Pressekonferenz von Bundeskanzler Scholz, Ministerpräsident Rhein und Ministerpräsident Weil im Anschluss an die Besprechung des Bundeskanzlers mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder am 6. März 2024 in Berlin

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Im Wortlaut Pressekonferenz von Bundeskanzler Scholz, Ministerpräsident Rhein und Ministerpräsident Weil im Anschluss an die Besprechung des Bundeskanzlers mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder am 6. März 2024 in Berlin

  • Mitschrift Pressekonferenz
  • Mittwoch, 6. März 2024

MP Rhein: Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, lieber Kollege Stephan Weil, meine sehr geehrten Damen und Herren, ich begrüße Sie ganz herzlich zu unserem Statement im Anschluss an unser Gespräch. Ich will es deutlich sagen: Ich bin Ihnen, Herr Bundeskanzler, sehr dankbar dafür, dass Sie heute zu uns gekommen sind und dass wir mit Ihnen über dieses wichtige Thema sprechen konnten. Ministerpräsidenten und Länder haben durchaus ein ordentliches Selbstbewusstsein. Deswegen können sie auch mit sich selbst sprechen. Aber ich finde schon, dass man es als eine echte Deutschlandkonferenz bezeichnen kann, wenn der Bundeskanzler zu dieser Konferenz hinzustößt. Ich finde es auch gut und sehr erfreulich ‑ das ist unsere Stärke auch in den zurückliegenden Monaten und Jahren gewesen ‑, dass wir im föderalen System dazu in der Lage sind, dass alle Ebenen miteinander zusammenarbeiten, und wir bei allen Meinungsverschiedenheiten, die wir natürlich auch haben, die Dinge am Ende zusammenführen.

Deswegen haben wir uns heute einmal mehr mit dem zentralen Thema von Ordnung und Begrenzung der irregulären Migration befasst. Die Zahlen sind im Augenblick moderat; das muss man sagen. Aber ich denke, dass man sich nichts vormachen darf. Sie werden natürlich auch wieder anwachsen, wenn die Temperaturen steigen. Deswegen haben wir gesagt: Wir wollen jetzt diese Zeit nutzen, um gemeinsam zu handeln, konstruktiv, aber auch konsequent. ‑ Ich bin der festen Überzeugung, dass wirklich ausschließlich die politische Mitte es hinbekommen kann, dieses Thema in einer solchen Lage anzugehen und am Ende auch Lösungen umzusetzen. Ich bin auch der festen Überzeugung, dass wir in der Lage sind, Handlungsfähigkeit zu beweisen.

Wir haben heute mit dem Kanzler insbesondere drei Punkte diskutiert: Was wurde erreicht? Was muss noch umgesetzt werden? Welche weiteren Maßnahmen sind erforderlich?

Ich will auch das sagen: Wir gemeinsam, wirklich Bund und Länder, haben in den zurückliegenden Monaten sehr viel auf den Weg gebracht. Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass wir jemals so viel zusammen hinbekommen und so viel Geschwindigkeit in das Thema gebracht haben. Nehmen Sie die Bezahlkarte, die Einstufung Georgiens und Moldaus als sichere Herkunftsstaaten oder auch das Großthema der GEAS-Reform.

Jetzt haben wir noch andere Maßnahmen miteinander besprochen. Das ist insbesondere das Thema der Prüfung von Asylverfahren in Transit- und Drittstaaten, aber natürlich auch noch andere Maßnahmen, die für uns wichtig sind, ob das Frontex ist, das Thema der Staatsbürgerschaft bei extremistischen Straftaten, die Rückführungsabkommen etc. Das darf ich als B-Vertreter, als Sprecher der Unionsländer sagen: Natürlich kann man sich auch noch mehr vorstellen. Es gibt das eine oder andere Thema, das wir uns durchaus wünschen würden. Aber am Ende ‑ das muss ich sagen ‑ haben wir sehr viel auf den Weg gebracht. Ich denke, dass es ein wirklich wichtiges Signal ist, dass wir einen gemeinsamen Fahrplan und auch einen Kanon an gemeinsamen Maßnahmen haben. Das zeigt: Wir sind handlungsfähig; Bund und Länder sind handlungsfähig.

