Pressekonferenz von Bundeskanzler Scholz und dem Premierminister von Malaysia, Anwar Ibrahim am 11. März 2024 in Berlin

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BK Scholz: Ein herzliches Willkommen, Herr Premierminister! Ich freue mich, Sie erstmals hier in Deutschland willkommen zu heißen. Ihr Besuch ist ein ganz besonderer Auftakt für eine Südostasienwoche mit mehreren hochrangigen Besuchen aus dieser wichtigen Weltregion hier in Berlin.

Der Indopazifikraum ist von großer Bedeutung für Deutschland und die Europäische Union. Wir wollen die politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit deshalb intensiv vertiefen. Deutschland unterhält bereits enge wirtschaftliche Beziehungen in die Region. Malaysia ist der wichtigste Handelspartner Deutschlands in ASEAN. Das hat eine große Bedeutung, weil es mit vielen Direktinvestitionen im Land verbunden ist, aber eben auch mit all dem, was an ökonomischem Austausch daraus folgt.

Diese Partnerschaft wollen wir gern weiter ausbauen. Das gilt natürlich gerade im Hinblick auf die Zielsetzung, unsere ökonomischen Beziehungen mit aller Welt weiter zu diversifizieren. Wir wollen mit vielen Ländern gute ökonomische und politische Beziehungen haben.

Eine engere Zusammenarbeit wünschen wir uns auch bei den Fragen des Klimaschutzes und dem Ausbau der erneuerbaren Energien. Deshalb sind wir sehr froh über die Ankündigung Malaysias, auf den Neubau von Kohlekraftwerken zu verzichten und den Anteil der erneuerbaren Energien dramatisch zu erhöhen. Das finden wir sehr wichtig.

Malaysia und Deutschland sind gefestigte Demokratien. Wir alle beide bekennen uns zum Multilateralismus und zur Einhaltung des Völkerrechts. Deshalb ist es auch richtig, dass wir unsere sicherheits- und verteidigungspolitische Zusammenarbeit vertiefen. Die Verteidigungsministerien arbeiten bereits an den notwendigen Kooperationsabkommen.

Wir haben uns natürlich auch über die Entwicklung im Nahen Osten, die Entwicklung in Gaza, die Situation nach dem Überfall der Hamas auf israelische Bürgerinnen und Bürger unterhalten. Es ist kein Geheimnis, dass unser Blickwinkel auf den Nahostkonflikt anders ist als anderswo. Umso wichtiger ist es aber, sich miteinander auszutauschen. Wir sind uns jedenfalls einig darin, dass mehr humanitäre Hilfe nach Gaza gelangen muss. Das ist auch unsere klare Aufforderung an Israel, das jedes Recht hat, sich selbst gegen die Hamas zu verteidigen. Eine Bodenoffensive auf Rafah halten wir nicht für richtig.

Ein wichtiger Schritt wäre jetzt auch ein Waffenstillstand, der länger anhält, am besten noch während des Ramadans, der ja nun begonnen hat und in dem wir gemeinsam heute das Fastenbrechen vollzogen haben. Ein solcher Waffenstillstand sollte dazu beitragen, dass die israelischen Geiseln freigelassen werden und dass, wie gesagt, mehr humanitäre Hilfe in Gaza ankommt.

Wir haben auch eine ganz klare Position, was die langfristige Entwicklung betrifft. Nur eine Zweistaatenlösung kann dauerhaften Frieden, Sicherheit und Würde für Israelis und Palästinenser bringen. Deshalb ist es so wichtig, dass wir alle gemeinsam dafür arbeiten, dass eine gute, friedliche Perspektive, eine dauerhafte gemeinsame Zukunft von Israelis und Palästinensern möglich wird, die eben in den zwei Staaten gut miteinander und nebeneinander existieren.

Natürlich ist die Welt von vielen weiteren Konflikten und Kriegen gezeichnet, ganz besonders dem dramatischen Krieg, den Russland gegen die Ukraine begonnen hat. Es ist ein furchtbarer Krieg mit unglaublichen Verlusten. Auch Russland hat für den imperialistischen Eroberungswahn des russischen Präsidenten bereits viele, viele Menschenleben geopfert. Das ist gegen jede menschliche Vernunft. Deshalb verurteilen wir beide den russischen Angriffskrieg. Es ist wichtig, auch das hier noch einmal festzuhalten.

