"Deutschland weiß um seine Verantwortung in der Welt"

50 Jahre Bergedorfer Gesprächskreis "Deutschland weiß um seine Verantwortung in der Welt"

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat anlässlich der Festveranstaltung „50 Jahre Bergedorfer Gesprächskreis“ der Körber-Stiftung am 9. September 2011 in Berlin Deutschlands außen- und sicherheitspolitisches Fundament im 21. Jahrhundert beschrieben. Merkel: "Unser Wohlstand, den wir uns in einer freiheitlichen Weltordnung erarbeiten konnten, unsere Interessen und unsere Werte verpflichten uns dazu, Verantwortung zu übernehmen."

Freitag, 9. September 2011

Sehr geehrter Herr Bundespräsident Richard von Weizsäcker,

sehr geehrter Herr Bundeskanzler Schmidt,

sehr geehrter Herr Wriedt,

sehr geehrter Herr Wehmeier,

meine Damen und Herren,

herzlichen Dank für die Einladung. Sie haben eben davon gesprochen, dass die Früherkennungsfunktion versagt habe. Ich muss sagen: Es handelt sich dann wohl um ein disproportionales Verhältnis, weil ich, als ich in die Politik kam, relativ schnell den Bergedorfer Gesprächskreis für etwas Interessantes gehalten habe. Das allerdings zeigt, wie lange ich warten musste, um einmal eingeladen zu werden. Aber trotzdem herzlichen Dank und herzlichen Glückwunsch zum 50. Jubiläum.

Bergedorf steht seit 50 Jahren für außen- und sicherheitspolitische Diskussionen auf höchstem Niveau. Namhafte Teilnehmer aus allen Erdteilen kommen hier zusammen, um Wissen und Erfahrung auszutauschen, um Ideen und Perspektiven für ein gedeihliches Miteinander der Völker und Nationen zu entwickeln. Vertrauen und Verständigung durch offenen Dialog – darauf gründet der Erfolg dieses außergewöhnlichen Kreises.

Seit 1994 hat sich Bundespräsident a. D. von Weizsäcker als Vorsitzender große Verdienste um den Gesprächskreis erworben. Ihm gilt heute mein ganz besonderer Dank. Natürlich möchte ich ebenso der Körber-Stiftung danken. Mit ihrer Unterstützung des Bergedorfer Gesprächskreises folgt sie der Tradition ihres Gründers Kurt Adolf Körber, immer wieder Antworten auf neue gesellschaftliche Fragen nachzuspüren. Der umtriebige Unternehmer, leidenschaftliche Stifter und visionenreiche Initiator des Bergedorfer Gesprächskreises gab von Anfang an die Leitlinie vor: „Nur in offener und selbstkritischer Zusammenarbeit aller Kräfte kann die freie Welt ihre gesellschafts- und wirtschaftspolitische Ordnung behaupten und sich gegenüber totalitären Herausforderungen bewähren.“

Was damals galt, gilt auch heute – umso mehr, als wir nicht vergessen sollten, dass das Gründungsjahr des Bergedorfer Gesprächskreises, 1961, für uns Deutsche ein sehr traumatisches Jahr war. Denn am 13. August jenes Jahres versuchte die SED-Führung mit Beginn des Mauerbaus Deutschlands Teilung für immer zu besiegeln. Das in Beton gegossene Symbol von Unfreiheit und staatlicher Willkür trennte Berlin, Deutschland und Europa. Ja, mehr noch: In der Mauer manifestierte sich die Teilung der Welt in zwei Blöcke. 28 lange Jahre sollte es dauern, bis die Mauer 1989 endlich fiel. Der Ost-West-Konflikt neigte sich dem Ende zu, die Freiheit hatte gesiegt.

