte Frage vielleicht etwas persönlicherer Art zur Ausübung der Macht. Vor einigen Tagen hat die französische Wirtschaftsministerin Christine Lagarde erklärt, dass Frauen die Macht mit wesentlich weniger Libido und Testosteron ausübten als die Männer. Sind Sie auch der Meinung, dass es eine weibliche Art der Machtausübung gibt?

Merkel: Ja, natürlich gibt es Unterschiede zwischen Frauen und Männern. Aber dass die Frauen einen ganz anderen politischen Stil hätten, glaube ich nicht. Von Margaret Thatcher, Hillary Clinton über Christine Lagarde bis zu mir selbst sind wir sehr verschieden, wie es Barack Obama, Nicolas Sarkoyz und David Cameron auch sind. Ich will mir kein Etikett anheften lassen.

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Bundeskanzlerin. Danke, danke schön.