Der Indopazifik ist von großer Bedeutung für die weitere Entwicklung der Welt. Das gilt natürlich auch für all das, was an ökonomischer Entwicklung und Entwicklung der Staaten dort stattfindet. Ich begrüße deshalb die Bemühungen Malaysias und der ASEAN-Staaten, Streitigkeiten friedlich beizulegen und Wege zu finden, dass das typisch für all das wird, was dort zu entscheiden ist. Jede Eskalation muss unbedingt vermieden werden. Frieden und Stabilität müssen immer und überall auf der Grundlage des Völkerrechts erhalten bleiben. Das gilt insbesondere für die Freiheit der Seewege und die Beachtung des UN-Seerechtsabkommens. Deshalb sind auch die laufenden Verhandlungen über den Code of Conduct so wichtig.

Noch einmal schönen Dank dafür, dass Sie am ersten Tag des Ramadans, jedenfalls für unseren Standort, nach Berlin gekommen sind. Wir haben vorhin gemeinsam das Fasten gebrochen. Das ist für mich ein gutes Zeichen für das friedliche Miteinander und den Zusammenhalt. Ich empfinde es als etwas ganz Besonderes. Ramadan Kareem!

PM Anwar: Herzlichen Dank, Herr Bundeskanzler, lieber Olaf! Danke für die wundervolle Gastfreundschaft und dafür, dass wir uns heute zum Fastenbrechen treffen!

Deutschland ist für uns natürlich einer der wichtigsten Partner in Europa. Wir haben einen riesigen Anstieg im Handel und in den Investitionen. Wir sehen, dass große Investitionen getätigt wurden. Wir haben Siemens besucht. Infineon ist ein großer Investor in Malaysia und zeigt sein Vertrauen in das Land und das System bei uns. Es gibt viele weitere Beispiele von Unternehmen, die in Malaysia tätig sind. Mir geht es natürlich immer darum, die bilateralen Beziehungen in den Bereichen von Handel und Investitionen auszubauen und auch von Ihrer Erfahrung zu profitieren, sowohl im Bereich der Technologie als auch bei den Fragen der Umwelt und des Klimaschutzes.

Für die Energiewende haben wir uns klare Ziele gesetzt. Wir haben einen Aktionsplan aufgesetzt, der auch im Einklang mit Ihrer Politik steht. Erneuerbare Energie, Ammoniak, grüner Wasserstoff, das verfolgen wir sehr aktiv. Malaysia ist glücklicherweise auch ein Hub innerhalb von ASEAN für diese erneuerbaren Energien und Technologien. Wir begrüßen das deutsche Interesse hieran, auch bezüglich neuer Investitionen in den Bereich erneuerbarer Energien und mit Blick auf den Klimawandel. Wir haben uns bei dieser Gelegenheit natürlich über diese Zusammenarbeit ausgetauscht, und ich freue mich über die Bereitschaft des Bundeskanzlers, viele dieser Themen anzugehen. Manchmal haben wir kleine Unterschiede in der Sichtweise, aber es zeigt wirklich das Vertrauen, das wir ineinander haben.

Was den Krieg in Gaza angeht, sind wir uns einig, dass die Kampfhandlungen aufhören müssen. Wir brauchen sofort einen Waffenstillstand. Wir brauchen auch humanitäre Hilfe für die Menschen in Palästina, insbesondere in Gaza. Natürlich erkennen wir die Besorgnis bezüglich der Ereignisse des 7. Oktober an. Wir rufen auch die Europäer und insbesondere Deutschland dazu auf, anzuerkennen, dass es 40 Jahre lang Gräueltaten, Plünderungen, Enteignungen von Palästinensern gab.