Immer müssen wir uns, trotz aller Alltagssorgen und Herausforderungen unserer Zeit, bewusst sein, welch großes Geschenk ein Leben in Freiheit ist – für jeden einzelnen Menschen wie auch für unser Land. Manche hatten 1989 die Hoffnung, dass mit dem Ende des Kalten Krieges gleichsam ein goldenes Zeitalter anbrechen würde. Heute wissen wir: Diese Hoffnung konnte sich nicht erfüllen. Spannungen, die durch den Ost-West Konflikt überdeckt wurden, haben sich plötzlich entladen. Wir wurden Zeugen der Balkankriege, denen über 200.000 Menschen zum Opfer fielen. Der Transnistrienkonflikt brach aus. Die Auseinandersetzung um Nagorny-Karabach begann. Abchasien und Süd-Ossetien versuchten, sich aus dem georgischen Staat zu lösen. Der Nord-Kaukasus wurde unruhig.

Auch außerhalb Europas erfüllte sich die Hoffnung nicht, dass das Ende des Kalten Krieges Lösungen für Konfliktherde erleichtern würde – sei es im Nahen Osten, in Korea oder in Kaschmir. Im Gegenteil, die Invasion Iraks in Kuwait holte uns schon bald nach dem Fall des Eisernen Vorhangs auf den Boden der Realität zurück. Und damit nicht genug. Neben diese klassischen Territorialkonflikte sind völlig neue, sogenannte asymmetrische Bedrohungen getreten: Terrorismus, die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, Piraterie und Cyber-Angriffe. Zu befürchten sind künftig auch zunehmende Konflikte um Wasser und Rohstoffe.

Übermorgen jährt sich der folgenschwerste asymmetrische Angriff, den wir erlebt haben, bereits zum zehnten Mal. Die furchtbaren Bilder des 11. September aus New York und Washington haben wir alle noch vor Augen; jeder weiß vermutlich noch, wo er damals war. 3.000 Menschen verloren ihr Leben. Den Angehörigen der Opfer gilt auch heute unser Mitgefühl.

Meine Damen und Herren, nach der anfänglichen Euphorie nach dem Ende des Ost-West-Konflikts machte sich also durchaus auch Ernüchterung breit. Und dennoch: Wir sollten und dürfen uns angesichts all der Krisen und Rückschläge in den letzten 20 Jahren auch an sehr, sehr viel Positives erinnern – zunächst an die Erweiterung der Europäischen Union von 15 auf 27 Länder. Mit ihr wurde nach Jahrhunderten einer allzu oft auch leidvollen Geschichte Europas ein einzigartiger Raum von Freiheit, Frieden, Stabilität und Wohlstand geschaffen. NATO und EU gelang es nach den blutigen Auseinandersetzungen in Bosnien und im Kosovo, den Balkan zu stabilisieren. Die europäische Perspektive für diese Länder auf dem westlichen Balkan wird auch die Grundlage von dauerhaftem Frieden sein. 2001 konnte der Ausbruch eines Bürgerkriegs in Mazedonien verhindert werden. 2005/2006 half die Europäische Union, den Aceh-Konflikt in Indonesien zu lösen. 2006 hat die EU mit dafür gesorgt, dass die Wahlen im Kongo friedlich verlaufen sind. Und nicht zuletzt verhindern derzeit Europäische Union und NATO am Horn von Afrika Schlimmeres, indem sie die Piraterie eindämmen.

Aus all diesen Entwicklungen, Konflikten und Engagements lassen sich für unser Handeln drei wesentliche Schlussfolgerungen ziehen.

Erstens: Deutschland kann wie jedes andere Land in einer eng vernetzten Welt Konflikte nicht allein lösen. Wir – wie alle unsere Partner; auch die Vereinigten Staaten von Amerika – sind angewiesen auf funktionierende Partnerschaften und Bündnisse. Die Entwicklungen in Libyen, in Irak, in Afghanistan, ebenso die Auseinandersetzung mit den iranischen und nord-koreanischen Nuklearprogrammen oder auch die bosnische Verfassungskrise zeigen: Es bedarf jeweils des Zusammenspiels vieler Kräfte, um Fortschritte zu erzielen.