Jetzt geht es darum, all das konsequent umzusetzen. Wir als Länder wollen in diesem Zusammenhang und in diesem Kontext unseren Anteil dazu leisten. Aber auch darüber, wer welche Aufgaben zu erfüllen hat, haben wir heute mit dem Bundeskanzler gesprochen. Auch dabei sind wir uns einig.

MP Weil: Guten Tag, meine Damen und Herren! Ich stelle mir vor, dass im Leben von Berliner Journalistinnen und Journalisten Verspätungen öfter vorkommen, Verfrühungen eher selten. Heute haben wir es aber mit einem solchen Fall zu tun. Wir haben sehr schnell und zügig miteinander gearbeitet. Das heißt nicht, dass wir nicht gearbeitet hätten. Im Gegenteil war dies die vierte Sitzung in etwas weniger als einem Jahr zwischen dem Bundeskanzler und den Regierungschefinnen und ‑chefs der Länder.

Wenn man alles zusammennimmt, was wir uns vorgenommen haben, dann ist das ein grundsätzlicher Wechsel in unserer Zuwanderungspolitik, ein sehr konsequenter Antritt gegen irreguläre Migration und verbunden mit ganz konkreten Fortschritten, aber auch der anhaltenden Bereitschaft, sich weiterhin gegenseitig auch Rechenschaft abzulegen. Denn dass wir mit der heutigen Sitzung am Ende wären, kann man nicht sagen. Wir werden schon in diesem Jahr die Zugangszahlen natürlich immer weiter sehr intensiv beobachten müssen.

Es gibt einen scheinbaren Widerspruch. Es passiert sehr viel. Es wird sehr viel umgesetzt. Das ist jetzt wirklich ein gemeinsamer Beschluss, der an vielen Stellen sehr konkret wird und auf das verweist, was teilweise erst vor ganz kurzer Zeit tatsächlich auch an rechtlichen Grundlagen neu gesetzt worden ist. Aber gleichzeitig können wir niemandem versprechen, dass sich das binnen Monatsfrist in Zugangszahlen ausdrücken wird. Dafür gibt es ganz unterschiedliche Gründe. Nehmen Sie zum Beispiel den entscheidenden Durchbruch auf der europäischen Ebene für einen Asylkompromiss. Bis das tatsächlich dazu führt, dass an den europäischen Außengrenzen entsprechende Systeme etabliert sind, wird es leider noch dauern. Ich würde mich freuen, wenn es anders wäre, aber das erscheint mir unrealistisch.

Das muss man zur Kenntnis nehmen und kann dennoch sagen: Wir sind in vielen Fällen ausgesprochen konkret unterwegs. Wenn wir beispielsweise die Gelegenheit haben werden, auch in diejenigen Länder abzuschieben, die ihre Bürger heute noch nicht zurücknehmen, dann werden wir auch in Sachen Rückführung noch weitere wesentliche Fortschritte zu verzeichnen haben. Aber die realistischen Erwartungen, die man an diesen Kurs knüpfen muss, möchte ich gern hervorheben.

Ich sage das auch deswegen, weil es ‑ das ist ja bekannt ‑ eine längere Protokollerklärung von zwei Ländern gibt. Wenn man sich das genau anschaut, wird auch daraus deutlich, dass man die Vorzeichen bei diesem Thema nicht in ganz kurzen Zügen und binnen kürzester Zeit komplett ändern kann. Wir haben Verbesserungsbedarf. Er ist sehr konkret adressiert und wird von Bund und Ländern auch ganz genau und mit allem notwendigen Zeitdruck umgesetzt.