Lassen Sie uns nun gemeinsam nach vorn blicken! Ich stimme dem Bundeskanzler bei dem, was er bezüglich der Zweistaatenlösung gesagt hat, zu. Friede für beide Länder wird dadurch sichergestellt. So kann man gemeinsam sicherstellen, dass es wirtschaftliche Zusammenarbeit und Fortschritt für die Menschen in der Region gibt.

Wir haben uns auch bezüglich des Krieges in der Ukraine positioniert. Wir haben uns völlig klar gegen die Aggression gestellt, gegen die Eroberungsbemühungen. Das gilt für jedes Land und natürlich auch für die russische Aggression in der Ukraine. Wir wollen eine friedliche Lösung des Konfliktes. Denn dieser Konflikt hat Auswirkungen auf den Handel und die wirtschaftliche Entwicklung bis nach Asien.

Wir haben eine friedliche Region. ASEAN ist aktuell der am schnellsten wachsende Wirtschaftsraum in der Welt, eben weil es so friedlich ist ‑ abgesehen von der Thematik in Myanmar, aber das wird innerhalb von Myanmar eingehegt. Der Konflikt hat sich nicht auf die Region ausgebreitet, obwohl es natürlich Flüchtlingsbewegungen gibt. Wir haben uns innerhalb von ASEAN gemeinsam auf einen Fünf-Punkte-Konsens und auf die Parameter, mit denen das Thema gelöst werden kann, geeinigt. Die ASEAN-Länder haben sich darauf geeinigt, dass Laos, Malaysia und Indonesien die Troika gemeinsam führen und den Konflikt mit Myanmar lösen möchten.

Dann gibt es weitere Themen wie das südchinesische Meer und China. Ich habe dem Bundeskanzler versichert, dass wir mit China gut auskommen. Wir haben keine schwierigen Zwischenfälle gesehen, aber wir sehen uns natürlich als absolut unabhängiges Land. Wir sind natürlich ein kleines Land, aber wir stehen für unser Recht ein, mit vielen Ländern zusammenzuarbeiten, um sicherzustellen, dass die Menschen in Malaysia auch von diesen Mechanismen und von der Zusammenarbeit mit anderen Ländern profitieren.

Noch einmal ganz herzlichen Dank, Herr Bundeskanzler, für dieses Treffen! Ich bin sehr beeindruckt von Ihrer Einsicht, von Ihrer Analyse der Situation. Es ist sehr beeindruckend zu sehen, was so ein großes Land wie Deutschland tut, und es war auch gut, einige unserer Besorgnisse mitzuteilen. Ich freue mich über die gute Zusammenarbeit. Es geht nicht nur um Handel und Investitionen, sondern es geht auch insgesamt um den Ausbau der bilateralen Beziehungen in allen Bereichen. Ich habe dem Bundeskanzler auch gesagt, dass das Studium Goethes in Malaysia zunehmend an Interesse gewinnt.

Frage: Herr Premierminister, können Sie uns etwas zu den Fortschritten bei den deutschen Investitionen in Malaysia sagen, und können Sie etwas zu den Herausforderungen für die Regierung beim Umschwung auf erneuerbare Energien in Malaysia sagen?

Herr Bundeskanzler, 2022 haben Sie über die Zeitenwende im Bereich der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik gesprochen. Aber wenn Sie jetzt auf ASEAN oder auf Südostasien blicken: Wie sieht Deutschland Malaysia in Bezug auf seine bilaterale Bedeutung, den Handel und auch regionale Themen?

PM Anwar: Innerhalb der Europäischen Union ist Deutschland unser größter Handelspartner. Sie haben große Investitionssummen getätigt, bis zu 50 Milliarden US-Dollar. Ich habe Infineon und viele andere führende deutsche Unternehmen schon angesprochen und habe in unseren Diskussionen gesagt: Wir freuen uns sehr darüber, dass sie Malaysia als wichtigen Hub, als Exzellenzzentrum, als Ausbildungszentrum in der Region ausgewählt haben, und ich freue mich auf weitere Zusammenarbeit in diesem Bereich.