Für Deutschlands Sicherheitspolitik gilt dabei unverändert: Unsere Partnerschaft mit den USA und das transatlantische Bündnis sind das tragende Fundament unserer Außenpolitik. Deswegen waren die Anschläge des 11. September nicht nur ein Angriff auf die Vereinigten Staaten, sondern sie waren ein Angriff auch auf uns. Mehr noch: Es waren Anschläge auf die gesamte freiheitliche Welt. Konsequenterweise hat deshalb die NATO die Beistandsklausel nach Art. 5 des Nordatlantikvertrags geltend gemacht. In der Folge engagiert sich Deutschland gemeinsam mit unseren Partnern in Afghanistan, um zu verhindern, dass von dort noch einmal der Terrorismus in unsere Länder getragen wird. Seite an Seite stellen wir uns auch dem iranischen Nuklearprogramm entgegen. Ebenso gemeinsam suchen wir nach Lösungen für den Nahostkonflikt und für die Bewältigung verbliebener Probleme auf dem Balkan.

Aber unsere Beziehungen zu den Vereinigten Staaten von Amerika beruhen nicht allein auf einer Sicherheitspartnerschaft. Sie gehen sehr viel tiefer. Unsere vielfältigen transatlantischen Beziehungen sind geprägt durch gemeinsame Geschichte, Kultur und vor allem durch gemeinsame Werte. So können wir uns gemeinsam den vielen globalen Herausforderungen im 21. Jahrhundert stellen. Ich bin davon überzeugt: Angesichts einer multipolar gewordenen Welt werden Europa und Amerika durch ihr gemeinsames Werteverständnis in Zukunft noch viel stärker zusammengeschweißt, aber auch herausgefordert. Für uns Deutsche erwächst die transatlantische Partnerschaft neben der europäischen Einigung aus einem gemeinsamen Wertefundament.

Ja, es ist wahr: Deutschland und Frankreich sind in diesem Europa wahrlich nicht allein entscheidend. Niemals dürfen wir – unter Hinweis auf kleinere Partner – die anderen vergessen, schon gar nicht unseren Nachbarn Polen. Aber wahr ist auch: Ohne Deutschland und Frankreich sind in Europa kaum Fortschritte denkbar. Daran hat sich auch in den letzten Jahren nichts geändert; und ich glaube, daran wird sich auch so schnell nichts ändern.

Ich denke zum Beispiel daran, dass wir Ende 2005 mit dem damaligen Präsidenten Jacques Chirac den EU-Haushalt bis 2013 erfolgreich auf die Beine gestellt haben. Mit der Unterstützung Nicolas Sarkozys gelang während der deutschen Präsidentschaft die politische Einigung auf den Lissabon-Vertrag. In 2008 haben Deutschland und Frankreich in Baden-Baden, Kehl und Straßburg gemeinsam den NATO-Gipfel ausgerichtet. Auf unsere gemeinsame Initiative hin wurde das neue Strategische Konzept der NATO auf den Weg gebracht. Eine neue Qualität und Intensität der Zusammenarbeit unserer beiden Länder machte sich auch in der Wirtschafts- und Finanzkrise bezahlt. Sie ist unerlässlich, nicht nur in der Europäischen Union, sondern auch bei der G8 oder der G20.

Die Freundschaft zwischen Deutschland und Frankreich ist aber niemals gegen jemanden gerichtet, sondern stets nur auf etwas: auf eine Vertiefung der europäischen Einigungsidee, die für unseren Kontinent heute und in Zukunft über unsere Sicherheit und unseren Wohlstand entscheidet. Deshalb ziehen wir auch in der gegenwärtigen Schuldenkrise an einem Strang, sehen wir doch gemeinsam die Verbindung von Solidarität und Solidität als richtigen Weg an, um den Euro dauerhaft zu sichern – als stabile Währung und damit als ein Garant des Zusammenhalts Europas.