Abschließend will ich noch ein Thema ansprechen, das, wie ich denke, für die Akzeptanz von Zuwanderung von gar nicht zu überschätzender Bedeutung ist. Das ist die Frage der Arbeitsmarktintegration. Überall, wo ich bin, stelle ich fest: Dort, wo Menschen in Arbeit und Brot sind, ist die Akzeptanz höher als dort, wo andere den Eindruck haben, dass am Ende des Tages alles über Sozialtransfers passiert. ‑ Deswegen und weil wir nun einmal in Deutschland bekanntlich einen sehr, sehr großen Fachkräfte-, aber auch Arbeitskräftebedarf haben und weiter haben werden, wollen wir hier weitere Schwerpunkte setzen. Das ist auch ein Ergebnis dieser Sitzung. Das ist noch nicht in absolut konkrete Ergebnisse gemündet. Die Gespräche, die dafür notwendig sind, sollen jetzt folgen. Aber das zeigt für mich: Wir arbeiten hier nicht nur stumpf einen Katalog ab, sondern wir werden wirklich weiterhin in aller Konsequenz versuchen, irreguläre Integration zurückzudrängen, aber auch die Integration für die Menschen mit Schutzrecht in Deutschland zu verbessern.

Vielen Dank.

BK Scholz: Zunächst einmal schönen Dank an die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten für die Einladung zu ihrer gemeinsamen Tagung, stellvertretend an die beiden hier anwesenden Vertreter der Länder! Das waren in der Tat gute, konstruktive und auch sehr zügige Beratungen, die zeigen, was uns in den letzten Monaten und im letzten Jahr gelungen ist. Die drei Zusammenkünfte des vergangenen Jahres und die heutige Zusammenkunft sind eigentlich Teil einer grundlegenden Veränderung im Management der irregulären Migration in Deutschland. Ich will ausdrücklich sagen: Wahrscheinlich haben wir im vergangenen Jahr die grundlegendsten Veränderungen seit 20 oder 25 Jahren auf den Weg gebracht, und zwar mit entsprechenden Konsequenzen. Wir dürfen jetzt zurückgehende Zahlen verzeichnen. Allerdings dürfen wir, wie Herr Rhein zu Recht gesagt hat, jetzt die Hände nicht in den Schoß legen, sondern wir müssen ganz konkret abarbeiten, was wir miteinander vereinbart haben. Wir müssen auch dafür sorgen, dass wir immer am Thema bleiben.

Der Bund hat das, was wir besprochen haben, umgesetzt. Die Gesetze sind beschlossen. Sie sind auf den Weg gebracht. Damit sind die Rahmenbedingungen für ein besseres Handling, ein besseres Management der irregulären Migration geschaffen. Ich gehe davon aus, dass das jetzt überall in Deutschland umgesetzt wird.

Auch die Länder arbeiten intensiv an den Aufgabenstellungen, die sie in unseren Beschlüssen selbst übernommen haben, was etwa die Digitalisierung von Ausländerbehörden oder die Verkürzung der erstinstanzlichen Verwaltungsrechtsverfahren betrifft. Da bestehen ja weite Spannen zwischen drei Monaten und 20 oder 30 Monaten. Das alles kann man sehr, sehr stark komprimieren.

Es ist aber wichtig, dass wir so konkret geworden sind. Es geht hier nicht darum, nur Plakate aufzuhängen, sondern es geht darum, ganz konkrete Taten zu vereinbaren und sich daran zu machen. Das ist auch die Stimmung, die ich hier wahrgenommen habe. Jeder fühlt sich selbst dafür verantwortlich, seine Aufgaben zu leisten. Das ist in einem föderalen Staat unverzichtbar. Nur dann, wenn wir die Aufgaben gemeinsam anpacken, nur dann, wenn wir uns unterhaken, wird es uns auch tatsächlich gelingen. Noch einmal: Was wir beschlossen haben, was schon Gesetz geworden ist, was unterwegs ist, ist die weitreichendste Veränderung, die in dem Bereich in den letzten 20 oder 25 Jahren zustande gekommen ist.

Ich bin auch darüber froh, dass nach fast einem Jahrzehnt der Verhandlungen über eine Verständigung über ein gemeinsames europäisches Asylsystem auch dieses jetzt quasi in trockenen Tüchern ist. Wir alle wissen, dass das überall in Europa noch umzusetzen ist ‑ darauf hat Ministerpräsident Weil zu Recht hingewiesen ‑, aber immerhin sind wir dahin gekommen. Das hätte vor zwei Jahren wahrscheinlich niemand vorherzusagen gewagt.