Natürlich habe ich auch angesprochen, dass Ausbildung ein Schwerpunkt sein sollte. Es gibt 1000 malaysische Studenten hier in Deutschland und auch einige hunderte deutsche Studenten in Malaysia. Darüber freuen wir uns auch sehr. Wir arbeiten mit vielen deutschen Unternehmen zusammen, um Menschen auszubilden und die Zusammenarbeit zu verstärken.

Bei der erneuerbaren Energie haben wir wichtige Schritte ergriffen. Wir investieren in Solarenergie, in grüne Energie und in unsere Exportkapazitäten für erneuerbare Energien. Es gibt jetzt ein Unterseekabel für grüne Energie in die neue Hauptstadt von Indonesien, ein weiteres nach Singapur, und ein weiteres Kabel führt auf die Malaiische Halbinsel. Dass dies großes Potenzial hat, sehen Sie auch daran, dass Datenzentren und auch künstliche Intelligenz in der Region von Malaysia wachsen und gedeihen.

BK Scholz: Schönen Dank für die Frage! ‑ Zunächst einmal: Die Zeitenwende liegt in dem russischen Angriff auf die Ukraine. Das ist die Aufkündigung einer Verständigung gewesen, die wir in den Vereinten Nationen, in der ganzen Welt miteinander gefunden haben, nämlich dass mit Gewalt keine Grenzen verschoben werden. Der russische Angriffskrieg hat aber genau das zum Ziel, nämlich das eigene Territorium als großes Land auf Kosten des Nachbarn zu vergrößern ‑ mit einem furchtbaren Krieg. Das können wir nicht hinnehmen ‑ nicht in Europa und auch nirgendwo sonst auf der Welt. Deshalb ist es auch richtig für uns, dass wir die Ukraine unterstützen und dass wir dies auch sehr umfassend tun. Deutschland ist nach den USA der größte Unterstützer ‑ sowohl finanziell als auch was Waffenlieferung betrifft ‑, und in Europa bei Weitem derjenige mit den größten Anstrengungen, der Ukraine bei ihrer Selbstverteidigung zu helfen.

Das berührt aber eine Frage, die für die ganze Welt wichtig ist. Wer sich ein bisschen in der Geschichte der Welt auskennt ‑ und die ist bunt und vielfältig ‑, der weiß: Wenn irgendwo irgendein politischer Führer sitzt, in Geschichtsbüchern blättert und sich überlegt, wo denn früher einmal Grenzen waren, dann wird es viele, viele Jahre Krieg in der ganzen Welt geben. Wir müssen daher zu dem Grundsatz zurückkehren, dass wir die Grenzen, wie sie sind, akzeptieren und nicht mit Gewalt ändern. Das ist das, was die Grundlage für den Frieden und die Sicherheit in der Welt ist. Deshalb sind wir hier auch gemeinsam sehr klar.

Für Deutschland bedeutet das aber nicht, dass wir unsere eigene ökonomische Entwicklung, die Entwicklung Europas und der Welt darüber aus dem Blick verlieren. Wie Sie vielleicht schon gemerkt haben, spielt es gerade für die von mir geführte Regierung und für mich als Kanzler Deutschlands eine große Rolle, dass wir jetzt einen neuen großen Anlauf unternehmen, die Beziehungen zwischen Nord und Süd neu aufzustellen und dafür zu sorgen, dass wir in politischer Hinsicht auf Augenhöhe miteinander kooperieren, dass wir gemeinsam an der Zukunft der Welt arbeiten, aber dass wir auch alles dafür tun, dass die ökonomischen Wachstumsmöglichkeiten und Potenziale vieler Regionen in der Welt auch maximal ausgeschöpft werden.

Deshalb spielt auch die ökonomische Kooperation zwischen Europa und ASEAN, zwischen Deutschland und ASEAN, zwischen Deutschland und Malaysia eine so große Rolle, und wir wollen gerade in den Feldern, die wir hier eben schon benannt haben, vorankommen. Die erneuerbaren Energien sind dabei ganz zentral. Wir wissen: Wir müssen den Wohlstand der Menschen in der Welt steigern. Milliarden Menschen wollen einen ähnlichen Wohlstand haben, wie er in den letzten Jahren für viele in den Ländern des Nordens schon möglich gewesen war. Wenn das gut gelingen soll, gelingt das nur, wenn wir dabei die Umwelt nicht schädigen, und deshalb ist der Ausbau der erneuerbaren Energien so wichtig.