Der Europäischen Union kommt neben der NATO mehr und mehr auch eine wichtige Rolle in Fragen der Krisenbewältigung zu. Das sehen wir in Georgien, im Kosovo und vor dem Horn von Afrika in der Operation ATALANTA. Dennoch: Die Entwicklung einer Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik und eines Europäischen Auswärtigen Dienstes bleibt noch immer hinter den Erwartungen zurück. Mehr konkretes, mehr praktisches Engagement, mehr Präsenz vor Ort wären wichtiger als andauernde institutionelle Streitigkeiten zwischen Rat, Kommission und Europäischem Parlament.

Hinzu kommt: Es reicht nicht, dass sich die europäischen Institutionen untereinander abstimmen. Europäische Politik kann nur gelingen, wenn die Mitgliedstaaten, ihre Regierungen, Parlamente und die Öffentlichkeit einbezogen und ihre Interessen berücksichtigt werden. Dies gilt auch und besonders für die Außen- und Sicherheitspolitik, die natürlich auch zum Kernbereich nationaler Souveränität zählt.

Auf meinen ersten Punkt, dass kein Land allein die Probleme dieser Welt lösen kann, baut mein zweiter Punkt auf: Die aufstrebenden Schwellenländer müssen mehr Verantwortung übernehmen. Das gilt für Sicherheits-, Umwelt-, Klima-, Energie- und sonstige Fragen, die von globaler Bedeutung sind.

Deshalb hat Deutschland auch mit Russland, China und Indien regelmäßige Regierungskonsultationen verabredet. Es ist für uns eine wichtige Erfahrung, dass wir auch mit China und Indien in diesem Jahr zum ersten Mal solche Konsultationen abgehalten haben, um unsere Beziehungen zu vertiefen. Dabei wird uns auch die unterschiedliche Größe unserer Länder konkret bewusst: Wenn etwa die beiden Landwirtschaftsminister von Deutschland und China über ihre jeweiligen Aufgaben sprechen, dann spricht der eine von etwas mehr als einer Million Menschen und der andere von ungefähr 400 Millionen Menschen.

Es muss eine geradezu natürliche Konsequenz des wirtschaftlichen Erstarkens der Schwellenländer sein, dass sie bei regionalen Konflikten auch mehr Verantwortung übernehmen. Denn die USA und Europa würden sich weit übernehmen, wenn sie bei allen Konflikten weltweit eingreifen sollten. Operationen wie zum Beispiel zur Wahlabsicherung im Kongo vor fünf Jahren müssen die Ausnahme bleiben. Deshalb besteht unsere Aufgabe darin, Schwellenländer und Regionalorganisationen zu unterstützen.

Wir tun dies unter anderem, indem wir der Afrikanischen Union in Addis Abeba helfen, eine leistungsfähige Infrastruktur zu entwickeln. Unterstützung verdienen auch Staaten wie zum Beispiel Südafrika oder Angola als Vorsitzland der Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrika, SADC, die sich um eine Lösung für den Madagaskar- bzw. den Simbabwe-Konflikt bemühen. Das gilt auch für Nigeria, das als führendes Land der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft, ECOWAS, dazu beiträgt, Krisen in Liberia und in Côte d’Ivoire zu entschärfen. Durchaus verdienstvoll ist auch, wenn Saudi-Arabien als wichtigstes Land des Golf-Kooperationsrates durch die Aufnahme der jemenitischen oder tunesischen Herrscher für eine Beilegung bewaffneter Auseinandersetzungen in den jeweiligen Ländern Sorge trägt.