Unverändert haben wir die große Aufgabe, viele Flüchtlinge zu integrieren. Das gilt zum Beispiel für diejenigen, die aus der Ukraine gekommen sind, aber nicht nur für sie. Deshalb spielt die Arbeitsmarktintegration, wie schon gesagt wurde, eine ganz, ganz große Rolle. Auch dafür sind weitreichende Entscheidungen getroffen worden. Arbeitsverbote, die für Flüchtlinge bisher existiert haben, sind weitgehend aufgehoben. Es geht jetzt also darum, dass wir ‑ Gemeinden, Länder und Bund ‑ mit dem Jobturbo und vielen, vielen weiteren Aktivitäten alles dafür tun, dass möglichst viele von denjenigen, die sich in Deutschland aufhalten, schnell in Arbeit und Beschäftigung kommen und deshalb einen Beitrag zu unserer Wirtschaftsleistung, aber auch einen Beitrag zu einem besseren Miteinander leisten.

Große Aufgaben also, gute Zusammenarbeit und ein gutes Zeichen für unser Land, dass wir in einer so schweren Herausforderung gemeinsam zusammenstehen.

Frage: Herr Bundeskanzler, Sie alle drei klangen jetzt ziemlich optimistisch. Wenn man sich die Asylbewerberzahlen von Januar anschaut, stellt man aber fest, dass sie gegenüber dem Vorjahr kaum gesunken sind: über 26 000. Gibt es bei Ihnen nicht doch die Sorge, dass die Zahlen im Frühjahr und im Sommer ‑ Herr Rhein hat darauf hingewiesen ‑ wieder so stark steigen, dass sie zum politischen Problem in Deutschland werden können?

Herr Rhein, Sie klingen jetzt ein bisschen anders als viele Unionsministerpräsidenten vor dieser Sitzung. Können Sie erklären, warum Sie so viel optimistischer klingen als jene? Sie sagen, es sei viel Tempo hineingebracht worden. Jene hatten vorher gesagt, die Bundesregierung habe das Tempo verschleppt. Es kann ja nur eines von beidem stimmen.

Herr Weil, haben Sie unter den 16 Ministerpräsidenten auch über das Wachstumschancengesetz geredet? Kann man damit rechnen kann, dass es am 22. März eine Zustimmung des gesamten Bundesrates geben kann?

BK Scholz: Ich bin fest davon überzeugt, dass es genauso ist, wie wir alle drei eben gesagt haben: Wir haben jetzt Zeichen dafür, dass die Zahlen besser werden, aber wir machen uns nichts vor. Deshalb ist es so wichtig, dass wir jetzt noch einmal zusammengekommen sind. Als wir im November die weitreichenden Beschlüsse über die Gesetzgebungsvorhaben miteinander getroffen hatten, wussten wir doch, dass da etwas zu tun ist. Deshalb haben wir gesagt: Wir wollen ungefähr zu dieser Zeit noch einmal zusammenkommen, ein wenig Bestandsaufnahme machen, uns unterhaken und uns verabreden, dass wir dranbleiben. ‑ Dieses Dranbleiben ist auch die Verabredung, zu der es heute gekommen ist, und zwar bezüglich aller Themen. Es ist nichts ausgelassen worden, und das soll auch nicht der Fall sein.

Im Übrigen weiß, denke ich, jeder, der ein bisschen Verstand hat, dass dieses Thema die europäischen Staaten, damit auch uns, und die reichen Länder der Welt noch ganz, ganz lange Zeit bewegen wird. Wir werden immer wieder neu darüber nachdenken müssen, wie wir es gut machen können. Aber dass wir uns hier untergehakt und einen Weg beschritten haben, dass wir alles dafür tun werden, dass wir erfolgreich sind, das ist schon ein gutes Zeichen, auch für das Miteinander in unserem Land.