Dabei entstehen auch neue interessante ökonomische Möglichkeiten, etwa in den Fragen Wasserstoff/Ammoniak ‑ das ist genannt worden ‑; denn für die industrielle Perspektive der Zukunft wird es auf mehr Strom ankommen, den wir für wirtschaftliche Prozesse brauchen ‑ und das aus erneuerbaren Energien ‑, und auf Wasserstoff als einen Ersatz für viele Prozesse, für die wir heute Gas, Kohle oder Öl einsetzen. Das voranzutreiben und darüber gemeinsam Wohlstand überall in der Welt zu schaffen, das ist eine gute Sache.

Dass die deutsche Halbleiterindustrie, dass erfolgreiche Unternehmen aus Deutschland im Elektronikbereich so viel in Malaysia investieren, ist ein gutes Zeichen für unsere Zusammenarbeit. Wir wollen das vertiefen.

Frage: Vielen Dank, Herr Premierminister. Ihre Regierung unterstützt die Hamas und hat, anders als westliche Länder, den Angriff der Hamas auf Israel nicht als Terrorismus bezeichnet. Im November haben Sie gesagt, die Hamas sei keine terroristische Organisation. Bleiben Sie bei dieser Einschätzung und fürchten Sie nicht, dass diese Position zur Hamas die Beziehungen mit Ländern wie Deutschland beeinträchtigen könnte?

Herr Bundeskanzler, an Sie die Frage: Glauben Sie, dass die Position Malaysias zur Hamas das bilaterale Verhältnis zwischen Deutschland und Malaysia beschädigen kann?

Und wenn Sie erlauben, noch eine Frage zur Ukraine: In Deutschland wird weiterhin die Diskussion über die Lieferung von Marschflugkörpern in die Ukraine geführt. Die Außenministerin hat gestern gesagt, dass ein Ringtausch mit Großbritannien eine Option sei, also dass Deutschland Taurus-Marschflugkörper nach Großbritannien schickt und Großbritannien dann seine Storm-Shadow-Marschflugkörper in die Ukraine. Halten Sie das auch für eine Option?

PM Anwar: Unsere außenpolitische Position ist ganz klar und hat sich nicht geändert. Wir stehen gegen Kolonialismus, Apartheid, ethnische Säuberung und Enteignung, egal in welchem Land sie stattfindet, in der Ukraine oder in Gaza. Wir können nicht 40 Jahre Gräueltaten und Enteignung einfach auslöschen oder vergessen, die in den betroffenen Gesellschaften zu Wut und auch Taten zu Taten geführt haben.

Unsere Beziehungen zur Hamas betreffen den politischen Flügel der Hamas, und dafür werden wir uns auch nicht entschuldigen. Diese Zusammenarbeit hat auch geholfen, Bedenken bezüglich der Geiseln anzubringen. Wir haben keine Verbindungen zu irgendwelchen militärischen Flügeln. Das habe ich bereits gegenüber meinen europäischen Kollegen und auch in den USA gesagt. Aber wir haben einige unterschiedliche Sichtweisen. Auch der australische Nationalkongress hat lange vor den Europäern oder Amerikanern anerkannt, dass diese Apartheidspolitik abgeschafft werden muss. Deswegen haben wir uns auch so positioniert.

Wir müssen verstehen, was das Grundproblem dieser Sache ist. Wir können nicht zulassen, dass die Menschen ausgeplündert werden, dass ihnen ihre Häuser weggenommen werden. Das muss gelöst werden. Bin ich dafür, dass Menschen, dass Kinder getötet werden? Auf gar keinen Fall. Nein, niemand darf das tun. Das ist die Konsistenz in unserer Politik. Ich bin aber gegen diese Obsession, dieses Narrativ, als ob das ganze Problem am 7. Oktober begonnen hätte und dann auch enden würde. Es hat nicht mit dem 7. Oktober angefangen, und es endet auch nicht dann. Das begann vor 40 Jahren und geht auch heute noch weiter.