Wenn wir, wie zum Beispiel nach den schlimmen Erfahrungen in Somalia 1993/94, davor zurückschrecken, selbst in einen Konflikt einzugreifen, dann reicht es in der Regel nicht, an andere Länder und Organisationen Worte der Ermutigung zu richten. Wir müssen die Staaten, die bereit sind, sich zu engagieren, auch dazu befähigen. Ich sage ausdrücklich: Das schließt auch den Export von Waffen mit ein – dies selbstverständlich nur nach klaren und weithin anerkannten Prinzipien. Wir sollten aber versuchen, einen Schritt weiterzugehen: Wenn wir uns im Atlantischen Bündnis einig sind, dass die NATO nicht alle Konflikte lösen kann und dass den aufstrebenden Schwellenländern und Regionalorganisationen mehr Verantwortung zukommt, dann sollten wir im Bündnis bei den Rüstungsexporten auch schrittweise zu einer gemeinsamen Politik kommen. Eine solche gemeinsame Politik muss und wird immer restriktiv sein. Sie muss und wird immer und in jedem Fall mit einer Außenpolitik in Einklang zu bringen sein, die auf die Achtung der Menschenrechte ausgerichtet ist. Denn sonst wird eine wertegeleitete Politik unmöglich.

Zu einer wertegeleiteten Politik gehören auch Sanktionen, zum Beispiel gegen Weißrussland, den Iran, Myanmar oder gegen Kuba. Zu einer wertegeleiteten Politik gehört auch, dass trotz oder gerade wegen der wachsenden Bedeutung der politischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit China und Russland kein Treffen vergeht, ohne Menschenrechtsfragen und Mängel im Rechtssystem anzusprechen.

Dies führt zu meinem dritten Punkt: Der Einsatz militärischer Mittel als ultima ratio kann und darf nicht ausgeschlossen werden, aber kein Konflikt, mit dem wir heute konfrontiert sind, kann allein mit militärischen Mitteln gelöst werden.

Diese Überzeugung liegt der Europäischen Sicherheitsstrategie und dem neuen Strategischen Konzept der NATO zugrunde. So gibt es 6er- bzw. E3+3-Gespräche zum nordkoreanischen bzw. iranischen Nuklearprogramm, die 5+2-Gespräche zu Transnistrien und das Quartett zum Nahostkonflikt. Auch in Afghanistan ist zur langfristigen Stabilisierung eine politische Lösung unerlässlich, in die alle Seiten mit einbezogen werden müssen. Oder nehmen wir den aktuellen Fall Libyen: Es steht außer Zweifel, dass es der Einsatz der NATO, unserer Verbündeten, war, der entscheidend zum Ende des Gaddafi-Regimes beigetragen hat. Ich habe tiefen Respekt für diesen Einsatz. Im Übrigen bedeutete unsere Enthaltung im UN-Sicherheitsrat zu keinem Zeitpunkt Neutralität. Jetzt gilt es, politisch dem Land beim Aufbau demokratischer Strukturen da zu helfen, wo das gewünscht ist.

Wir sehen also: Deutschland leistet in vielen Regionen dieser Welt – vorneweg in Afghanistan – einen wichtigen militärischen Beitrag und betont gleichzeitig die Notwendigkeit ziviler Maßnahmen wie im Übrigen auch den Wert wirtschaftlicher Sanktionen. Gezielte Sanktionen, die diejenigen treffen, die für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind, sollten sogar noch viel häufiger eingesetzt werden, um Diktatoren zum Einlenken zu bewegen. Deswegen setzt sich Deutschland im UN-Sicherheitsrat für scharfe Sanktionen gegen Syrien und den Iran ein. Im Übrigen bin ich der Auffassung, dass die Staatengemeinschaft angesichts der Weiterentwicklung des iranischen Nuklearprogramms, dessen angeblich zivile Natur nur vorgeschoben ist, weitere Sanktionen ins Auge fassen sollte. Die enge Zusammenarbeit zwischen den Präsidenten Ahmadinedschad und Assad spricht Bände.

Meine Damen und Herren, das sind drei Punkte, die Deutschlands außen- und sicherheitspolitisches Fundament im 21. Jahrhundert bilden: Erstens – aktuelle Konflikte lassen sich von keinem Land allein lösen, sondern nur in festen Bündnissen mit Partnerschaften; zweitens – Schwellenländern kommt immer mehr internationale Verantwortung zu; drittens – nachhaltige Krisenprävention und Krisenbewältigung erfordern ein Miteinander von diplomatischen, entwicklungspolitischen, polizeilichen, kulturpolitischen und militärischen Maßnahmen.