MP Rhein: Ich will schon sagen: Man muss ja doch realistisch bleiben. Wen wir eine Ministerpräsidentenkonferenz durchführen, dann nehmen daran 16 Minister­präsidenten teil, aus den unterschiedlichsten Koalitionen, auf die man ja auch Rücksicht nehmen muss, und mit vier, nein, in Wirklichkeit fünf Parteibüchern. Das muss man zusammenbringen. Wenn wir dann noch mit der Bundesregierung zusammenkommen, dann muss man auch das noch zusammenbringen. Da kommt also schon einiges zusammen.

Wenn ich das mir anschaue: Ich hätte vor drei Jahren niemals gedacht, dass wir dieses leidige Thema ‑ Barleistungen oder eben nicht Barleistungen ‑ irgendwann einmal in eine Bezahlkarte münden lassen, dass die Länder sich auf gemeinsame Standards einigen und dass der Bundeskanzler dafür sorgt, dass das im Asylbewerberleistungsgesetz verankert wird. Da muss ich sagen: Das ist eine Riesenleistung. Hätte das jemand von Ihnen für möglich gehalten?

Das Gleiche gilt im Übrigen beim Thema der Prüfung von Asylverfahren in Drittstaaten. Es hat doch niemand jemals für möglich gehalten, dass wir da zusammenkommen und dass wir einen Beschluss hinbekommen. Ja, ich will zugestehen ‑ der Bundeskanzler wird mir das hoffentlich nicht übel nehmen ‑: Natürlich hätte ich mir da vom November bis in den Januar mehr Geschwindigkeit gewünscht. Man darf aber auch nicht unterschätzen, dass das ein unfassbar komplexes Thema ist. Darüber kann man nicht einfach so hinweggehen. Da geht es um Menschenrechte, da geht es um sehr viele weitere Themen. Da muss aus meiner Sicht dann doch Sorgfalt vor Schnelligkeit gehen. Wenn man es ein bisschen beschleunigen kann, freuen wir uns aber sehr darüber.

Ich möchte auch noch ein drittes Thema aufrufen ‑ ich habe es anklingen lassen. Ich sage das jetzt nicht als MPK-Vorsitzender, sondern als christdemokratischer Ministerpräsident: Ja, sicherlich würden wir uns wünschen, dass die Liste der sicheren Herkunftsstaaten ausgeweitet wird, dass es also mehr sichere Herkunftsstaaten gibt. Deswegen gibt es auch eine Protokollerklärung des Landes Hessen. Wir wollen gerne, dass alle Länder mit einer Anerkennungsquote unter fünf Prozent sichere Herkunftsstaaten werden. Es führt aber zu nichts, wenn wir uns darüber jetzt zerstreiten. Wir brauchen eine Einstimmigkeit, eine Einigkeit, das macht uns am Ende stark. Wer gerne noch etwas mehr hat oder mehr möchte, der macht eine Protokollerklärung und setzt das dann bei sich im Land um. Ich habe einen Koalitionspartner, mit dem ich genau das umsetzen kann, und darüber bin ich sehr glücklich. Wir werden deswegen eine Bundesratsinitiative starten.

Insoweit bin ich, wenn ich mir die Dinge in der Summe anschaue, durchaus zufrieden mit dem Erreichten. Ich will nicht verhehlen: Es könnte noch mehr sein. Man muss aber realistisch bleiben.

MP Weil: Wobei man ‑ um das Letzte fortzusetzen ‑ jedenfalls aus meiner Sicht sehen muss: Es gibt ja die gemeinsame Vereinbarung, dass wir die Fälle aus Ländern mit einer Anerkennungsquote von unter fünf Prozent vorziehen ‑ sozusagen eine „fast line“ ‑, und dann werden wir uns auch alle Mühe geben, gerade in diesen Fällen die Verfahren wesentlich zu verkürzen. Das ist dann auch die Grundlage dafür, dass Rückführungen schneller stattfinden können, wenn sie möglich sind, und damit sind wir wieder bei einem Thema, das ich schon angedeutet hatte.