Vor diesem Hintergrund bin ich der Ansicht ‑ das habe ich auch dem Kanzler gesagt: Lassen Sie uns jetzt nach vorne blicken. Wir haben ein Problem. Wollen wir uns jetzt mit der Geschichte auseinandersetzen, mit den Gräueltaten, die geschehen sind, oder wollen wir jetzt das Problem lösen?

Das Problem jetzt zu lösen, heißt: Die Kampfhandlungen müssen eingestellt werden, das Töten muss aufhören. Dann kann die ganze internationale Gemeinschaft ‑ Deutschland, Malaysia und alle Nachbarstaaten ‑ sicherstellen, dass es keine Gewalt mehr gibt, von keiner Gruppe ausgehend, gegen niemanden ‑ nicht gegen Muslime, Christen oder Juden. Die Menschen müssen in Frieden leben können. Vielen Dank.

BK Scholz: Ich habe es eben schon gesagt und wiederhole es gern noch einmal: Deutschlands Position ist klar. Israel hat jedes Recht, sich gegen den terroristischen Angriff der Hamas zu verteidigen. Das haben wir in den letzten Tagen, Wochen und Monaten immer klargemacht, und dabei bleibt es auch. Darauf kann sich Israel verlassen.

Gleichzeitig haben wir klare Positionen für die weitere Entwicklung, und die sind ja benannt. Ich will das noch einmal sagen: Wir wollen, dass mehr humanitäre Hilfe nach Gaza gelangt. Wir wollen, dass die Geiseln freigelassen werden, bedingungslos. Wir wollen, dass es keine unnötigen Opfer gibt. Deshalb haben wir sehr klar gesagt, welche Formen der militärischen Kriegsführung mit dem Völkerrecht vereinbar sind und was wir schwierig finden.

Ich habe mich zu Rafah geäußert und zur Notwendigkeit einer langen friedlichen Perspektive mit einer Zweistaatenlösung, die es möglich macht, dass Palästinenser in Gaza und Westbank friedlich leben können, in einem eigenen, selbstverwalteten Staat neben Israel ‑ als Demokratie in der Region, und wo sich die Bürgerinnen und Bürger Israels auch auf uns verlassen können. Das ist die Perspektive, für die wir arbeiten und um die es jetzt geht. Deshalb arbeiten wir ‑ trotz der unterschiedlichen Bewertungen über die konkrete Frage ‑ an einer friedlichen Perspektive, die notwendig ist.

Was ich zur Frage der Unterstützung der Ukraine bei ihrer Verteidigung zu sagen habe, will ich gern wiederholen. Deutschland ist mit großem Abstand das Land, das am meisten Unterstützung für die Ukraine zur Verfügung stellt ‑ finanziell, aber auch, was Waffenlieferungen betrifft. Alles zusammen geht es bei den bisherigen und zugesagten Lieferungen um 28 Milliarden Euro, um 30 Milliarden Dollar. Das ist eine erhebliche Summe. Wir haben alles mobilisiert, damit die Ukraine von uns die notwendige Unterstützung bekommt ‑ Munition, Artillerie, Panzer, Luftverteidigung verschiedenster Art, die auch hocheffizient ist und sehr geschätzt wird. Unsere Unterstützung ist verlässlich und kontinuierlich. Die Ukraine weiß das, und wir hören immer wieder, wie sehr diese große Unterstützung dort auch geschätzt wird.

Was das eine Waffensystem betrifft, bin ich der Meinung, dass es angesichts seiner Wirkung, angesichts der Art und Weise, wo es eingesetzt werden kann, nicht ohne Kontrolle genutzt werden kann, dass aber eine Beteiligung deutscher Soldaten nicht vertretbar ist, auch nicht von außerhalb der Ukraine. Ich habe deshalb gesagt, dass ich den Einsatz für nicht vertretbar halte und dass es deshalb weder um direkt oder indirekt geht, sondern darum, dass wir klar sind, was diese konkrete Frage betrifft. Meine Klarheit ist da. Das ist meine Aufgabe als Kanzler, als Regierungschef, mich hier präzise zu äußern und keine missverständlichen Erwartungen zu wecken. Und entsprechend klar sind auch meine Antworten.