Deutschland weiß um seine Verantwortung in der Welt. Unser Wohlstand, den wir uns in einer freiheitlichen Weltordnung erarbeiten konnten, unsere Interessen und unsere Werte verpflichten uns dazu, Verantwortung zu übernehmen. Demokratie und Stabilität weltweit zu stärken, liegt in einer eng vernetzten Welt in unserem ureigenen Interesse.

Das ist der Grund, warum wir heute weltweit engagiert sind: 2006 bei der EU-Operation im Kongo unter führender deutscher Beteiligung, als wichtigster Truppensteller bei der KFOR im Kosovo, bei den Seeoperationen ATALANTA und UNIFIL vor den Küsten Somalias und des Libanon, mit Soldaten oder Polizisten in Georgien, in Bosnien, im Sudan, in Uganda, bei den Bemühungen um politische Lösungen im Transnistrienkonflikt, in der bosnischen Verfassungskrise und im mazedonischen Namensstreit sowie als drittgrößter Truppensteller in Afghanistan. Die Bonner Konferenz im Dezember zu Afghanistan wird dazu beitragen, die Zukunft Afghanistans nach 2014 zu bestimmen. Wir werden Afghanistan auch nach 2014 weiter unterstützen müssen – finanziell, wirtschaftlich und gegebenenfalls auch mit Ausbildungsprogrammen für die Sicherheitskräfte.

Um die sicherheitspolitischen Anforderungen unserer Zeit umfassend, also als ultima ratio auch militärisch, bewältigen zu können, haben wir die Umwandlung der Bundeswehr in eine Freiwilligenarmee vorgenommen. Dieser Wandel von der Wehrpflicht- zur Freiwilligenarmee war alles andere als unumstritten. Der Bürger in Uniform war so etwas wie ein Markenzeichen der deutschen Demokratie nach dem Zweiten Weltkrieg. Für mich bleibt dieses Markenzeichen auch weiterhin von großer Bedeutung. Es wird auch nicht zuletzt mit einer Aufwertung der Rolle der Reservisten bewahrt bleiben.

Ausdrücklich unterstütze ich darüber hinaus die sogenannte Initiative „Pooling and Sharing“ sowie die im Rahmen des Weimarer Dreiecks ausgearbeiteten Vorschläge zur Stärkung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU. Gerade bei „Pooling and Sharing“ sind wir mit den Niederlanden auf einem sehr, sehr guten Weg. Mit beiden Initiativen bzw. Vorschlägen arbeiten wir daran, eine konsequente Arbeitsteilung unter den Bündnispartnern zu ermöglichen.

Deutschlands Beitrag im nordatlantischen Bündnis ist und bleibt von größter Bedeutung, um uns auch in der Welt von morgen behaupten zu können. EU, NATO und Vereinte Nationen sind und bleiben für uns die wichtigsten internationalen Organisationen. Parallel zu unseren Bemühungen für eine Erweiterung des UN-Sicherheitsrats, wobei wir auch für Übergangslösungen offen sind, fördern wir alle Bestrebungen, der Vertretung der Europäischen Union bei den Vereinten Nationen mehr Rechte einzuräumen.

Wenn wir in diesen Tagen nach Nordafrika blicken, dann ist dort ein Europa gefordert, das die Hand ausstreckt und Unterstützung auf dem Weg zu mehr Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und wirtschaftliche Entwicklung anbietet. Hier ist mit der Neuausrichtung der südlichen Nachbarschaftspolitik der Europäischen Union ein Anfang geschafft.

Auf der Libyenkonferenz vor einer Woche in Paris haben wir dem Übergangsrat unsere Unterstützung angeboten. Wir sind bereit, beim Aufbau demokratischer Strukturen und Institutionen, zum Beispiel der Polizei, und bei der Instandsetzung von Infrastrukturen zu helfen.