Herr Kollege hatte mich dann noch zu einem ganz anderen Thema gefragt, nämlich zu dem Wachstumschancengesetz. Für das Land Niedersachsen kann ich das zusagen, Herr Rinke ‑ aber das ist ja nur ein Teil der Antwort, um die Sie gebeten haben: Wir haben in der Tat darüber gesprochen. Da gibt es noch unterschiedliche Auffassungen, vor allen Dingen aber den gemeinsamen Grundsatz. Laufende Bundesratsverfahren sind nicht Thema von MPK-Beschlüssen. Insofern ist das ein Thema, das uns spätestens am 22. März im Bundesrat wieder begegnen wird. Dann allerdings wird es sicherlich eine interessante Sitzung werden.

Frage: Ich habe eine Frage an Ministerpräsident Rhein: Sie klangen auch für meine Ohren sehr optimistisch. Da hatte ich mich gefragt, ob Sie den Vorschlag einer Obergrenze von 60 000 Flüchtlingen pro Jahr diskutiert haben, also ob das überhaupt realistisch ist.

An Ministerpräsident Weil: Nach der letzten MPK war es, glaube ich, so, dass die Länder mit der vereinbarten Pro-Kopf-Pauschale nicht ganz happy waren. Ist darüber nochmal geredet worden? Wird es da noch mehr Geld geben?

Wenn ich darf, noch eine Frage an den Bundeskanzler: Ist über den Vorschlag gesprochen worden, dass man bei neu ankommenden Geflüchteten aus der Ukraine dahingehend einen Wechsel vornimmt, dass die nicht sofort Bürgergeld erhalten?

MP Rhein: Wenn ich beginnen darf: Die Diskussion über eine Obergrenze ist aus meiner Sicht eine durchaus berechtigte Diskussion, denn wir sind natürlich schon auch über die Grenzen der Belastung hinaus, und die Infrastruktur muss mit wachsen. Das sage ich jetzt alles als Ministerpräsident eines christdemokratisch regierten Landes und nicht als Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz. Insoweit finde ich, dass das ein wichtiger Diskussionsbeitrag ist. Die Materialien liegen ja vor; denn die vorherige Bundesregierung hat dazu im Grunde genommen Dinge erarbeitet, auf die man zurückgreifen kann.

Insoweit: Ich finde, wir müssen über alle Dinge sprechen, wir müssen sie hinsichtlich der Frage abklopfen: Was geht rechtlich, was geht rechtlich nicht, was nutzt, was nutzt nicht? Das gehört aus meiner Sicht dazu.

MP Weil: Dann setze ich einmal fort ‑ nicht als stellvertretender Vorsitzender, sondern als Sprecher der SPD-regierten Länder und Thüringen, also der sogenannten A‑Gruppe. ‑ Als Ziel kann man über alles reden. Wie realistisch es ist, ein Ziel zu setzen, das zu hoch gesteckt ist, sieht man dann in der Praxis. Aber bei der Umsetzung muss man wissen, dass Obergrenzen derzeit eigentlich nur dann konkret möglich sind, wenn man dazu ganz grundlegende rechtliche Änderungen vornimmt. Da reden wir nämlich über das Grundgesetz und das Individualgrundrecht auf Asyl, und zweitens reden wir auch über die Genfer Flüchtlingskonvention. Das muss jeder wissen, der diese scheinbar so naheliegende Lösung für sich ins Kalkül zieht.

Deswegen rate ich uns allen miteinander, sich sehr auf das zu konzentrieren, was wir jetzt tatsächlich auch zügig anpacken können und was nach meiner festen Überzeugung auch praktische Wirkung entfalten wird. Das andere mag zum Beispiel in einer Kommission diskutiert werden, die wir ja einrichten, aber ich mache da an dieser Stelle aus meiner Skepsis gar keinen Hehl.