Frage: Guten Tag, Exzellenzen! Sie haben beide die Situation in Gaza angesprochen und gesagt, dass man nach vorne blicken müsse, zu einer Zweistaatenlösung. Aber wie viel Einfluss kann dieses Treffen für einen humanitären Waffenstillstand haben?

PM Anwar: Deutschland ist ein wichtiges Land in Europa und hat gute Beziehungen mit Israel aufgebaut, und wir haben etwas bessere Beziehungen zu Palästina, zur Palästinensischen Autonomiebehörde und auch zur politischen Hamas. Andere arabische Länder und Nachbarstaaten von Palästina und Israel tun, was sie können. Wir sollten da auch etwas positiver sein. Es ist natürlich eine chaotische Situation, eine unsichere Lage. Es gibt keine leichte Lösung. Die Palästinenser haben viel gelitten. Die Netanjahu-Regierung war in ihrer Haltung auch sehr klar. Es gibt keine einfache Lösung. Wir müssen das Töten Unschuldiger auf beiden Seiten stoppen, das Töten von Zivilisten. Wir brauchen jetzt einen dauerhaften Waffenstillstand und am Ende eine Zweistaatenlösung. Das ist auch möglich, wenn die internationale Gemeinschaft den Mut und die Entschlossenheit aufbringt.

Ich habe gesagt: Manchmal ist man wirklich niedergeschlagen, wenn man das Gefühl hat, dieser Fall sei moralisch bereits verlassen worden und es gäbe keinen wirklichen Willen von allen Ländern, den Krieg zu stoppen und eine Lösung zu finden. Ich bin mir sicher, dass die Länder des Nahen Ostens, die internationale Gemeinschaft, Deutschland und die anderen Beteiligten diese friedliche Lösung wollen.

BK Scholz: Wir hätten uns alle gewünscht, dass mit dem Beginn des Ramadans auch ein Waffenstillstand, der länger anhält, begonnen hätte, der mit der Freilassung der Geiseln durch die Hamas verbunden gewesen wäre und auch mit einer Ausweitung der humanitären Hilfe, die nach Gaza gelangt. Dies gesagt haben geht es jetzt darum, dass das möglichst bald zustande kommt. Das wäre, glaube ich, für alle Menschen ganz wichtig und kann dann auch die Perspektiven für weitere Entwicklungen schaffen. Darum geht es jetzt. Dabei sind wir in allem, was wir tun, mit der amerikanischen Regierung und mit der Europäischen Union einig. Auch überall in der Welt versuchen viele ‑ wir haben es hier gehört, aber das gilt auch für die Nachbarstaaten ‑, in diese Richtung zu arbeiten.

Was wir verhindern müssen, ist eine Eskalation des Krieges. Wir warnen auch davor, dass sich der Iran oder die iranischen Proxies weiter in diesen Krieg verwickeln, als das jetzt schon der Fall ist. Das muss jetzt bald gelöst werden. Wie gesagt: Wie das gehen kann, ist etwas, über das für mich, für die Europäische Union, für die USA und viele andere große Klarheit existiert, und auch hier ist das ja gemeinsam genannt worden.

Frage: Herr Premierminister, Sie haben gesagt, man solle die Geschichte hinter sich lassen. Aber für die israelischen Geiseln ist der 7. Oktober immer noch die Gegenwart, auch für ihre Familien. Bezüglich der Gespräche, die Sie mit der politischen Führung von Hamas führen: Worüber sprechen Sie? Wie viel Hoffnung haben Sie, dass diese Geiseln bald freigelassen werden? Können Sie auch etwas über das sagen, was Sie am 7. Oktober gesehen haben, und die Tatsache, dass diese Geiseln immer noch durch diese terroristische Gewalt festgehalten werden?