Daneben werben wir zuvorderst in Ägypten und Tunesien für konkrete Schritte im Alltag. Denn die Erfolge der dortigen Freiheitsbewegungen sind eng mit ökonomischen Erfolgen verknüpft. Fortschritte dort haben eine besondere Signalwirkung für die ganze Region. Deshalb begrüße ich zum Beispiel den Pakt für Beschäftigung, der von deutschen Unternehmen und Auslandshandelskammern getragen wird. Mit diesem Pakt werden 5.000 Jugendlichen betriebliche Ausbildungs- und Arbeitsplätze angeboten.

Auch die politischen Stiftungen sind gefragt, vor Ort den Aufbau der Zivilgesellschaft und einer vielfältigen Medienlandschaft ganz konkret zu unterstützen. Sehr viel geschieht bereits in diese Richtung. Ich bin allen Verantwortlichen dafür sehr, sehr dankbar.

Meine Damen und Herren, die Welt hat sich in den zwei Jahrzehnten seit dem Ende des Ost-West-Konflikts dramatisch verändert. Neue Konflikte und Herausforderungen sind entstanden, neue Akteure auf den Plan getreten. Der wirtschaftliche Wettbewerb wird schärfer – mit allen Chancen und Risiken, die die weitere Globalisierung und internationale Arbeitsteilung mit sich bringen.

Es gibt aber auch einen Wettbewerb um Wertvorstellungen, Lebens- und Arbeitsweisen. Deshalb ist es auch so wichtig, wenn nicht sogar die größte Errungenschaft der letzten beiden Jahrzehnte, dass sich Europa zu einer Union von 500 Millionen Menschen zusammengefunden hat. Es liegt auf der Hand, dass 500 Millionen Menschen in einer Welt mit nunmehr sieben Milliarden Menschen mehr bewegen können als 80 Millionen in Deutschland. Gemeinsam haben wir Europäer zumindest eine größere Chance, die Globalisierung unseren Werten und unseren Vorstellungen von Demokratie, Gerechtigkeit und menschlicher Würde entsprechend zu gestalten.

Wir in Europa sind gut beraten, uns nicht in europäischem Mittelmaß einzurichten, sondern unseren Blick zu weiten und uns mit den dynamischsten Volkswirtschaften weltweit zu messen. Die gegenwärtige Verschuldungskrise im Euro-Raum bietet bei allen Risiken auch die Chance, in Europa den Weg in die Schuldenunion zu verlassen und die Weichen hin zu einer dauerhaften Stabilitätsunion zu stellen.

2007 haben wir hier in Berlin zum 50. Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträge gesagt: Wir Europäer – wir sind zu unserem Glück vereint. Und so bin ich davon überzeugt: Unser Modell von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Meinungsfreiheit verbunden mit den Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft – der produktiven Verbindung von wirtschaftlicher Leistungskraft und sozialem Ausgleich – dieses Modell ist auch und gerade in einer zunehmend globalisierten Welt ein Modell mit Zukunft. Denn es ist ein Modell der Teilhabe, das niemanden ausgrenzen will, ein Modell, das keine Ideologien, sondern den Menschen mit seiner unantastbaren Würde in den Mittelpunkt stellt. Ja, es ist richtig: Wir Europäer sind zu unserem Glück vereint. Und gemeinsam mit unseren Partnern in Amerika und im transatlantischen Bündnis nehmen wir unsere Verantwortung in der Welt wahr.

In diesem Sinne wünsche ich dem Bergedorfer Gesprächskreis noch viele anregende Diskussionen und weiterhin viel Erfolg in der Pflege einer lebendigen Kultur des Austauschs und des Dialogs, einer Kultur der Weltoffenheit und Toleranz, des Voneinander- und Miteinander-Lernens.

Ich freue mich, jetzt noch Ihre Fragen beantworten zu können.

Herzlichen Dank.