Zur Pro-Kopf-Pauschale: Was die Höhe angeht, so ist darüber heute nicht diskutiert worden. Vor wenigen Monaten haben wir nach harten monatelangen Verhandlungen eine Vereinbarung getroffen, die, wie ich glaube, auch wirklich der Situation in den Kommunen gerecht wird. Was wir besprochen haben, ist die Frage: Wie wird das denn sein, wenn wir feststellen ‑ nicht im ersten Jahr, aber wann auch immer ‑, dass wir einmal über eine Anpassung reden müssten? Da sagen die Länder: Dann müssen wir auch darüber reden, und der Bundeskanzler hat, wenn ich ihn recht verstanden habe, gesagt: Niemals werde der Bund sich einer Diskussion entziehen, ohne sich allerdings auf das Ergebnis dieser Diskussion festzulegen. Richtig? -

BK Scholz: Ja.

MP Weil: Gut.

Zusatzfrage: Ich hatte den Bundeskanzler noch gefragt, ob man bei den neu ankommenden Geflüchteten aus der Ukraine einen Switch beim Bürgergeld machen möchte.

BK Scholz: Wir haben über diese Frage nicht miteinander diskutiert, das will ich ausdrücklich sagen. Im Übrigen ist es ja so, dass die Gemeinden in Deutschland ‑ über 11 000 ‑ und die Länder ‑ 16 ‑ wissen, dass die ukrainischen Flüchtlinge gleich so behandelt werden, als hätten sie das ganze Asylverfahren bereits durchlaufen, weil ja klar ist, in welcher Lage sie sind, und insofern vorher schon feststand, wie es ausgeht. Da hat man sich viel Arbeit gespart und sich auch schneller an die Integration heran gemacht. Das ist eine riesige Entlastung von fünf Milliarden Euro für Länder und Gemeinden, und ich glaube nicht, dass irgendjemand fordert, diese fünf Milliarden Euro jetzt wieder selbst zahlen zu wollen.

Insofern geht es doch darum, was wir für die Zukunft machen, und jetzt wird es irgendwann erst einmal eine Diskussion in Europa darüber geben, wie das gehen soll, was passieren soll und wie man das macht. Aber ich glaube, dass wir ja sehen, wie herausfordernd es ist, sich um Integration zu bemühen. Die Jobcenter sind die Institution in Deutschland, die damit die beste und meiste Erfahrung haben, und die kümmern sich jetzt darum. Es ist auch das Ziel unseres Jobturbos, den wir auf den Weg gebracht haben, dafür zu sorgen, dass möglichst viele in Arbeit kommen. Das ist auch mein Appell an alle, die jetzt die Sprachkurse und Integrationskurse gemacht haben: Es ist jetzt die Zeit zu gucken: Wo geht das? Das ist etwas, was wir alle erwarten dürfen, und da sind wir hinterher.

Frage: An die beiden Ministerpräsidenten Rhein und Weil: Sie werden sich ja am 20. Juni wieder zur Ministerpräsidentenkonferenz treffen. Was muss aus Ihrer Sicht bis dahin passieren, und was machen Sie, wenn bis dahin die Flüchtlingszahlen nicht sinken?

An den Bundeskanzler: Herr Scholz, aus dem Kreis der Ministerpräsidenten hieß es vorab, der Bund habe im November zugesagt, jetzt eine Prognose über die Höhe der in diesem Jahr zu erwartenden Asylbewerberzahlen vorzulegen. Wie lautet diese Prognose der Bundesregierung?

Wenn ich das noch anhängen darf, noch eine Frage zur Taurus-Abhöraffäre: Wir wissen ja seit gestern durch die Erklärung des Bundesverteidigungsministers in etwa, wie das technisch gelaufen ist. Ich wüsste von Ihnen gerne, wie groß Sie den politischen Schaden durch diese Affäre bei unseren Verbündeten einschätzen und wie Sie den beheben wollen.

MP Weil: Ich halte es nicht für zielführend, dass wir jetzt über die Frage spekulieren: „Was geschieht, wenn …?“. Ich wiederhole noch einmal das, was ich am Anfang gesagt habe: Niemand soll von unseren Beschlüssen, die wir vor kurzer Zeit getroffen haben, erwarten, dass sie sofort den Schalter umlegen. Ein sehr viel wichtigerer Gradmesser dafür ist wahrscheinlich eher die weitere Entwicklung der internationalen Lage und auch die Frage, inwieweit wir in der Lage sind, dann auch wirklich weiter effektive Grenzkontrollen durchzuführen. Das, würde ich sagen, ist im Moment jedenfalls für mich relatives Lesen im Kaffeesatz.