Herr Bundeskanzler, Sie haben vor Kurzem den Papst getroffen, der ja jetzt mit seinen Äußerungen zur weißen Flagge Kontroversen hervorgerufen hat, was die Ukraine so verstanden hat, wie der Außenminister gesagt hat, dass die Kirche sich quasi so verhält wie zu Anfang des 20. Jahrhunderts, also dass die Kirche damals nichts gegen Nazi-Deutschland getan hat. Wie reagieren Sie auf die Äußerungen des Papstes?

PM Anwar: Danke. Ich habe meine Meinung bereits klar geäußert. Man kann nicht einfach über die Gräueltaten der letzten vier Jahrzehnte hinwegsehen, und man kann keine Lösung finden, indem man sich so einseitig verhält, indem man nur auf ein bestimmtes Thema schaut und 60 Jahre Gräueltaten einfach beiseite wischt. Die Lösung ist nicht einfach die Freilassung der Geiseln. Ja, die Geiseln sollen freigelassen werden, aber das ist nicht die Lösung. Wir sind ein kleiner Akteur. Wir haben gute Beziehungen zur Hamas. Ich habe dem Bundeskanzler gesagt, dass, ja, auch ich möchte, dass die Geiseln freigelassen werden. Aber ist das dann das Ende, Punkt, aus? Was ist mit den Siedlungen, mit dem Verhalten der Siedler? Nein, jeden Tag geht das weiter. Was ist mit den Enteignungen, ihren Rechten, ihrem Land, ihrer Würde, den Männern, den Frauen, den Kindern? Geht es darum nicht? Wo ist unsere Menschlichkeit? Warum gibt es diese Arroganz? Warum gibt es dieses Messen mit zweierlei Maß in Bezug auf die eine und auf die andere Ethnie? Haben sie eine unterschiedliche Religion? Liegt es daran? Warum? – Da gibt es doch ein Problem.

Ja, wir wollen, dass die Rechte von jedem einzelnen Menschen anerkannt werden, egal, ob es ein Muslim, ein Jude oder ein Christ ist. Da bin ich ganz klar. Aber ich kann natürlich nicht akzeptieren, dass man das Thema nur auf einen Fall konzentriert, auf ein Opfer, und die Tausende Opfer seit 1947 einfach beiseitelässt. Ist die Menschlichkeit nicht relevant? Ist Mitgefühl nicht relevant? Das ist mein Punkt. Unterstütze ich irgendwelche Gräueltaten von irgendjemandem gegenüber irgendjemandem? Nein. – Will ich, dass Geiseln festgehalten werden? Nein. – Aber man kann das Narrativ nicht so einseitig sehen.

Sie können fragen, ob ich mit einigen Untergruppen nicht einverstanden bin. Aber so wird man das Thema nicht lösen. Wir müssen fair sein, gerecht, und eine freundschaftliche Lösung finden, die gerecht ist, die fair ist.

BK Scholz: Noch einmal das, was ich schon gesagt habe: Deutschland hat eine besondere und eine gute Beziehung zu Israel. Das ist für uns sehr wichtig. Deshalb kann sich Israel auch auf uns verlassen. Ihr haben eine klare Position hinsichtlich dessen, was jetzt notwendig ist. Dazu zählt die Freilassung der Geiseln. Dazu zählt humanitäre Hilfe. Dazu gehört die Perspektive einer Zweistaatenlösung. Darüber habe ich schon gesprochen, ich will das hier nur noch einmal erwähnen. Für uns ist das auch wichtig. Wir haben die Staatsgründung Israels sehr unterstützt, und entlang dieser Linie wird sich die Politik in Deutschland auch immer weiter entfalten.

Was den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine betrifft, ist die Position Deutschlands sehr klar: Die Ukraine hat das Recht, sich zu verteidigen, und die Ukraine kann sich darauf verlassen, dass wir sie dabei mit vielen, vielen Möglichkeiten unterstützen. Ich habe schon gesagt, dass wir sehr weit vorne stehen, wenn es um den Umfang und die Qualität der Waffenlieferungen geht, die wir zur Verfügung gestellt haben. Das ist auch richtig so. Deshalb bin ich natürlich mit der zitierten Position nicht einverstanden.