Davon, dass uns die Diskussion über Migration und Integration in den nächsten Monaten erhalten bleiben wird ‑ durchgängig in diesem Jahr und sicherlich auch noch im nächsten Jahr ‑, können wir miteinander sicher ausgehen. Ich rate uns nur wirklich, einen realistischen Kurs zu verfolgen, den aber konsequent, und das auch in der Kommunikation sehr deutlich zum Ausdruck zu bringen.

MP Rhein: Hinsichtlich der Frage, was wir zum 20. Juni erwarten, kann man im Grunde genommen sagen: Wir haben heute vereinbart bzw. wir bitten den Bundeskanzler, uns über die Schritte, die im Zusammenhang mit den Asylverfahren in Drittstaaten eingeleitet worden sind, zu informieren. Das wird sicherlich ein Thema sein, das wir am 20. Juni miteinander besprechen werden.

Meine große Hoffnung ist natürlich, dass wir am 20. Juni sehr konkret sagen können, an welchem Tag die Bezahlkarte startet. Wir haben das Ausschreibungsverfahren jetzt gestartet. Das wird dann beendet sein. Ich möchte gerne, dass wir die Bezahlkarte ab dem Sommer einführen. Das werden wir dann aber sehr konkret sagen können, und dann werden wir uns natürlich auch über die Beträge, die möglicherweise als Bargeld von der Bezahlkarte ausgezahlt werden können, unterhalten müssen. Das sind aus meiner Sicht ein paar Meilensteine.

Ansonsten kann ich mich nur den Ausführungen von Stephan Weil anschließen: Wir können nicht absehen, was passieren wird, wie die Zahlen ansteigen werden oder ob sie nicht ansteigen werden. Ich glaube aber, wir haben jetzt schon sehr viele Maßnahmen auf den Weg gebracht, mit denen wir uns wirklich um die Situation kümmern. Nehmen Sie das Thema Grenzkontrollen: Da haben wir durchaus ein Instrumentarium entwickelt, das wir immer dann, wenn es soweit ist, aufsetzen können.

BK Scholz: Ich finde, der wichtigste Vorzug der Verständigung, die wir im Laufe des letzten Jahres erarbeitet haben, ist, dass wir von einem politischen Irrweg weggekommen sind, nämlich dass auf allen Ebenen, in allen politischen Strukturen letztendlich achselzuckend gesagt wird: Es bringt ja sowieso alles nichts. Das verführt den einen oder anderen dazu, abenteuerliche Vorschläge zu machen, die nichts bringen, aber die Aufmerksamkeit schaffen. Aber tatsächlich ist es doch einfach beharrliche Arbeit, die man als Gesetzgeber miteinander leisten muss. Das haben wir gemacht, und auch die praktische Umsetzung der neuen Gesetze durch die jeweils Zuständigen in Bund, Ländern und Gemeinden haben wir auf den Weg gebracht.

Sich diese Mühe zu machen, wegzukommen von dem Achselzucken und hinzugehen zur realen Tat, das ist, glaube ich, der große Fortschritt, den wir erreicht haben und an dem wir auch festhalten sollten, und von diesem Kurs sollten wir auch nicht wieder weggehen. Das ist meine feste Überzeugung. Insofern werden wir den Stand der Dinge auch bei der regulären Zusammenkunft der Regierungschefinnen und Regierungschefs des Bundes und der Länder im Bundeskanzleramt im Juni zu besprechen haben. Da werden wir viele Punkte zu besprechen haben, aber natürlich auch dieses Thema.

Ansonsten bin ich sehr sicher, dass das Vertrauen zwischen Deutschland und seinen Verbündeten und Freunden so groß ist, dass das, was da passiert ist, dieses Vertrauen nicht beeinträchtigt. Gerade heute im Kabinett ist auch noch einmal berichtet worden, dass das alle, mit denen wir direkt gesprochen haben, zurückgemeldet haben. Darauf, glaube ich, können wir auch aufbauen.

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